Landtagswahl in NRW:Heimliches Wunschmodell

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Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen sind mehrere Koalitionen denkbar. Warum nicht wenige mit der Idee eines schwarz-grünen Bündnisses liebäugeln - das aber nicht offen sagen.

Dirk Graalmann, Düsseldorf

Schon der Titel ist eine Provokation: "Für eine Politik der Mitte und des Augenmaßes", steht über der Koalitionsvereinbarung, mit der im Rhein-Sieg-Kreis, dem drittgrößten der Republik, regiert wird. Für die FDP aber ist in dieser Mitte kein Platz; die Mitte, das sind hier im Bonner Speckgürtel CDU und Grüne, die nach der Kommunalwahl ein Bündnis schmiedeten, obwohl rechnerisch auch die im Land regierende CDU/FDP-Koalition möglich gewesen wäre.

Sylvia Löhrmann, Spitzenkandidatin der Grünen in Düsseldorf, wünscht sich ein "klares Stopp-Signal" für Schwarz-Gelb. (Foto: Foto: dpa)

Zum Affront taugte der Vorgang, weil an der Spitze von Kreis-CDU und -FDP hochrangige Strategen stehen: hier der Generalsekretär der CDU in NRW und Rüttgers-Vertraute Andreas Krautscheid, dort Gerhard Papke, FDP-Fraktionschef im Landtag. Manch einem dient der Rhein-Sieg-Kreis seither als Omen für die Landtagswahl am 9. Mai.

Keine Seltenheit

Schwarz-Grün ist in den NRW-Kommunen längst kein Experiment mehr, in etwa 25 Städten und Gemeinden gibt es diese Kombination, nur unwesentlich seltener als Rot-Grün. Sowohl Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) als auch die Grünen um Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann haben diese Option auch für das Land nicht ausgeschlossen, doch je öfter die Umfragen das Bündnis rechnerisch nahelegen, umso ruhiger werden vermeintliche Anhänger.

Diejenigen, die es dennoch offensiv gemacht haben, wurden innerparteilich schnell abgestraft. Als der grüne Spitzenstratege Reiner Priggen diese Option vorsichtig ins Spiel brachte, wurde er tags darauf von der eigenen Partei zu einer Richtigstellung genötigt; Michael Solf, CDU-Landtagsabgeordneter aus dem Rhein-Sieg-Kreis, kassierte harsche Rüffel von der Parteiführung, als er seine Vorliebe offen kundtat.

"Der Zeitgeist", hatte Solf philosophiert, "verlangt nach Schwarz-Grün als Modell des aufgeklärten Fortschritts." Solf findet die Aussage immer noch richtig. Aber er würde das heute nicht mehr laut sagen.

Ökonomie und Ökologie - und noch mehr

Einer der wenigen, die keinem Schweigegelübde unterliegen, ist Dieter Heuel, der CDU-Fraktionschef im Rhein-Sieg-Kreis. In seinem Wohnzimmer hängen unzählige Tierköpfe, die der passionierte Jäger und frühere Major der Reserve selbst geschossen hat. Manch ein Grüner würde sich bei dieser Trophäensammlung indigniert abwenden, dabei ist der 69-jährige Heuel, ein überaus freundlicher und geerdeter Mann, der Nukleus des plötzlich so bestaunten Bündnisses.

Mit den Grünen, sagt Heuel - politischer Ziehvater des Umweltministers Norbert Röttgen - gebe es doch "einen Konsens in den Grundwerten."

In den Feuilletons wird Schwarz-Grün gern als Versöhnung von Ökonomie und Ökologie stilisiert, doch für Horst Becker, Kreisvorsitzender der Grünen Rhein-Sieg, ist das Ganze "sicher sehr viel weniger ein Projekt, als es im Moment von außen zu sein scheint oder dazu gemacht wird." Manchmal ist Politik auch viel simpler. Hier sind es zwei grundverschiedene Menschen wie der ruhige Heuel und der umtriebige Becker, die merken, dass sie sich aufeinander verlassen können.

Als Heuel nach der Wahl 1999 zum CDU-Fraktionschef im Rhein-Sieg-Kreis gewählt wurde, bot er den anderen Parteien trotz absoluter Mehrheit eine konstruktive Zusammenarbeit an. So kam es zu losen Kooperation mit den Grünen, deren "hohe Sachkenntnis und Überzeugung in der Sache mir immer imponiert hat", wie Heuel sagt.

Selbst, wenn es nicht immer seine eigene Sache war. Zehn Jahre lang lief die Kooperation, geräuschlos. Als nun die beiden Bündnis-Optionen Grüne und FDP auf dem Tisch lagen, war die Wahl für Heuel klar: "Zehn Jahre wirft man nicht so einfach über Bord." Schwarz-Grün war die logische Konsequenz, das natürliche Bündnis. Beide Parteien segneten die Koalition einstimmig ab.

Reizvolle Aufgabe

Doch der Weg zu Schwarz-Grün auf Landesebene ist noch sehr weit. Plötzlich geht es nicht mehr um den Wert bürgerschaftlichen Engagements, dem Zuschuss für ein Jugendheim oder die bessere Taktung der Busse, sondern um Atom, Schulpolitik oder Kohlekraftwerke.

Es gibt viele Hürden, auch weil die Vorbehalte im grünen Fundament stärker sind als in der Führung. Die Basis, sagt der Landtagsabgeordnete Becker, könne im Zweifel vermutlich sogar mit Rot-Rot-Grün "emotional besser umgehen, Schwarz-Grün dagegen wäre eine reine Frage des Verhandlungsergebnisses." Und für die CDU "wäre es nicht billig."

Entsprechend reserviert geben sich die Christdemokraten: "Was in den Kommunen geht, muss nicht auch im Land passen", sagt der CDU-Kreischef Andreas Krautscheid. "Das, was wir im Land mit der FDP auf den Weg gebracht haben, finde ich richtig und gut und kann es mir auch gut weiter vorstellen."

Der 49-Jährige, der einst zur schwarz-grünen Pizza-Connection zählte, versteht sein Amt als Generalsekretär. Was sollte er auch sagen? Dass es manchem in der CDU als durchaus reizvolle Aufgabe erscheint, aus dem Industrieland NRW ein Modellprojekt der ökologischen Modernisierung zu machen? Solche Sätze wären eine Provokation. Und die schreibt man im Zweifel in den Koalitionsvertrag.

© SZ vom 27.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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