Kursgerangel vor EU-Gipfel:Monti warnt vor Katastrophe

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Wie können EU und Euro gerettet werden? Diese Frage wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel beantworten - dabei sind die Gegensätze schroff. Kanzlerin Merkel räumt eine "ernste Situation" ein, Italiens Premier Monti spricht gar davon, dass seine Landsleute Europa "zur Hölle fahren lassen". Eine Umfrage belegt, wie skeptisch die Deutschen die EU sehen.

Mit ungewöhnlich deutlichen Meinungsgegensätzen gehen die Staats- und Regierungschefs der EU in ihre Gipfelkonferenz zur Überwindung der Finanzkrise. Wie ernst die Lage ist, zeigen die drastischen Worte, die von Italiens Ministerpräsident Mario Monti vor Beginn des Brüsseler Treffens kamen.

Eindringlich warnte Monti vor einer möglichen "Katastrophe" für die EU, sollten die Mitgliedsländer keine gemeinsame Linie finden. Wenn die Italiener entmutigt würden, könnte das "politische Kräfte" freisetzen, die die europäische Integration und den Euro "zur Hölle fahren lassen", sagte Monti bei seiner Ankunft in Brüssel am Mittwochabend. Italien habe große Opfer gebracht und die Schulden unter Kontrolle bekommen.

Die Zinsen für italienische Staatsanleihen stiegen am Mittwoch auf den höchsten Wert seit Dezember. Vor unmittelbarer Gefahr sei das Land dennoch sicher, sagte Monti nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur LaPresse. Vor grundlegenden Risiken hingegen sei Italien ebenso wenig sicher wie der Rest Europas.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte vor einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande ihre Hoffnung, dass auf dem Gipfel ein Pakt für Wachstum beschlossen wird. Forderungen nach Sofortmaßnahmen wie direkter Bankenhilfe oder eine Vergemeinschaftung von Schulden lehnte sie erneut ab.

Merkel spricht von "ernster Situation"

Der Gipfel in Brüssel müsse wichtige Weichen für die Zukunft Europas stellen, sagte Merkel und sprach von einer "ernsten Situation". Es gehe um die Zukunft Europas mit einer starken und stabilen Währung, aber auch um ein Europa, in dem man sich gegenseitig helfe.

Auch Hollande sagte vor dem Treffen mit der deutschen Kanzlerin in Paris, ganz Europa schaue auf den Gipfel. Beim Thema Wachstum gebe es bereits Fortschritte. Neben der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion gehe es auch um eine politische Union mit so viel Integration und Solidarität wie möglich.

Merkel wies Kernpunkte des Grundlagenpapiers der EU-Spitze für den Gipfel zurück. Sie warf dem Ratspräsidenten Herman Van Rompuy vor, "vorrangig der Vergemeinschaftung das Wort" zu reden. Am Mittwochabend suchte Merkel in Paris mit Hollande nach Kompromisswegen. "Wir brauchen ein Europa, das funktioniert", sagte Merkel in Paris. Mehr Europa sei nötig: "Wir brauchen ein Europa, das sich gegenseitig hilft." Sie nahm damit ausdrücklich Hollandes Forderungen nach einer Stärkung des Solidaritätsgedankens auf. Zuvor hatte Merkel in Berlin allerdings klargemacht, dass Haftung und Kontrolle der Finanzen in klarem Verhältnis stehen müssten.

Steinbrück wirft Merkel Zickzackkurs vor

Merkel und Hollande hatten sich bereits vergangenen Freitag in Rom mit Monti und dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy abgestimmt. Die Viererrunde sprach sich dabei für ein Wachstumspaket im Umfang von 130 Milliarden Euro aus. Dieses soll den Kurs der Haushaltssanierung flankieren.

Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) warf Merkel "ständige Positionswechsel" in der Krise vor. Das verunsichere "die Märkte, die europäischen Partner und das eigene Publikum", sagte Steinbrück der Passauer Neuen Presse. Außerdem erkläre Merkel den Deutschen Europa nicht. "Die Grundstimmung in Deutschland ist nicht zuletzt wegen des bisher gescheiterten Krisenmanagements ihrer Regierung europaskeptisch. Das entspricht nicht unseren nationalen Interessen und den europapolitischen Verpflichtungen."

Nach einer Umfrage des Instituts YouGov sehen knapp zwei Drittel der Bundesbürger in der Euro-Krise die größte Gefahr für Deutschland. Dabei zeigt sich eine erhebliche Euro-Skepsis. Bei einem Volksentscheid über eine EU-Mitgliedschaft würden 51 Prozent für und 28 Prozent gegen einen Verbleib stimmen. Für eine Beibehaltung des Euro plädierten aber lediglich 43 Prozent, während immerhin 41 Prozent die D-Mark wiederhaben wollten.

Grosse-Brömer will direkt gewählten EU-Präsidenten

Der zweitägige EU-Gipfel beginnt mit einer Debatte über die umstrittene Finanzplanung 2014 bis 2020. Zudem soll ein Wachstumspakt mit Ausgaben von 130 Milliarden Euro beschlossen werden, wie ihn Hollande ins Spiel gebracht hatte. Beim Abendessen wird über Van Rompuys Vorschläge zur Reform der Eurozone gesprochen. Dazu gehören eine zentralisierte Bankenaufsicht, eine strikte Kontrolle der nationalen Haushalte und eine Vergemeinschaftung der Schulden.

Zur Sprache dürfte auch die "Zinskrise" kommen, weil Spanien und Italien hohe Risikoprämien auf ihre Anleihen zahlen müssen. EU-Kreise rechneten mit einer Einigung über die Bankenunion mit europäischer Bankenaufsicht und mit kurzfristigen Maßnahmen zur Absicherung der Eurozone. Barroso warnte aber insgesamt vor überzogenen Erwartungen. Die Märkte seien nicht über Nacht zu beruhigen.

Ein Vorstoß zur weiteren Vertiefung und Demokratisierung der EU kam aus Merkels CDU, genauer von Michael Grosse-Brömer. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion forderte eine Verbesserung der demokratischen Strukturen in der Europäischen Union. "Man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, einen Präsidenten in Europa direkt zu wählen", sagte der Christdemokrat der dpa. "Das ist eine attraktive Überlegung."

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