Kriegstraumata von Soldaten:Albtraum Afghanistan - Angriff auf die Seele

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Immer mehr Soldaten kehren traumatisiert von Auslandseinsätzen zurück. Hilfe gibt es bei der Bundeswehr - und anonym auf einer privaten Website.

Matthias Kolb

"Willkommen zu Hause!" Freudig und erleichtert werden die Bundeswehrsoldaten in der Heimat von Freunden und Familie begrüßt, wenn sie aus Afghanistan zurückkehren. Körperlich scheinen sie gesund, doch ihre Seele ist oft verwundet.

Dieses Bild eines Bundeswehrsoldaten in Mazar-i-Sharif ist auf der Startseite von angriff-auf-die-seele.de zu sehen. (Foto: Foto: Bundeswehr / PIZ-Mazar-e-Sharif)

Einige haben tote Kinder gesehen, hatten Leichengeruch in der Nase oder sahen, wie Kameraden starben oder verwundet wurden. Die ständige Angst vor Anschlägen belastet jeden - egal ob er im Lager Dienst tut oder auf Patrouille geht und womöglich in ein Gefecht mit den Taliban gerät.

PTBS - diese Abkürzung kennt mittlerweile jeder Soldat. Sie steht für posttraumatische Belastungsstörung, eine Krankheit, die meist drei bis sechs Monate nach einem schrecklichen Ereignis auftritt - manchmal auch erst Jahre später. Die Betroffenen leiden unter "Flashbacks": Sie durchleben eine Situation, in der sie sich völlig überfordert fühlten, immer wieder. Dabei kann es sich ebenso gut um einen Anschlag handeln wie um den Verlust eines Verwandten, denn nicht nur Soldaten sind betroffen. Lokomotivführer, Polizisten und Feuerwehrmänner gelten als Risikogruppen.

Diese Zustände werden durch "Trigger" ausgelöst: ein bestimmter Geruch etwa, ein Geräusch oder der Anblick eines weißen Toyota Pick-up, die in Deutschland selten, aber in Kabul üblich sind. In der US-Armee geht man davon aus, dass jeder fünfte Soldat, der in Afghanistan oder im Irak kämpfte, Symptome des "Rückkehrer-Traumas" zeigt. Experten weisen jedoch darauf hin, dass "die Härte des Einsatzes" eine Rolle spiele.

Auch bei der Bundeswehr steigen die Zahlen dramatisch an, wie sueddeutsche.de vom Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in München erfuhr. "Während 2006 noch 83 PTBS-Fälle registriert wurden, waren es 2008 bereits 245. Im Jahr 2009 wurden 466 Soldaten behandelt", erklärt ein Sprecher. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) nennt sogar - bezogen auf das vergangene Jahr - mit 487 PTBS-Fällen eine noch höhere Zahl.

Für den Anstieg gibt es mehrere Gründe: Einerseits habe die Regierung mehr Soldaten an den Hindukusch geschickt, andererseits sei der Einsatz "intensiver" geworden - fast 90 Prozent der Betroffenen dienten in Afghanistan. Zudem wirkten die Aufklärungsmaßnahmen der Bundeswehr, so der Sanitätsdienst-Sprecher.

Hauptfeldwebel Frank Eggen war noch nie in Afghanistan, aber er kennt sich trotzdem bestens aus mit den Problemen und Ängsten der Rückkehrer. Eggen betreibt seit Mai 2008 das Online-Portal www.angriff-auf-die-seele.de, über das sich Betroffene und Angehörige informieren können.

"Ich habe das Thema nicht gesucht, es hat mich gefunden", sagt der 38-Jährige beim Gespräch in einem Berliner Café. Er arbeitet in Berlin in der Internet-Redaktion des katholischen Militärbischofsamts und immer wieder hätten ihn Kameraden gefragt, wo sie Informationen über PTBS finden oder sich beraten lassen könnten. "Also habe ich Infos, Texte und Ansprechpartner gesammelt und ins Internet gestellt", erinnert sich Eggen.

Seitdem lässt das Thema den freundlichen Ostfriesen nicht mehr los: Kaum war die Website online, meldete sich der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) und bot seine Unterstützung an. Gemeinsam mit dem Oberstarzt Peter Zimmermann entwickelte Eggen das Angebot weiter: Ein Online-Test mit zehn Fragen hilft Betroffenen, ihre Lage einzuschätzen. Die Rückkehrer können sich in der Rubrik "Rat vom Fachmann" anonym an Zimmermann und sein Team vom Berliner Bundeswehrkrankenhaus wenden. Anfangs klickten jeden Monat nur ein paar hundert Interessierte auf die Website. Doch nach einem tödlichen Anschlag auf die Bundeswehr im August 2008 stiegen die Zugriffszahlen rasant an.

Oft melden sich auch Angehörige mit der Bitte um Rat - sie können sich nicht im Intranet der Bundeswehr informieren. Dabei, so Eggens Erfahrung, merken Ehefrauen und Mütter oft am ehesten, wenn Ehemänner oder Söhne sich verändern. Im Forum der Website sind viele entsprechende Erfahrungsberichte zu lesen: "Als Angehörige eines Betroffenen, dessen erster Einsatz neun Jahre zurückliegt, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es Teilen der Bundeswehr nach wie vor sehr schwer fällt, hier genügend Unterstützung und Begleitung zu geben. In unserem Falle kamen die PTBS-Belastungen schleichend in unseren Alltag." Die Verwandten suchen nach Hilfestellung - gerade nach entsprechenden Medienberichten.

Verteidigungsminister Jung prahlte - und machte das Projekt bekannter

"Willkommen zu Hause!" - so hieß ein Spielfilm über einen Afghanistan-Rückkehrer, den die ARD im Februar 2009 ausstrahlte. Am nächsten Tag registrierte Eggen 60.000 Klicks auf seinem Portal - so viel hatte er im gesamten Januar gezählt. Auch der Bundestag debattierte kurz darauf über PTBS und forderte den Aufbau eines Kompetenzzentrums. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung machte Eggens Initiative noch bekannter, als der CDU-Politiker prahlte: "Wir haben eine anonyme Online-Beratung unter www.angriff-auf-die-seele.de eingerichtet."

Frank Eggen ist jedoch nicht der Typ, der sich über eine falsche Aussage ärgert oder sich in den Mittelpunkt drängt. Er möchte ein Bindeglied sein und dafür sorgen, dass die Betroffenen die existierenden Angebote und Informationen von Truppenärzten, Sozialdienst, Militärseelsorge oder Familienbetreuungszentren finden. Aber oft verirren sich Rückkehrer oder Reservisten im Zuständigkeitsgewirr zwischen Bundeswehr, Krankenkasse und Genossenschaft - denen hilft Eggen mit seiner Erfahrung. "Ich will die Bundeswehr nicht aus der Verantwortung nehmen", hält er fest, "die Hilfe muss von dort kommen".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb die Debatte um den Begriff "Krieg" für die Betroffenen keine Rolle spielt.

In der Armee sei "vieles in Bewegung" geraten, sagt Eggen, der nach Veranstaltungen mit vielen Soldaten spricht. Gerade die Jungen seien für das Thema empfänglicher. Für die Bundeswehr sei ein solches ehrenamtliches Engagement noch immer ungewohnt. Doch Eggen habe noch nie Probleme bekommen, wenn er etwa kritische Artikel verlinkt oder Interviews gibt - natürlich nach Dienstschluss.

Hauptfeldwebel Frank Eggen (links) und der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe. Der Luftwaffen-Feldwebel ist täglich zwei bis drei Stunden damit beschäftigt, E-Mails zu beantworten. (Foto: Foto: Doreen Bierdel/angriff-auf-die-seele.de)

Zwei bis drei Stunden ist er jeden Tag damit beschäftigt, E-Mails zu beantworten, die Medien nach aufschlussreichen Artikeln zu sichten, Informationsmaterial zu verschicken oder eigene Inhalte zu verfassen. Früher arbeitete er allein, doch mittlerweile helfen ihm zwei Bekannte bei der Arbeit. Bald soll auch der Verein "Angriff auf die Seele" gegründet werden.

Herzrasen und Zitterattacken

Eggen will weiterhin unabhängig bleiben, denn dies sei ein Grund für den Erfolg. "Das Internet ist ideal, um sich anonym und unbemerkt zu informieren oder sich auszutauschen", sagt Eggen. Doch www.angriff-auf-die-seele.de gelte als glaubwürdig, weil es nichts mit dem Dienstherrn zu tun habe. Im Soldatenalltag fällt es manchem schwer, Schwäche einzugestehen, zumal bei der Beurteilung auch die Kategorie "Belastbarkeit" zählt.

Auch die Bundeswehr informiert ausführlich auf einer eigenen Website. Ein 20-minütiger Film spricht alle Aspekte an - auch dass manche Soldaten ihre Kameraden für "Schwächlinge" oder "Weicheier" halten, wenn diese Hilfe suchen, weil sie an Herzrasen, Albträumen oder Zitterattacken leiden. In Afghanistan steht zwar nur ein Psychiater für die 4500 Soldaten bereit - dies sei nach Bundeswehrangaben momentan ausreichend, zumal Pfarrer, Psychologen und Soldaten mit Zusatzausbildung Hilfe anbieten.

Erstmals musste sich die Bundeswehr Mitte der neunziger Jahre mit PTBS beschäftigen, als Soldaten von Einsätzen aus dem ehemaligen Jugoslawien zurückkehrten. Seither wurden Vorsorge und Behandlung immer wieder verändert und an Erfahrungen aus dem Ausland oder neuen Forschungsergebnissen angepasst. Soldaten können auch rund um die Uhr Rat bei einer anonymen Telefon-Hotline suchen.

Jeden zweiten Tag gehe dort ein Anruf ein, berichtet der Sanitätsdienst-Sprecher. Ähnliche Zahlen hat Frank Eggen auf seiner Website: 200 Nutzer wendeten sich 2009 über die Rubrik "Rat vom Fachmann" an Oberstarzt Peter Zimmermann, von denen jeder fünfte in einem Bundeswehrkrankenhaus behandelt wurde. In der US-Armee wird neuen Rekruten mittlerweile eingebläut, dass sie im Fall der Fälle zu ihrer Schwäche stehen sollen. Sie bekommen oft zu hören: "Wer sich nicht helfen lässt, der gefährdet sich selbst und seine Kameraden."

Die Debatte um Begriffe wie "Krieg", "kriegsähnliche Zustände" oder "nicht internationaler bewaffneter Konflikt" oder die Äußerungen der Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, über den Sinn des Isaf-Mandats habe bei www.angriff-auf-die-seele.de keinen Niederschlag gefunden. Dies sei für viele Soldaten "nicht entscheidend", sagt Eggen - wichtiger sei die Wertschätzung und die Sicherheit, dass PTBS-Fälle weder stigmatisiert oder alleingelassen würden.

Häufig seien Selbstvorwürfe und marternde Fragen: "Warum ist der Kamerad gestorben und nicht ich?" oder "Hätte ich anders reagieren können?" In diesen Fällen spielt es laut Eggen keine Rolle, was die Gesellschaft denke. Die Zugriffe auf das Online-Portal www.angriff-auf-die-seele.de sind auf durchschnittlich 150.000 Klicks pro Monat angestiegen. Frank Eggen wird weiterhin Material und Information sammeln, denn noch immer wüssten zu viele Bürger zu wenig über die Belastungen der Soldaten. Und noch etwas, warnt Eggen, dürfe nicht vergessen werden: "PTBS ist nur die Spitze des Eisbergs. Viele Kameraden leiden auch unter Depressionen oder Alkoholismus."

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