Krieg in Libyen:Gefangen in Gaddafis kleiner Welt

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Werden Europa und die USA in die Wirren eines neuen Konflikts in der islamischen Welt verwickelt? In Libyen droht ein Bürgerkrieg, der die Region auf Jahre destabilisiert. Der Angriff der Alliierten könnte das Blatt wenden - und der Westen am Ende bei den Arabern an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Tomas Avenarius

Die arabische Revolution hat ihre Unschuld verloren. Seit westliche Kriegsschiffe und Jets die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi bombardieren, ist der länderübergreifende Aufstand gegen die Autokraten keine exklusive Angelegenheit der arabischen Völker mehr.

Libyen: Fototicker
:Lichtblitze im Dunkel der Nacht

Kampfjets, zerbombte Autos, verwundete und getötete Soldaten: Die Bilder vom Krieg um Libyens Zukunft gehen um die Welt. Auf vielen werden militärische Macht und Gewalt inszeniert.

Die Bilder im Fototicker

Mit dem Eingreifen der Amerikaner, Franzosen und Briten läuft der Aufstand nun Gefahr, seine ureigene Legitimation zu verlieren. Das Aufbegehren gegen die Millionen-Dollar-Kleptokraten bewegt sich in die Arena der internationalen Machtpolitik. Zugleich können die westlichen Staaten in Libyen in die Wirren eines neuen Kriegs in der islamischen Welt verwickelt werden. Dies umreißt die Risiken des Militäreinsatzes für die arabische Welt und für den Westen zugleich.

Aber die libyschen Aufständischen haben um Hilfe gebeten. Sie haben alleine keine Chance gegen die Kriegsmaschine des Gaddafi-Regimes. Anders als die inzwischen gestürzten Präsidenten Ägyptens und Tunesiens setzt der Despot von Tripolis Bomber, Artillerie und Raketen gegen sein Volk ein. Anders als die beiden Nachbarstaaten hat Gaddafi-Land keine unabhängigen Institutionen. In Libyen gibt es keine funktionierende Armee, die den Machthaber in die Schranken weisen könnte, wie es die tunesischen und ägyptischen Offiziere getan haben. Deshalb - und nicht wegen der angeblichen breiten Unterstützung durch sein Volk - konnte Gaddafi ankündigen, was die Aufständischen erwartet: Seine Milizionäre würden "von Siedlung zu Siedlung, von Haus zu Haus und von Zimmer zu Zimmer ziehen" und "diese Ratten" vernichten. Gaddafi: "Es wird keine Gnade geben."

Diese Botschaft ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Sie sagt alles über das Wesen der Gaddafi-Herrschaft und erklärt, warum die Libyer sich erhoben haben. Diese Drohung erzwingt, dass die Staatenwelt eingreift. Der UN-Sicherheitsrat hat den Auftrag erteilt, die Zivilisten zu schützen. Von Regimewechsel ist in der Resolution keine Rede. Er bleibt Sache der Libyer.

Oberst Gaddafi regiert das Land seit 42 Jahren. Er hat ein absurdes System der volksfreien Volksherrschaft eingeführt, das die simpelsten Bedürfnisse seiner Bürger missachtet: Freiheit und einfachen Wohlstand. Stattdessen hat er das ölreichste Land Nordafrikas zum Privatbesitz für sich und seine nicht weniger verhaltensauffälligen Söhne gemacht. Der libysche Narziss krönt sich zum Führer der arabischen Welt, zum Vorkämpfer gegen Israel, zum afrikanischen "König der Könige". Seine Söhne verfügen über milliardenschwere Konten in der Liga von Microsoft-Chef Bill Gates. Einer der Gaddafi-Junioren hat seine Doktorarbeit über die Zivilgesellschaft verfasst; er und seine Brüder kommandieren jene Milizen, die die Regimegegner jetzt abschlachten.

Flugverbotszone über Libyen
:Hoffnung für Bengasi

Nach dem Beschluss des UN-Sicherheitsrates für eine Flugverbotszone über Libyen feiern die Menschen in der Rebellenhochburg Bengasi. Die Regierung in Tripolis scheint plötzlich zu einem Waffenstillstand bereit zu sein.

Dagegen richtet sich der Aufstand. Die Aufständischen sind keine von der Terror-Organisation al-Qaida aufgehetzte Minderheit, wie der Machthaber glauben machen will. Sie haben glaubwürdige Ziele: das Ende der Gaddafi-Herrschaft und die freie Wahl ihres Gesellschaftsystems.

Oberst Gaddafi regiert das Land seit 42 Jahren. Er hat ein absurdes System der volksfreien Volksherrschaft eingeführt. (Foto: dpa)

Der Aufstand mag im traditionell rebellischen Osten begonnen haben. Aber auch im Westen des Landes haben Libyer demonstriert, Polizeiwachen und andere Symbole eines verhassten Regimes niedergebrannt. Der Machthaber hat die Revolten im Westen niedergeschlagen, Zivilisten getötet. Er dürfte auch in Tripolitanien weniger Anhänger haben, als er mit den bestellten Demonstrationen glauben macht. Sobald seine Armee angeschlagen ist, werden neue Rebellionen ausbrechen.

Die Staatengemeinschaft war zum Eingreifen gezwungen angesichts des absehbaren Massakers in der Rebellenhochburg Bengasi. Natürlich verfolgen die kriegsführenden Mächte auch eigene Ziele. Es geht ihnen nicht ums Öl, wie oft gesagt wird: Gaddafi liefert den Rohstoff, Deutschland ist einer seiner besten Kunden. Aber der Franzose Nicolas Sarkozy etwa steht vor einer anderen Wahl: Er will als Kriegsherr sein Image aufpolieren, das durch peinliche Spesenritter-Reisen seiner Kabinettsminister in die tunesische Diktatur gelitten hat. Der Möchte-gerne-Napoleon ist aber nicht Oberkommandierender: Er ist nur einer der Staatschefs, die den Einsatz verantworten und sich im Gegensatz zu Deutschland nicht auf unglaubwürdige Art aus der Affäre gezogen haben. Seine Kollegen müssen Sarkozy zügeln.

Zwingend ist nun außerdem die Beteiligung arabischer Staaten am Militäreinsatz. Die Arabische Liga hatte sich noch vor dem Sicherheitsrat für eine Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen. Das reicht nicht. Arabische Piloten müssen auch gegen Gaddafis Truppen kämpfen. Nur so lässt sich das alt-arabische Argument widerlegen, wonach der Militäreinsatz eine Aggression der Kolonialisten und Kreuzfahrer sei, die sich die Ölfelder sichern wollen.

Wenn der Westen und wenigstens einige arabische Staaten den Einsatz gemeinsam verantworten, haben die Aufständischen eine Chance, Gaddafi zu stürzen. Dann verringert sich die Gefahr, dass am Mittelmeer ein Bürgerkrieg entsteht, der die Region auf Jahre destabilisiert. Und dann besteht Hoffnung, dass der Westen in der arabischen Welt an Glaubwürdigkeit gewinnt - und vielleicht auch einige der arabischen Führer.

© SZ vom 21.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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