Krieg im Jemen:Jemen wird belagert und ausgehungert

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Menschen durchsuchen in der jemenitischen Haupstadt Sanaa die Trümmer eines Hauses, das bei Luftangriffen der von Saudi-Arabien geführten Koalition zerstört wurde. (Foto: dpa)

Die Saudis führen Krieg gegen jemenitische Rebellen und verursachen so ein humanitäres Desaster. Das Interesse im Westen an der Katastrophe ist gering - auch, weil Europa kaum mit Flüchtlingen aus dem Land rechnen muss.

Kommentar von Moritz Baumstieger

Buthaina Muhammad Mansour ist vier oder fünf Jahre alt, so genau weiß das niemand. Und die Menschen, die über das Alter des Mädchens aus Jemen hätten Auskunft geben können, sind seit Freitag tot: Beim Bombenangriff in der Hauptstadt Sanaa starben alle acht weiteren Mitglieder ihrer Familie, fünf Geschwister, die Eltern und ein Onkel. Buthaina überlebte als Einzige in den Trümmern.

Die Bombardierung des Wohnhauses sei ein "technischer Fehler" gewesen, bedauerte ein Sprecher der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition. Das Bündnis kämpft gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, die Sanaa und andere Gebiete im Westen Jemens überrannt haben und wohl von Iran unterstützt werden. Dass der Erzrivale im eigenen Hinterhof Einfluss ausübt, will Saudi-Arabien unbedingt verhindern - "technische Fehler" passieren dabei recht häufig. Allein vergangene Woche starben nach UN-Angaben 42 Menschen durch Luftangriffe. Seit Beginn der Intervention 2015 mussten 8400 Zivilisten ihr Leben lassen, 40 000 wurden verletzt.

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Die Zahl der Opfer ist schlimm, die meisten wären bei zurückhaltenderer Kriegsführung wohl vermeidbar gewesen. Doch die eigentliche Tragödie Jemens ist unfassbar viel größer und ebenfalls menschengemacht: Neben den Kriegshandlungen selbst sorgen vor allem deren Folgen dafür, dass sich im ärmsten arabischen Land nach Einschätzung der Vereinten Nationen die derzeit größte humanitäre Katastrophe der Welt entwickelt.

Belagerung, Bomben, Cholera - es kann kaum schlimmer werden

Einzelschicksale wie das der kleinen Buthaina lassen sich einfacher begreifen als die Zahlenreihen, die von den Statistikern des Elends in alarmierende Berichte gepackt werden. Dennoch sollte man zumindest versuchen zu verstehen, was im Falle Jemens hinter den abstrakten Angaben steht: Weil viele Bombenangriffe auf die Infrastruktur zielen, haben mittlerweile 16 Millionen der 27 Millionen Einwohner keinen Zugang zu sauberem Wasser mehr. Das hat zum Ausbruch einer Cholera-Epidemie geführt, wie sie die Welt lange nicht mehr kannte: 500 000 Menschen sind infiziert, mehr als 2000 gestorben - an einer Krankheit, die mit ein bisschen Antibiotika meist schnell behandelt wäre.

Doch die medizinische Versorgung bleibt aus: Die Hälfte aller Krankenhäuser sind zerstört, nur 30 Prozent der benötigten Medikamente kommen ins Land. Die Militärkoalition hat den wichtigsten Hafen für den Import zerbombt und verhindert seit einem Jahr, dass Maschinen am Flughafen Sanaa landen.

Saudi-Arabien will die Huthi-Rebellen so vom Nachschub abschneiden, bis sie irgendwann aufgeben. Mit modernsten Waffen wird eine mittelalterliche Belagerungstaktik durchgesetzt und ein ganzes Volk ausgehungert. Stärker als die Kämpfer, die sich mit Waffengewalt nehmen, was sie brauchen, trifft die Blockade die Bevölkerung. Mehr als 80 Prozent der Jemeniten sind auf Unterstützung angewiesen; weil die aber kaum gewährleistet werden kann, hungern an der Südspitze der Arabischen Halbinsel sieben Millionen Menschen.

Die Welt nimmt kaum Notiz. Die USA und die Briten unterstützen das saudi-arabisch geführte Bündnis. Auch Deutschland liefert Waffen: 2016 allein an die Vereinigten Arabischen Emirate, die an der Koalition beteiligt sind, im Wert von 189 Millionen Euro, an Saudi-Arabien für 99 Millionen. Wäre Jemen nicht aufgrund seiner Lage von den internationalen Fluchttrouten abgeschnitten und wären seine Bewohner nicht zu arm, um Schleuser zu bezahlen - im Westen wäre das Interesse an dem Konflikt ungleich größer. So aber stirbt in Jemen alle zehn Minuten ein Kind unter fünf Jahren an den vermeidbaren Folgen der Kämpfe. Wie viele Gleichaltrige zu Waisen werden wie Buthaina Muhammad Mansour, wird nicht einmal mehr gezählt.

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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