Klimapolitik der SPD:Mehr Umweltpolitik wagen

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Klimawandel, Öl- und Wasserknappheit und Zerstörung der Arten, gepaart mit Armut und weiteren 1,5 Milliarden Menschen: Das wird negative Folgen haben, die weit jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Die SPD hätte die Ökologie schon zu Zeiten Willy Brandts zu ihrer Sache machen müssen. Doch will sie das überhaupt?

Ein Gastbeitrag von Michael Müller

Vier Wochen hielt extremes Hochwasser Deutschland in Atem, seit 500 Jahren waren die Pegel von der Donau bis zu Elbe nicht mehr so hoch. Die zweite Sintflut in nur elf Jahren wurde ausgelöst durch Mittelmeer-Tiefs, die feuchte Meeresluft nach Deutschland pumpten, die als Starkregen an den Mittelgebirgen herunterkam. Wetterextreme hat es immer gegeben, aber sie werden heftiger und häufiger. Der Mensch formt die Natur. Im Klimabericht des Deutschen Bundestages von 1990 steht: Mit der Erderwärmung kommt es zu Verschiebungen der atmosphärischen Zirkulation, extreme Wetterlagen werden zunehmen. Der Deutsche Wetterdienst erwartet in diesem Jahrhundert 50 Prozent mehr Starkregen.

Die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt eskalieren, die Evolution wird in neue Bahnen gelenkt, die Fähigkeit des Erdsystems, sich selbst zu regulieren, wird untergraben. Die Alternative heißt gestalten oder zerstören. Doch der Wachstums- und Beschleunigungswahn ist ungebrochen. Kaum ging das Hochwasser zurück, wird im Bundestag wieder das alte Lied angestimmt: Wachstum, Wachstum! Das kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen einer radikal veränderten Welt sein. Willy Brandt forderte schon 1980 bei der Vorstellung des Nord-Süd-Berichts, "von der ständigen Verwechselung zwischen Wachstum und Entwicklung wegzukommen".

Im Herbst 1988 ging Brandt noch einen Schritt weiter. Bei einem Treffen in seiner Wohnung in Unkel stellte er sich ganz persönlich die Frage: Hätte ich mich nicht deutlicher an die Seite von Erhard Eppler stellen sollen, der die Alternative "Ende oder Wende" erkannt hatte? Die SPD hätte die Sache der Ökologie auch zu ihrer machen müssen, um sie eng mit der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden, zumal Brandt den Grünen nicht die programmatische Kraft und politische Glaubwürdigkeit zutraute, die für die Verbindung von sozialer und ökologischer Modernisierung notwendig ist. Aber auf diesen Zusammenhang kommt es an, um nicht nur anzuklagen, sondern wirklich zu verändern.

Schlimmer als vom Weltklimarat befürchtet

Im vergangenen Jahrzehnt ist der Kohlendioxid-Ausstoß stärker gestiegen, als der Weltklimarat selbst in pessimistischen Szenarien befürchtet hat. Die erste Schlacht gegen die Erderwärmung ist bereits verloren. In 30 Jahren wird die "rote Linie", die globale Erwärmung um zwei Grad Celsius, überschritten sein und zuerst die ärmsten Regionen treffen. Der amerikanische Ökonom William Cline vom Peterson Institute kommt zu dem Ergebnis, dass 29 Entwicklungsländern ein Verlust von mindestens 20 Prozent des Ernteertrags droht. Nach Schätzung der Vereinten Nationen werden in zehn Jahren mindestens zwei Milliarden Menschen in Slums leben, meist in Megacitys, die auch gewaltige Umweltschäden verursachen. Der Höhepunkt von Easy Oil, Grundlage der motorisierten Mobilität, wurde bereits 2008 erreicht. Die schnelle Fortbewegung droht zum Luxus zu werden.

Bericht der Internationalen Energieagentur
:Erderwärmung erreicht "gefährliche Schwelle"

Die Treibhausemissionen steigen auf Rekordwerte. Experten fordern einen radikalen Umbau der Energiebranche.

Von Markus Balser, Berlin

Das Zusammenspiel von Erderhitzung, Öl- und Wasserknappheit und Zerstörung der Arten mit Armut und weiteren 1,5 Milliarden Menschen wird negative Synergien erzeugen, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Es wird alle treffen, dennoch verteilen sich die Folgen höchst ungerecht, wobei die größten Schäden in den ärmsten Schichten und Regionen angerichtet werden. Eine Entwicklung, die mit der Tragfähigkeit der Erde vereinbar ist, zielt von daher zuerst auf mehr Gleichheit. Eine Welt, in der weder Übermaß noch Mangel herrschen sollen, muss dem öffentlichen Wohl absoluten Vorrang vor individuellem Reichtum einräumen. Das ist noch wichtiger als neuartige Technologien und ausgefeilte Umweltgesetze.

Wolkenkratzer statt Ökologie

Aber noch immer werden gewaltige Summen für den Bau von Wolkenkratzern und für Spekulationsgewinne verschwendet, statt in die Energieeffizienz und ökologische Kreislaufwirtschaft, Bildung und Armutsbekämpfung zu investieren. Die Internationale Energieagentur schätzt die Kosten für die Halbierung der Treibhausgase bis zum Jahr 2050 auf rund 35 Billionen Euro. Die Industriestaaten, die noch immer knapp 50 Prozent emittieren, wenden gerade drei Prozent für die Beseitigung der Schäden auf. Nur wenn die beiden Jahrhundertaufgaben soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit zu einer Einheit werden, kann Politik gestalten statt nur zu reagieren.

Was ist also, wenn sich die wichtigste Herausforderung - wie im vergangenen Jahrhundert - auch diesmal an die SPD stellt? Brandt sah in der Idee der Nachhaltigkeit, die Langfristigkeit über Kurzfristigkeit stellt, den Mutterboden für neuen Fortschritt. Aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde auf den alten Gleisen weitergefahren. Bis heute wird Nachhaltigkeit, obwohl sie aus der sozialdemokratischen Programmatik kommt, in der SPD mit spitzen Fingern angefasst. Lange hielt sie an der Überzeugung fest, es müsse mehr und mehr produziert werden, damit auch die Arbeiter an Bildung und Wohlstand teilhaben können. Wenn Sozialdemokraten von der Erhaltung der Natur sprechen, klingt im Unterton oft die Angst mit, man wolle ihnen das Auto wegnehmen und das Erreichte zurückdrehen.

Befreiung vom ökonomischen Einheitsdenken

Dabei verlangen nicht nur die ökologischen Herausforderungen, sondern auch die alte und neue soziale Frage, dass wir uns von dem ökonomischen Einheitsdenken befreien, das sich den Erwartungen der Märkte unterordnet. Im Wahlkampf der SPD kommt die Ökologie aber kaum vor. Natürlich stehen im Wahlprogramm Aussagen zur ökologischen Modernisierung, sogar das Ziel, die Umwelt- und Naturschutzverbände zum Anwalt der Natur zu machen. Beschlossen und aus.

Klimawandel
:"Die nachfolgenden Generationen werden uns Klimaforscher verfluchen"

Nach dem Petersberger Klimadialog hat Umweltminister Peter Altmaier versucht, Optimismus zu verbreiten. Lutz Wicke sieht dazu keinen Anlass. Für ihn befinden wir uns in einer "absolut verzweifelten Situation". Und daran, so erklärt er im Interview, sind auch Klimawissenschaftler wie er selbst verantwortlich.

Von Markus C. Schulte von Drach

Peer Steinbrück, der früher selbst in diesem Bereich gearbeitet hat, sagt wenig bis nichts dazu, viele Genossen finden es falsch, dass ihr Kandidat Angela Merkels vielleicht größtes Versagen, die gestrandete Energiewende, so wenig kritisiert und auch, dass Klima- und Umweltpolitik nicht mehr stattfindet. Die Ökos werden in der SPD geduldet, auch gehört, aber nicht wirklich akzeptiert. Uli Kelber, verantwortlich für Umweltpolitik in der Bundestagsfraktion, landete nur auf Platz 56 der Landesliste der SPD-NRW.

Politik ist nur möglich, wenn die Zusammenhänge verstanden und längerfristige Entwicklungen erkannt werden. Die Ökologie ist ins Zentrum gerückt. Als Partei, die von der Idee des Fortschritts geprägt wurde und eine solidarische Gesellschaft will, muss die SPD diese Herausforderung annehmen - mit neuen Antworten. Dem Wahlkampf würde eine solche Politisierung nur guttun, denn dann geht es um eine wirkliche Alternative.

Michael Müller, 65, war Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium (2005-2009). Er ist Vorsitzender der Naturfreunde Deutschlands und war Sachverständiger in der Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität.

© SZ vom 16.07.2013/mike - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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