Klimawandel:"Die nachfolgenden Generationen werden uns Klimaforscher verfluchen"

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Nach dem Petersberger Klimadialog hat Umweltminister Peter Altmaier versucht, Optimismus zu verbreiten. Lutz Wicke sieht dazu keinen Anlass. Für ihn befinden wir uns in einer "absolut verzweifelten Situation". Und daran, so erklärt er im Interview, sind auch Klimawissenschaftler wie er selbst verantwortlich.

Von Markus C. Schulte von Drach

In Berlin hat gerade der vierte internationale Petersberger Klimadialog stattgefunden, auf dem der UN-Klimagipfel im November in Warschau vorbereitet werden sollte. Vertreter aus 35 Staaten, darunter die USA, Russland, Indien, China und Australien, haben über ein mögliches Klimaschutzabkommen diskutiert, das bis 2015 abgeschlossen sein soll. Klimaforscher Lutz Wicke vom Institut für UmweltManagement an der Wirtschaftshochschule ESCP Europe und ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt, hält ein solches Abkommen ebenfalls für dringend notwendig. Allerdings, so seine Forderung, müsse dieses ganz anders aussehen als die bisherigen internationalen Vereinbarungen. Damit es soweit kommt, fordert er die Klimaforscher weltweit auf, gemeinsam stärkeren Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Süddeutsche.de: Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat erklärt, man sei sich einig, dass alle Staaten die Emissionen stärker reduzieren müssen, um eine Erderwärmung von mehr als zwei Grad Celsius bis 2100 zu verhindern. Gibt es einen Grund zum Optimismus?

Lutz Wicke: Überhaupt nicht. Die Klimapolitik ist in einer absolut verzweifelten Situation. Wir müssen damit rechnen, dass die Temperatur stärker steigt, selbst wenn alle bisher vereinbarten Maßnahmen umgesetzt würden. Ein neuer Klimavertrag könnte die allerletzte Chance sein, wirklich noch etwas für den Klimaschutz zu stemmen. Aber weder die Politik, noch die Klimawissenschaft haben es geschafft, die bisherigen Abkommen auf die Konstruktionsfehler hin zu analysieren, noch vernünftige Vorschläge zu diskutieren, wie sich die Erderwärmung doch noch bremsen ließe.

Schon eine Erderwärmung um zwei Grad soll dramatische Folgen haben, mehr Dürren, mehr Stürme, mehr Hunger, mehr Flüchtlingsströme ...

Und wenn es weltweit im Schnitt vier Grad werden, bedeutet das etwa für die Mittelmeerregion eine Erhöhung von acht Grad. Dann haben wir dort im Sommer Hitzewellen wie in der Sahara. Die Lebensräume von Milliarden Menschen werden zerstört. Zuletzt haben sogar die Weltbank und die Internationale Energiebehörde IEA vor solchen Szenarien gewarnt. Und was nach 2100 sein wird, darüber wagt niemand nachzudenken.

Dafür, dass bislang nicht mehr für den Klimaschutz getan wurde, werden vor allem die Politiker verantwortlich gemacht. Sie üben aber auch Kritik an den Klimawissenschaftlern.

Die Forscher haben in einem Punkt eine wahre Spitzenleistung gebracht: Sie haben der Welt überzeugend dargelegt, dass der Klimawandel real ist und furchtbare Folgen haben wird, wenn nichts getan wird. Dazu ist der Weltklimarat IPCC zu recht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Aber in einem anderen Punkt haben sie total versagt: Im Klimarahmenvertrag der Vereinten Nationen wurde festgelegt, dass gefährliche Störungen des Weltklimas verhindert werden sollen. Die Störungen sind sogar katastrophal. Aber zu ihrer Verhinderung haben die Forscher fast nichts getan.

Ist das denn tatsächlich ihre Aufgabe?

Sie hätten die politischen Führer angemessen beraten müssen. Das ist nicht geschehen. Selbst Klimapolitiker sind aber nicht Experten genug, um im Einzelnen sagen zu können, wie Vereinbarungen konstruiert sein müssen, damit die notwendigen Verringerungen der Emissionen erreicht werden. Im Kyoto-Protokoll von 1997 steht, dass bis zum Jahr 2008 analysiert werden soll, ob sich die Ziele mit dem vereinbarten Maßnahmen überhaupt erreichen lassen. Ab 2005 hätte schon ermittelt werden können, dass das nicht der Fall ist. Das wurde unterlassen, weil niemand sich die Finger verbrennen wollte, indem er sagt, dass das System, das ja gerade erst zu arbeiten begonnen hatte, einfach nicht geeignet ist.

Warum war das so?

Unter Klimawissenschaftlern selbst ist zu hören, dass es die Ansage aus der Politik war, über nichts anderes zu diskutieren als über die bestehenden Vereinbarungen, diese selbst aber nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Es hieß außerdem immer, wenn erst die USA und die Chinesen mitmachen, dann funktioniert es. Seitdem haben wir eine deutliche jährliche Zunahme der Klimagase. Wir laufen sehenden Auges in die Katastrophe.

Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie die Vereinbarungen des Kyoto-Protokolls in einer besseren Form in die Zukunft übernommen werden können. Schon das ist offenbar schwierig. Nun sagen Sie, das System selbst ist falsch?

Es ist glasklar, dass die Staaten weltweit nicht in der Lage sind, sich angemessen zum Ausstoß von weniger Klimagasen zu verpflichten oder diese Verpflichtungen einzuhalten. Sie können ihre Bürger und die Wirtschaft nämlich nicht so beeinflussen, dass diese das akzeptieren. Solche Aspekte wurden nicht angemessen analysiert oder sogar ignoriert.

Es gab aber doch Vorschläge, auch von Ihnen, gemeinsam mit Hans Joachim Schellnhuber aus dem Umwelt-Beirat der Bundesregierung.

Ich möchte hier nicht unseren Vorschlag oder die von anderen im Einzelnen empfehlen. Es ließen sich aus der Fülle der wissenschaftlichen Literatur jedenfalls weitere Alternativen entwickeln. Selbst manche Politiker haben sogar signalisiert, dass sich darüber nachdenken ließe. Angela Merkel hat 2007 einen Ansatz angesprochen, der ursprünglich aus Indien stammt: Jeder Mensch hat das Recht auf die gleiche Emission von Kohlendioxid.

Und was bringt eine solche Feststellung?

Ausgehend vom jährlichen weltweiten Ausstoß von Kohlendioxid - etwa 35 Milliarden Tonnen - kommt man auf eine Pro-Kopf-Menge von fünf Tonnen weltweit. Diese Menge könnte man jedem einzelnen Menschen zusprechen. Ein Land, das weniger Kohlendioxid ausstößt als seiner Bevölkerung insgesamt zustünde, könnte Emissionsrechte an Länder verkaufen, die mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, als es der Größe ihrer Bevölkerung angemessen ist. Das wäre gerecht und würde letztlich die Entwicklung klimafreundlicher Technologie fördern. Dann ließe sich die Menge von Klimagasen, die ausgestoßen werden, reduzieren.

Eine andere Idee ist eine Abgabe auf Kohle, Gas und Öl, so dass die Energieträger teurer werden. Das würde zu geringerem Verbrauch führen und zur Entwicklung klimafreundlicher Technologie. Es gibt etwa 120 Staaten, die ernsthaft etwas gegen den Klimawandel tun wollen. Mit einem vernünftigen Vorschlag könnten diese mit ihrer Mehrheit in der UN etwas durchsetzen.

Und wieso werden solche Ideen nicht ernsthaft diskutiert?

Unter anderem, weil die Klimawissenschaftler sich hier viel zu sehr zurückgehalten haben. Ich hatte 2007 im Kanzleramt nachgefragt, was denn aus dem Gedanken zu den Emissionsrechten geworden sei. Es hieß dort, niemand wäre darauf eingestiegen, keine Politiker - nicht einmal aus Indien - noch die Klimawissenschaftler. Aber den Gedanken hätte man sofort aufnehmen können und müssen.

Herr Schellnhuber hat in einem Interview gesagt, die Rolle der Klimaforschung bleibe weiterhin auch, geeignete Lösungswege zu identifizieren.

Aber es gibt keinen gemeinsamen Auftritt der internationalen Klimaforscher. Wer versucht, andere dazu zu bewegen, macht die Erfahrung, dass die meisten Kollegen dann eher an die Interessen ihrer Institute, ihrer Leute und ihre eigenen denken.

2012 konnten führende Wissenschaftler, darunter zehn Nobelpreisträger, auf der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro den Regierungschefs ein gemeinsames Memorandum vorlegen. Die Ergebnisse der Konferenz Rio+20 sind selbst Angela Merkel zufolge aber hinter dem zurückgeblieben, was notwendig gewesen wäre.

Die Wissenschaftler hätten hartnäckiger sein müssen. Es wäre eine ständige, dem Ceterum Censeo von Cato ähnliche Wiederholung ihrer Forderung notwendig gewesen: Im Übrigen sind wir der Meinung, dass das bestehende Vertragswerk zum Klimaschutz verbessert werden muss. Es reicht nicht, nur einmal einen guten Vorschlag zu machen. Wenn die Klimawissenschaftler wirklich geschlossen immer wieder angemessene Maßnahmen gefordert hätten, dann wären sie vielleicht auch nicht überhört worden. Und wenn sie das nicht jetzt endlich tun, dann müssen wir uns eingestehen: Die Klimawissenschaft und die Klimapolitik ist gescheitert. Und dann geht es nur noch darum, die Auswirkungen zu beurteilen und Maßnahmen zu entwickeln, um die Folgen zu mildern.

Sie machen den Wissenschaftlern heftige Vorwürfe, gehören aber selbst doch auch zu ihnen.

Ich mache mir auch selbst Vorwürfe. Ich habe zwar auf Fehler hingewiesen, aber am Ende ist es mir auch nicht gelungen, etwas zu bewegen. Und nun steht die Klimapolitik mit leeren Händen da.

Aber sind Klimawissenschaftler denn überhaupt die richtigen, um internationale Verträge aufzusetzen?

Wenn wir das bislang nicht konnten, hätten wir es lernen müssen. Wer, wenn nicht wir, sollte den Politikern, die wir auf den Klimakonferenzen treffen, konkrete Vorschläge machen? Die Klimaforschung kann sich nicht darauf beschränken, nur Computermodelle zu entwickeln. Dafür ist die Sache zu wichtig und dramatisch. Und die Politik muss bereit sein, Forschung zu finanzieren, die versucht, bessere Möglichkeiten zu entwickeln, wie die Welt sich auf angemessenen Klimaschutz einigen kann.

Ihr Kollege Hans von Storch vom Institut für Meteorologie der Uni Hamburg hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er kritisiert, dass die Klimawissenschaftler bereits jetzt eine zu große Nähe zur Politik eingegangen seien. Das gefährde die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.

Ich sehe das überhaupt nicht so. Es gibt keinen Wissenschaftsbereich, der ein eindeutig definiertes Ziel hat - nur die Klimaforschung! Denn es gibt diesen Auftrag aus der Klimarahmenkonvention der UN. Da kann die Wissenschaft nicht so tun, als ginge sie das nichts an. Wir können nicht eine Diagnose stellen und dann aufhören. Wir müssen auch versuchen, zu verhindern, dass die Prognosen eintreten. Es geht um das Schicksal der nachfolgenden Generationen. Da können wir Wissenschaftler nicht neutral bleiben.

Aber die Klimawissenschaftler sind in der Vergangenheit schon in die Kritik geraten, weil Daten nicht korrekt dargestellt worden sind. Sind die Erkenntnisse überhaupt so vertrauenswürdig, dass die Wissenschaftler den Politikern auf dieser Grundlage sagen können, was zu tun ist?

Die Modelle müssen immer wieder korrigiert werden, das ist völlig klar. Aber inzwischen sind die größten Schwierigkeiten vom Anfang der Klimaforschung überwunden. Auch im nächsten Sieben-Jahres-Bericht des Weltklimarats IPCC wird es sicher wieder leichte Korrekturen früherer Prognose geben. Aber die Gewissheit, wie es weitergehen wird, wird dann noch größer. Und wir können damit rechnen, dass er die schlimmen Befürchtungen, die auch Weltbank und IEA hegen, bestätigen wird. Bei business as usual wird es demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Steigung der Temperatur um sechs Grad bis 2100 geben. Dadurch werden die Lebensräume für Milliarden von Menschen zerstört. Und was danach kommt, daran wagt schon kein Mensch mehr zu denken.

Wenn wir jetzt nichts unternehmen, dann werden auch wir Klimaforscher von den nachfolgenden Generationen verflucht werden dafür, dass wir nicht genug getan haben, um die Katastrophen zu vermeiden - obwohl gerade wir doch wussten, was passieren wird.

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