Katalonien:Puigdemonts Schicksalstag

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Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont nimmt an einer Zeremonie in Gedenken an den Todestag von Lluis Companys am 15.10.2017 auf dem Montjuic Friedhof in Barcelona teil. (Foto: dpa)
  • Bis um 10 Uhr am Montagmorgen hat Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont Zeit, sich Madrid zu erklären.
  • Nach seiner Parlamentsrede am 10. Oktober herrschte zunächst Unklarheit, ob er die Unabhängigkeit der Region erklärt hatte oder nicht.
  • Was immer Puigdemont verlauten lässt: Er kann nur verlieren. Entweder setzt ihn Madrid ab - oder die katalanischen Neomarxisten.

Von Thomas Urban, Madrid

Vor dem Ablaufen des Ultimatums, das über seine politische Zukunft entscheidet, hat der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont seine Anhänger und Gegner weiter im Ungewissen über seine Reaktion gehalten. Die spanische Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte ihn aufgefordert, sich bis Montag um zehn Uhr zu erklären, ob er in der vergangenen Woche in einer verklausulierten Rede vor dem Parlament in Barcelona die Unabhängigkeit der Region ausgerufen oder deren Ausrufung lediglich angekündigt habe. Rajoy hatte hinzugefügt, dass eine Unabhängigkeitserklärung unweigerlich zur Absetzung der Führung in Barcelona nach Artikel 155 der Verfassung führen würde. Der Artikel sieht die Aussetzung der autonomen Rechte einer Region vor. Er wurde bislang noch nie angewandt.

Dagegen wiederholte der Vorsitzende der Linksrepublikaner Kataloniens (ERC), Oriol Junqueras, seine Forderung, Puigdemont solle am Montag eindeutig die Unabhängigkeit ausrufen. Junqueras, ein Universitätsdozent für Geschichte, ist sein Vertreter in dem Parteienbündnis "Gemeinsam für das Ja" (Junts pel Sí - JxS), das liberalkonservative Gruppierungen gemeinsam mit der ERC gegründet haben, um die Sezession Kataloniens vom Königreich Spanien voranzutreiben. In der Regierungskoalition in Barcelona führt er das Wirtschaftsministerium. Von 2009 bis 2012 war er Abgeordneter des Europa-Parlaments und gehörte dort der Fraktion der Grünen an.

Puigdemont steht vor einem Dilemma

Ihre Forderung nach einer sofortigen Unabhängigkeitserklärung wiederholte auch die neomarxistische Gruppierung "Kandidatur für die Volkseinheit" (CUP), von deren Stimmen das Kabinett Puigdemont/Junqueras im Parlament zu Barcelona abhängig ist. Die CUP-Abgeordneten drohten, dass sie andernfalls die Regierung zu Fall bringen. Puigdemont steht vor einem Dilemma: Er würde von Madrid abgesetzt, falls er die Ausrufung der Unabhängigkeit bestätigen sollte. Sollte er dies aber nicht tun, so würden ihn die Neomarxisten der CUP stürzen.

Allerdings hatte er wiederholt erklärt, dass ihm an dem Amt des Regionalpräsidenten nicht viel liege, vielmehr wolle er sich aus der ersten Reihe der Politik zurückziehen. In den vergangenen Wochen haben ihm zahlreiche Politiker aus allen großen EU-Staaten in informellen Gesprächen klar gemacht, dass Katalonien keine Chance habe, als unabhängiger Staat anerkannt zu werden. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk forderten ihn öffentlich auf, von der Ausrufung der Republik Katalonien Abstand zu nehmen.

Die 1934 ausgerufene Republik Katalonien scheiterte

Allerdings berief sich der Linksrepublikaner Oriol Junqueras in einer Erklärung am Wochenende auf das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober, bei dem 90 Prozent der Wähler sich für die Sezession von Spanien ausgesprochen hatten; doch lag die Beteiligung nur bei 43 Prozent. Das Verfassungsgericht hatte den Urnengang für illegal erklärt, die nationale Polizei hatte bei teilweise brutalen Einsätzen einen kleinen Teil der Wahlurnen und Stimmzettel beschlagnahmt.

Der spanische Regierungschef Rajoy führt diese geringe Beteiligung als Argument für seinen Standpunkt an, dass die Mehrheit der insgesamt 7,5 Millionen Einwohner Kataloniens die Unabhängigkeit nicht aktiv unterstütze. Auch bei den Regionalwahlen von 2015 waren JxS und CUP zusammen nur auf 48 Prozent der Stimmen gekommen, bei einer Wahlbeteiligung von 77 Prozent. In gleicher Weise hatten sich bei Umfragen, die von der Generalitat, der Regierung in Barcelona, in Auftrag gegeben worden waren, fast durchweg weniger als unter 40 Prozent für die Unabhängigkeit ausgesprochen.

Die von Junqueras geführten Linksrepublikaner sind die treibende Kraft bei dem katalanischen Unabhängigkeitsprojekt. Bereits 1934 hatte ihr Führer, der damalige Regionalpräsident Lluís Companys, die Republik Katalonien ausgerufen. Doch wurde er noch am selben Tag von einer Armee-Einheit verhaftet. Nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs wurde er 1940 vom Franco-Regime zum Tode verurteilt und erschossen.

Puigdemont nahm am Sonntag gemeinsam mit Junqueras an einer Gedenkfeier zum 77. Todestag Companys' teil. In seiner kurzen Ansprache erklärte Puigdemont lediglich, seine Regierung sehe sich "Frieden und Demokratie verpflichtet".

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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