Kanzlerin in Moskau:Was Merkel offen aussprechen sollte

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Wie deutlich kann Deutschland Kritik am System Putin äußern, ohne seinen eigenen Interessen damit zu schaden? Der Besuch von Angela Merkel in Moskau könnte ein Testlauf dafür sein. Natürlich ist es nicht Aufgabe der Deutschen, Russland zu demokratisieren. Doch ebenso wenig sollten sie über die Missstände in einem erstarrten Herrschaftssystem hinwegreden.

Daniel Brössler, Berlin

Illusion "Modernisierungspartnerschaft": Angela Merkel und Wladimir Putin im Juni in Berlin. (Foto: dpa)

Seit einigen Jahren schwebt über Deutschland und Russland eine verbale Wolke, genannt "Modernisierungspartnerschaft". Das Nebulöse dieses Begriffes ist seine Stärke. Verschiedene Betrachter können sich ganz Unterschiedliches darunter vorstellen, und doch so tun, als redeten sie vom selben.

Nicht die Kritik an Unrecht in Russland ist das eigentlich Brisante der Entschließung, die der Bundestag Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Reise nach Moskau an diesem Freitag mitgegeben hat. Es ist das Eingeständnis, was die Modernisierungspartnerschaft wirklich ist: eine große Illusion.

In Deutschland ist diese Partnerschaft immer als wunderbare Nachbarschaftshilfe vermarktet worden. Als Mittel, Russland dabei zu helfen, zu einer rechtsstaatlichen, demokratischen Marktwirtschaft zu werden, wovon ja dann die Deutschen etwas hätten als Empfänger zuverlässiger Energielieferung und als Exporteure teurer Technologie. Die Sache hatte stets einen Haken, den Dmitrij Medwedjew während seiner Jahre im Kreml nur geholfen hatte zu verschleiern: Die russische Führung ist auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in etwa so versessen wie auf Pockenviren.

Der Bundestag nennt Putins Politik "anderes Modernisierungskonzept"

Das zeigt ein Blick auf das Wirken des Wladimir Putin seit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt im Mai. Gesetze erschweren den Protest, diffamieren Organisationen mit ausländischen Geldgebern als Agenten und bedrohen Oppositionelle mit Strafvorschriften gegen Verleumdung. Wie gewohnt dient die gelenkte Justiz der Macht als Waffe. Das harte Urteil gegen die Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot war dabei nur das am meisten beachtete Beispiel. Das moderne Russland Putins ist der effiziente Geheimdienststaat. Der Bundestag nennt das ein "anderes Modernisierungskonzept".

Im Unterschied zu früher gibt es in Berlin keinen wirklichen Dissens mehr darüber, was vom System Putin zu halten ist. Der Streit, der sich auch während der Vorbereitung der Bundestagsentschließung entfaltet hat, geht um die Frage, wie offen das ausgesprochen werden darf. Das Auswärtige Amt, aber auch Vertreter der Wirtschaft, verweisen auf deutsche Interessen.

Der Fall Pussy Riot
:"Ich habe keine Angst vor euren Lügen"

Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochin und Jekaterina Samuzewitsch: als Mitglieder der Punk-Band "Pussy Riot" wurden sie zum Symbol des russischen Widerstands - weltweit. Ihre "Punk-Andacht", die Verhaftung und die kämpferischen Auftritte vor Gericht:

in Bildern.

Es sind dies legitime Interessen wirtschaftlicher Natur und der ebenso legitime Wunsch, mit Russland etwa im Falle Irans und Syriens zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen. Wer aber argumentiert, das alles werde durch zu offene Kritik gefährdet, offenbart die Natur einer Partnerschaft, in der sich Interessen, Illusionen und Propaganda mischen.

Das klingt hässlich, war aber stets offenkundiger Teil eines deutsch-russischen Gegengeschäftes. So zynisch Putin sein Herrschaftssystem ausgebaut haben mag, so sehr war er immer auch auf eine demokratische Kulisse angewiesen, bei der die Freundschaft zu Deutschland nicht der unwichtigste Teil ist.

Im Neuen Museum in Berlin ist dieser Tage eine Ausstellung über Russen und Deutsche zu sehen, entwickelt vom Kulturministerium in Moskau und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dem Hitler-Stalin-Pakt ist da ein einziges Exponat gewidmet. Diese Kunst der Weglassung zeigt die Gefahren einer Freundschaft, die auf Unehrlichkeit gründet. Darin liegt auch die Crux des halbstaatlichen Petersburger Dialoges.

Es ist dies nicht der erhobene Zeigefinger, der in Deutschland Kritikern des Systems Putin regelmäßig vorgeworfen wird. Die Kritik gilt weder "dem russischen Volk" noch jener mutmaßlichen Mehrheit, die in unfairen Wahlen für Putin gestimmt hat. Eine Demokratie aber kann unmöglich Unrecht wie jenes in Russland verschweigen oder beschönigen, ohne selbst Schaden zu nehmen.

Russland-Beauftragter Schockenhoff handelt richtig

Es gibt auch kein Neutralitätsgebot - im Gegenteil. Der autoritäre russische Staat kann engagierte Bürger als Hochverräter diffamieren, kann Organisationen den Zugang zu Geld aus dem Ausland erschweren, aber er kann es nicht verhindern, dass die Sympathie freier Europäer jenen gehört, die unter größtem Druck für ein demokratisches Russland eintreten.

Solidarität mit Pussy Riot
:Mit Häkelmaske und Kettensäge

Seit das Moskauer Gericht die drei Mitglieder der Punk-Band "Pussy Riot" verurteilte, solidarisieren sich Aktivisten auf der ganzen Welt mit den Musikerinnen. In diesem Jahr waren sie sogar auf dem Karneval vertreten.

Aus diesem Grund ist es richtig, wenn der deutsche Russland-Beauftragte Andreas Schockenhoff offen seine Sorgen äußert. Die harsche Reaktion darauf zeigt, dass die Mahnungen den Empfänger erreichen. Natürlich werden sie das Regime nicht erschüttern, ebenso wenig wie sie den deutsch-russischen Handel zum Erliegen bringen werden. Der folgt nämlich dem Profitinteresse auf beiden Seiten.

Und natürlich ist es nicht Aufgabe der Deutschen, Russland zu demokratisieren. Das ist Sache der Russen. Die städtischen Eliten hat Putin bereits verloren. Der Ausgang des Kampfs um Russlands Zukunft ist mindestens offen. Ebenso wenig aber ist es Aufgabe der Deutschen, einem erstarrten Herrschaftssystem einen modernen Anstrich zu verpassen.

© SZ vom 16.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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