Justiz:Gerichte müssen keine Angst vor der Kamera haben

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Mit einem klaren Nein weisen die Bundesgerichte die Idee zurück, ihre Urteile im Fernsehen übertragen zu lassen. Sie verkennen die Chancen der Live-Verkündungen..

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Als vor anderthalb Jahrzehnten die krawalligen Gerichtsshows ihren Platz im Privatfernsehen eroberten, gehörte es bei Juristenveranstaltungen zum guten Ton, eine Portion Abscheu in die Reden zu mischen. Denn das Bildschirmspektakel war den Richtern nur ein weiterer Beleg dafür, dass niemand die Justiz mit all ihren Formen und Verfahren wirklich verstehe, schon gar nicht in dieser grellen Bilderwelt. Das alte Leiden der Richterschaft, die sich stets verkannt fühlt in ihrem Dienst an der Gemeinschaft: Es hatte neue Nahrung bekommen.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat der Justiz nun ein freundliches Angebot gemacht. Die Bundesgerichte sollen ein kleines Fensterchen öffnen dürfen, damit die Öffentlichkeit ein authentischeres Bild vermittelt bekommt. Urteilsverkündungen - wohlgemerkt: keine Verhandlungen - sollen im Fernsehen übertragen werden dürfen, und das auch nur, wenn der Vorsitzende dies erlaubt. Was das Bundesverfassungsgericht bereits seit Jahren mit Erfolg praktiziert, soll auch an den fünf Gerichtshöfen des Bundes möglich werden.

Jubel in Erfurt, weil das Bundesarbeitsgericht nun endlich in Bild und Ton zu den Arbeitnehmern sprechen kann? Genugtuung in Karlsruhe, wo der Bundesgerichtshof Recht für Mieter, Verbraucher und Anleger spricht? Freude in Leipzig, wo der Bürger beim Bundesverwaltungsgericht seinen Rechtsschutz gegen den Staat sucht? Davon ist nichts zu hören, ganz im Gegenteil. Die Spitzen der Bundesgerichte haben sich auf ein ausdrückliches Nein zu den Maas'schen TV-Plänen verständigt.

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Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen sind hierzulande verboten. Für die Urteilsverkündungen an den fünf Bundesgerichten soll sich das nun ändern - mit Einschränkungen.

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Urteile live zu verkünden, das wäre auch eine große Chance

Ihre Bedenken klingen erstaunlich kleinmütig. Separate Verkündungstermine würden nötig - weil zunächst ein kameratauglicher Text formuliert werden müsse. Bisher haben die Gerichte es immer hinbekommen, binnen weniger Stunden zwischen Verhandlung und Verkündung eine Pressemitteilung zu formulieren. Die Angst, in der "Heute-Show" vorgeführt zu werden? Bei Bundesrichtern wird man das zum Berufsrisiko rechnen müssen - das ist im Richtersold inbegriffen. Dass Live-Verkündungen die große Chance bieten, sich direkt ans Volk zu wenden, in dessen Namen man Urteile verkündet? Dass sich eine moderne Justiz ihre Legitimation auch über die Öffentlichkeit immer neu erkämpfen muss? Davon schweigen die Kritiker.

Hinter ihrer Skepsis verbirgt sich allerdings eine Sorge, die man ernster nehmen muss: dass das Gesetz nur der Türöffner sei, um Kameras auch während bestimmter Verhandlungen zu erlauben. Der amtierende Justizminister wäre umtriebig genug für den zweiten Schritt. Dann müsste wirklich eine Grundsatzdebatte geführt werden, etwa über das Persönlichkeitsrecht. Kläger, Zeugen, Angeklagte, sie alle verdienen Schutz vor dem zudringlichen Auge der Kamera.

Und es steht noch mehr auf dem Spiel. Ein Gerichtsprozess folgt einer diffizilen Logik. Es geht um Wahrheitsfindung oder Rechtsgespräche, beides sind äußerst komplexe kommunikative Situationen. Dass die Kamera dabei nur still beobachtend in der Ecke stünde, ist eine Illusion: Das Fernsehen hat die Macht, Kommunikationsstile zu verändern. Das weiß, wer täglich den nachrichtentauglichen Hauptsätzen der politischen Klasse lauscht. In mündlichen Verhandlungen wäre die Kamera also ein Störfaktor. Eine Öffnung wäre nur in Ausnahmefällen sinnvoll, etwa für das Bundesverfassungsgericht, vielleicht auch für wichtige Verfahren an den Bundesgerichten, die sich meist auf einen ritualisierten Austausch rechtlicher Standpunkte beschränken.

Doch das ist eine Diskussion von übermorgen. Einstweilen geht es nur darum, die Produkte der eigenen Arbeit selbst vor der Kamera zu präsentieren. Die Gerichtspräsidenten sollten ihre Richter ermutigen, das Angebot anzunehmen.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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