Japan: Das Militär und die Aufräumarbeiten:Kampf gegen Trümmer und Schlamm

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Das Militär ist in Japan eher unbeliebt - das ändert sich, seitdem die Armee im Katastrophengebiet hilft. Die Soldaten suchen Vermisste, bergen Leichen, liefern Lebensmittel und baggern behelfsmäßige Straßen durch die Trümmer.

Christoph Neidhart, Tokio

Im japanischen Tsunami-Gebiet sind 100.000 Soldaten seit bald drei Wochen pausenlos im Einsatz. Sie suchen Vermisste, bergen Leichen, baggern behelfsmäßige Straßen durch die Trümmer und liefern Lebensmittel sowie Wasser in die Notunterkünfte. Neben der lokalen Selbsthilfe leisten sie die wichtigste Nothilfe auf dem fast 500 Kilometer langen Küstenstreifen, den der Tsunami vom 11. März zerstört hat. Auch am havarierten AKW in Fukushima sind sie in einem lebensgefährlichen Einsatz.

Japan hat offiziell gar keine Armee, sondern laut Verfassung nur "Selbstverteidigungskräfte". Deren Ansehen war bisher eher gering, das ändert sich durch die Folgen des Erdbebens. (Foto: AFP)

Dabei hat Japan gar keine Armee. Die Verfassung, die Japan nach dem Zweiten Weltkrieg von den US-Besatzern 1946 diktiert wurde, verbietet es Nippon, eine stehendes Heer zu unterhalten. Das Land darf sich nur im Falle eines Angriffs auf seinem eigenen Territorium verteidigen. Das japanische Militär nennt sich deshalb nicht "Armee", sondern "Selbstverteidigungskräfte". Bis vor zwei Jahren hatte Japan auch kein Verteidigungsministerium, sondern nur eine Selbstverteidigungsagentur. Die Rolle, die Japans Militär im Falle einer internationalen Krise spielen würde, ist unscharf definiert. Bisher haben die Japaner darauf vertraut, in einem solchen Fall von den USA verteidigt zu werden.

Passend zu ihrer diffusen Rolle genossen die - gleichwohl gut ausgerüsteten - 230.000 Soldaten bisher nicht unbedingt hohes Ansehen. Die meisten Japaner stehen hinter ihrer pazifistischen Verfassung. Dass ihr Land trotzdem eine große Armee hat, passt nicht in ihr Selbstbild. Dazu kommt, dass einige Vertreter der Selbstverteidigungskräfte mit radikalen, rechtsnationalen Meinungen an die Öffentlichkeit treten. Das missfällt vielen. Nach dem Erdbeben von Kobe 1995 sträubten sich zahlreiche Lokalregierungen, mit der Armee zusammenarbeiten. Damals leisteten Freiwillige den größten Teil der Hilfe. Das Erdbeben von Kobe gilt denn auch als Beginn einer Freiwilligen-Bewegung in Japan.

Auch dieses Mal strömten schon in den ersten Tagen nach dem Erdbeben Freiwillige in die Krisenregion. Sie brachten Wolldecken, Kleider und Lebensmittel mit und richteten Suppenküchen ein. Doch viele gelangten nicht bis zu den Überlebenden, die Straßen waren unpassierbar, und die Angst vor der Radioaktivität schreckte viele zurück.

Soldaten werden als Retter begrüßt

Anders als nach dem Erdbeben von Kobe setzte Premier Naoto Kan die Armee freilich schon wenige Stunden nach dem Tsunami in Marsch, zuerst 65.000 Soldaten, zwei Tage später wurde das Kontingent auf 100.000 aufgestockt; fast die Hälfte des Heeres. Doch auch die Soldaten im Tsunami-Gebiet beschweren sich, die Nuklearkrise behindere ihre Arbeit. Eine Kompanie des 22. Infanterie-Regiments musste ihre eigene Garnison-Stadt Tagajo bei Sendai nach den eigenen Angehörigen durchsuchen. Sie pumpten Schlamm ab, stocherten mit Suchstäben nach Opfern und fanden die Leiche einer 17-Jährigen, deren Familie mit dem Auto vor dem Tsunami zu fliehen versucht hatte. Ihre 13-jährige Schwester wird noch vermisst.

Viele Gemeinden sind bisher nur von der Armee vorsorgt worden. Sie würden überall, so die Soldaten, als Retter begrüßt. In der kurzen Zeit seit dem Erdbeben hat sich das Bild der Selbstverteidigungskräfte in der Gesellschaft grundlegend verändert. Die kompetente, entschiedene Art von Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa trägt dazu zusätzlich bei.

Auch die in Japan stationierten US-Truppen waren bisher ziemlich unbeliebt. Ex-Premier Yukio Hatoyama gewann die Wahlen 2009 auch deshalb, weil er versprochen hatte, sich gegen einen besonders umstrittenen US-Stützpunkt auf Okinawa einzusetzen. Indes starteten die in Japan stationierten US-Streitkräfte schon kurz nach dem Erdbeben ihre "Operation Tomodachi" (Freund). 20 Schiffe, darunter der Flugzeugträger Ronald Reagan, und 20. 000 US-Soldaten sind in der Region im Einsatz. Auch am havarierten AKW hilft das US-Militär.

Am Dienstag brachte eine Einheit der US Navy mit einem Amphibienfahrzeug einen mobilen Generator auf die bisher abgeschnittene Insel Oshima vor der Küste von Miyagi, auf der 1300 Menschen ohne Strom ausharrten. US-Soldaten säubern zur Zeit die Flughäfen von Sendai und Hachinohe, die der Tsunami verschlammt und verwüstet hatte, und setzen sie wieder instand. Nach dem Erdbeben von Kobe 1995 hatte die damalige Regierung von Tomiichi Murayama ausländische Hilfe noch abgelehnt. Dieses Mal sind Hilfstrupps aus 34 Ländern in Japan im Einsatz, auch Ärzte aus Israel.

© SZ vom 30.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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