Wiener Kongress:Europa feiernd neu ausgekungelt

Militärisches Fest im Prater, 1814

Zeitgenössische Darstellung des militärischen Festes im Prater am 18. Oktober 1814 anläßlich des ersten Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig während des Wiener Kongress'

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Am 18. September 1814 beginnen die Gegner Napoleons in Wien, Europa neu zu ordnen. Der Machtpoker gleicht einer Riesenparty, sorgt für kuriose Amouren und führt zu Entscheidungen, die teilweise bis heute nachwirken.

Sie trafen sich zum Maskenball oder am Karussell, sie verlustierten sich im Prater und bei Schlittenfahrten. Ob sie Strudl und Schnitzel vertilgten, ist unklar, darf aber angenommen werden. Neben den kurzweiligen Verlustierungen ordneten all die Fürsten, Diplomaten und sonstigen Strippenzieher Europa neu.

Der Wiener Kongress, der heute vor 200 Jahren begann, gilt als eine politische Großveranstaltung mit hohem Amüsier-Faktor. Mehr als acht Monate - vom 18. September 1814 bis zum 8. Juni 1815 - eilten etwa 1000 Diplomaten und Unterhändler nicht nur von Sitzung zu Sitzung, sondern auch von Ball zu Ball. Oft übrigens - direkt neben der Hofburg gelegen - ins Palais am Ballhausplatz, wo heute der österreichische Bundeskanzler seines Amtes waltet.

Manchmal kommen dort ein paar Touristen vorbei und knipsen. Und wenn Wahl ist, steht in der Nähe auch schon mal ein Zelt der SPÖ. Aber ansonsten ist es inzwischen ziemlich fad am Ballhausplatz. Ganz anders vor 200 Jahren: Das legendäre Bonmot des Fürsten Charles Joseph de Ligne "Der Kongress tanzt, aber er bewegt sich nicht" beschrieb zeitweise die Lage.

Dabei galt es, eine gewaltige politische Aufgabe zu lösen: Die Neuordnung Europas nach dem Sieg der Verbündeten über Frankreichs Kaiser Napoleon, der große Teile des Kontinents erobert hatte. Der Friede mit Frankreich war schon besiegelt, als sich die Diplomaten auf Vorschlag von Zar Alexander I. in Wien zum Gipfeltreffen versammelten.

Der Gipfel kostet den Kaiser viel Geld - er holt es sich wieder

Eröffnungszeremonie gab es keine, des Fauxpas-Risikos wegen. Die Frage der Reihenfolge unter Herrschern, Adligen und Diplomaten aus 100 Delegationen hätte Missmut auslösen können. Für spätere Zeiten wurde festgelegt: Das Alphabet in französischer Sprache regelt, wer zuerst den Saal betritt. Was prima war für die damalige Großmacht Autriche, zu Deutsch: Österreich.

Die Gastgeberrolle selber war für Wien mit seinen damals 250 000 Bewohnern zwiespältig: Einerseits sonnte man sich im Glanz der Aristokraten. Bis zu 100000 Gäste sollen damals im Verlauf des Kongresses an die schöne blaue Donau gekommen sein, vom Zaren bis zum Kammerdiener. Keine Frage, die Welt schaute nach Wien.

Wiener Kongress - Tasche des russischen Zaren Alexander I.

Persönliche Dokumententasche des russischen Zaren Alexander I., die der Monarch 1814 auf dem Wiener Kongress mit sich geführt hat

(Foto: dpa)

Auf der anderen Seite die Zeche der Verhandler, gewaltig kein Ausdruck. Der als sparsam bis geizig bekannte österreichische Kaiser Franz I. musste - in heutige Währung umgerechnet - angeblich bis zu 100 Millionen Euro berappen. Seine Majestät holte sich das Geld anschließend wieder - mittels Steuererhöhung.

Österreich hatte im Verbund mit Preußen, Russland, Großbritannien und kleineren Staaten Napoleon Bonaparte niedergerungen. Endlich war Ruhe in Europa, in das aus Sicht der Herrschenden nach der Französischen Revolution viel Unordnung gekommen war.

In Wien machten die Großmächte ihre Ambitionen klar: Russland wollte Polen. Preußen wollte Sachsen. Österreich wollte, was es vor Napoleons Siegeszug besessen hatte, Großbritannien wollte sich gegen potenzielle Invasoren schützen. Frankreich wollte ungeschoren bleiben. Die katholische Kirche wollte Wiedergutmachung für Enteignungen und Machtbeschneidung. Die zwischenzeitlich mit Napoleon verbündeten Länder wie Bayern wollten die Königskronen und Ländereien behalten, die ihnen der Kaiser aus Korsika zugeschanzt hatte.

Wirte, Mätressen, Diener - alle spionieren

Und alle wollten die alte aristokratische Ordnung vor der Französischen Revolution wiederbeleben. Prominentester Verfechter der Restauration war Clemens Fürst von Metternich. Der in Koblenz geborene Politiker kämpfte als Staatsminister für Österreich um Land und Einfluss. Metternich lenkte den Kongress geschickt in Richtung Restauration und machte ziemlich erfolgreich alle Versuche platt, die etwas Liberalität ins sich trugen oder eine deutsche Nationalstaatlichkeit forcieren wollten.

Eine große gemeinsame Versammlung aller gab es nicht, gekungelt wurde in kleinen Runden. Die bestimmende politische Idee war das Gleichgewicht der fünf großen Mächte. Das zentrale Instrument dazu war die "Verschiebung der Seelen". Je mehr Bürger ein Land bekam, desto besser. Also wurde auf Karten an Provinzen herumgeschnibbelt, Land und Leute wechselten ihre Herrn, einfach so.

Klemens Fürst Metternich

Clemens Wenzel von Metternich (1773-1859)

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Was Preußen im Osten an Russland verlor, bekam es im Westen und rückte als "Wacht am Rhein" geostrategisch an den Strom. Polen fiel faktisch größtenteils an Russland. Frankreich selber blieb die Rolle des politisch Aussätzigen erspart, es durfte und sollte als Großmacht Teil der ersehnten Balance werden.

Grund für Ärger fabrizierten die versammelten Herrschaften in Wien zu Genüge. Parallel zu den Verhandlungen wurde geschnüffelt und spioniert. Gastwirte, Diener und Mätressen wurden angesetzt, um Informationen aus den Delegationen zu beschaffen. Eine besondere Klasse - quasi Heimvorteil - scheinen die austriakischen Spitzel Metternichs entwickelt zu haben. Heute sind die Aufzeichnungen der österreichischen Geheimpolizei eine interessante Quelle für die Historiker.

Alle Fürsten fröhnen den Ausschweifungen in Wien - bis auf einen König

Der österreichische Mastermind scheint allerdings selbst anfällig für wollüstige Ausschweifungen gewesen zu sein. Mit der russischen Fürstin Katharina Bagration hatte Metternich schon vor dem Kongress eine Liebschaft lodern, die in Wien wohl wieder Feuer fing. Doch die Adelige feierte gleichzeitig mit Zar Alexander I. die Nächte durch, der ihr den Hof machte.

Angeblich soll von den in Wien versammelten gekrönten Häuptern und Top-Diplomaten nur ein einziger den Kongress nicht für Affären genutzt haben: der preußische König Wilhelm III. Ob die Vertreter der anderen (meist katholischen Mächte) die Enthaltsamkeit des Hohenzollern auf seinen protestantischen Glauben zurückführten, ist nicht bekannt. Aber gut möglich wäre das.

Napoleons Rückkehr beschleunigt die Einigung

Schwung in die Verhandlungen brachte der ehemalige gemeinsame Feind. Als Napoleon im März 1815 von seinem Exil in Elba nach Paris aufbrach, galt es, die Gespräche schnell voranzutreiben, die Vergnügungen einzustellen und den Korsen in Waterloo schließlich endgültig zu besiegen.

Die "Wiener Congreß-Acte", im Juni 1815 von acht Königen und Kaisern unterzeichnet, formte das neue Europa schon im Zeichen der "Heiligen Allianz", die im September von Russland, Österreich und Preußen geschlossen werden sollte. Ein Bündnis, das den "Ewigen Frieden" nach den Vorstellungen der Großmächte sichern sollte.

Wiener Kongress - Schlussakte

Ein Exemplar der Schlussakte des Wiener Kongresses aus dem Jahr 1815 im Haus-, Hof und Staatsarchiv in Wien

(Foto: dpa)

Neben der Territorial-Aufteilung wurden während des Kongresses noch andere Dinge verhandelt.

  • Auf Druck Großbritanniens wurde die Sklaverei verboten. Doch es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Menschenhandel und Leibeigenschaft im Einflussbereich der in Wien versammelten Mächte tatsächlich beendet wurden.
  • Die "ewig währende Neutralität" der Schweiz wurde offiziell anerkannt.
  • Die katholische Kirche, die während der Säkularisierung unter Napoleon Bonaparte weitgehend entmachtet und enteignet wurde, erhielt finanzielle Kompensationen. Die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen wurden in Deutschland neu zugeschnitten. Diese Formen haben sich in Teilen bis heute gehalten.
  • Es wurden regelmäßige Botschafter-Treffen vereinbart, um künftig Probleme zwischen Staaten schnell zu verhandeln und zu lösen.
  • Die Buchhändler warben für das Urheberrecht - ohne Erfolg.

Die wahren Sieger waren die Angehörigen des Hochadels. Sie konnten oft ihre Territorien vergrößern und ihre Rechte vermehren - auf Kosten der kleineren Länder und deren Regenten.

Wiener Kongreß 1814 bis 1815, Isabey-Gemälde und Karikaturen

Strippenzieher unter sich: Teilnehmer des Wiener Kongress

(Foto: SZ Photo/SZ Photo)

Enttäuscht waren auch diejenigen, die auf einen deutschen Nationalstaat gehofft hatten. Es reichte nur zum Deutschen Bund, einer Vereinigung von 35 Fürstentümern und vier Reichsstädten. Errungenschaften des revolutionären Frankreichs und der bonapartischen Ära - Religionsfreiheit, kodifiziertes Recht, Gleichberechtigung der Juden - waren perdu.

Gut für das katholische Österreich, schlecht für den Fortschritt

Das Metternich'sche System setzte sich bleischwer (und oft erzkatholisch) auf den Kontinent, progressive Zeitgenossen dürften verzweifelt gewesen sein. Am 8. Juni 1815, einen Tag bevor der Kongress endete, ließ der Handlanger des Kaisers die Gesandten der deutschen Länder die Bundesakte unterzeichnen, mit deren Hilfe er in den Folgejahrzehnten jedes liberale oder revolutionäre Aufmucken unterdrücken konnte. Der Bund sei ein Instrument um "Ruhe und Ordnung" aufrecht zu halten, steht in Artikel 25.

Das war gut für den Katholizismus, gut für die seine Apostolische Majestät, den Kaiser, und für Österreich, das seinen Großmachtstatus mit Gebietsvergrößerungen auf dem Balkan und in Norditalien sicherte (bis die Italiener ein paar Jahrzehnte später plötzlich einen eigenen Staat haben wollten und Otto von Bismarck die deutsche Frage ohne Österreich beantwortete).

Die Wiener Ordnung von 1815 hat aber trotz ihres bitteren Beigeschmacks von Zensur und der Unterdrückung liberaler Bewegungen eines zustande gebracht: Der ausgehandelte Status quo hielt - gefährdet durch Konflikte wie den Krim-Krieg oder die deutschen Kriege vor der Reichseinigung - den Kontinent weitgehend stabil.

Erst 100 Jahre nach dem Wiener Kongress sollte die Ordnung zerfallen. Während der Julikrise 1914 schlug Großbritannien zwar eine Konferenz der Großmächte vor, um die Situation zu entschärfen. Doch zu einem Treffen wie dem Wiener Kongress kam es nicht. Wesentliche Herrscher und Politiker der europäischen Mächte zogen es vor, einen Krieg zu beginnen, in dem die alte Welt untergehen sollte.

Mit Material von dpa.

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