Italien: Regierungskrise:Die unendliche Burleske Berlusconi

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Vertrauenskrise in Italien: Die Regierung von Silvio Berlusconi ist zerbrochen. Ist dies das politische Aus für den Cavaliere? Welche Gegner des Fernsehtycoons, der mit seinen Großsendern die Stimmung des Landes beherrscht, werden ihm gefährlich? Und, überhaupt: Steckt nicht in jedem Italiener ein bisschen Berlusconi?

Matthias Kolb

In Italien ist die Regierungskrise der Normalfall. Der Medien-Zar Silvio Berlusconi, 74, hat das Kunststück vollbracht, vier Mal zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt worden zu sein. Er begann als Bauunternehmer, zog dann von Mailand aus das Privatfernsehen hoch - und als das politische System mit seinen Kumpanen wegbrach, da übernahm er einfach selbst die Macht. Nun aber hat sich der Freund der Muse und der Musen selbst in die schwerste Regierungskrise seiner politischen Jahre gebracht.

Es wird ernst: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi reibt seine Augen bei einer Parlamentssitzung in Rom im September 2010. (Foto: dpa)

Wie ernst ist die Regierungskrise in Italien?

Eine Steigerung scheint kaum möglich zu sein: Seit mehr als einem Jahr dreht sich die italienische Politik mehr um das Privatleben und die sexuellen Eskapaden von Premierminister Silvio Berlusconi.

Der Besuch bei der Geburtstagsparty der 18-jährigen Noemi Letizia, die Scheidung von Ehefrau Veronica Lario mit anschließendem Rosenkrieg und schlüpfrige Berichte von Callgirls - mehr Seifenoper und Polit-Klamauk schien kaum möglich.

Doch mit Parlamentspräsident Gianfranco Fini, der dem bunten Treiben und dem politischen Stillstand nicht länger zusehen wollte, trat im Sommer plötzlich ein Gegenspieler auf, der die Entscheidung suchte und die Ära Berlusconi beenden wollte.

Die schwulenfeindlichen Aussagen und zuletzt der Bunga-Bunga-Skandal bildeten den Höhepunkt des Schmierentheaters. Nun ist die Regierung zerbrochen und selbst ein langjähriger Weggefährte wie Giuliano Ferrara, Chefredakteur der Zeitung Il Foglio, analysiert: "Es herrscht das Gefühl, dass seine Regierungszeit zu Ende geht." Für den Corriere della Sera steht fest: "Es ist nicht nur die Mehrheit oder die Regierung, die zu Ende geht. Es ist das Abenteuer eines einsamen Mannes."

Zwei Dinge sind sicher: Die Lage für Silvio Berlusconi ist so ernst wie nie zuvor, er muss um seine Macht kämpfen. Doch zugleich darf man den 74-Jährigen nie unterschätzen, denn beschlossen ist sein Abgang nicht.

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Silvio Berlusconi ist erneut in Bedrängnis: Diesmal geht es um eine Prostituierte und eine junge Bauchtänzerin. Seine angeblichen Affären sind in Italien fast schon Dauerthema.

Wie geht es weiter? Wie sieht der Zeitplan aus?

Italiens Präsident Giorgio Napolitano (l.) spricht mit Parlamentspräsident Gianfranco Fini, als beide das Parlament in Rom verlassen. (Foto: dpa)

Italiens Präsident Giorgio Napolitano hat für den heutigen Dienstag die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern einbestellt, um über den Termin für Vertrauensfragen zu beraten. Dieser Schritt war nötig geworden, nachdem vier Kabinettsmitglieder der Fini-Fraktion Futuro e Libertà per l'Italia (FLI) zurückgetreten waren und so die italienische Regierung zerbrechen ließen.

Es wird erwartet, dass die Vertrauensfragen frühestens Ende November oder auch erst Mitte Dezember gestellt werden, da zuvor das Haushaltsgesetz verabschiedet werden soll. Auch die 40 Abgeordneten der FLI, die Berlusconi ihre Unterstützung entzogen haben, werden dem Budget für 2011 zustimmen.

Sollte Berlusconi die Abstimmung im Abgeordnetenhaus verlieren, wäre der Weg für Neuwahlen frei - zwei Jahre vor dem eigentlichen Termin. Im Senat gilt seine Mehrheit als relativ sicher. Der Premier hat bereits angekündigt, dass er keine Angst habe, erneut um das Vertrauen der italienischen Wähler zu werben und ein fünftes Mal das Amt des Regierungschefs zu übernehmen: "Lesen Sie nicht die Zeitungen. 60 Prozent der Wähler sind auf meiner Seite." Seiner Aussage, es sei "besser, hübschen Mädchen nachzuschauen als schwul zu sein", stimmen im katholischen Italien noch immer viele Menschen zu.

Auch wenn die Akademiker sich für Berlusconis Burlesken und für das Image ihres Landes schämen, hegen viele Landsleute eine leise Bewunderung für den Milliardär, diagnostizierte der Psychoanalytiker Sergio Benvenuto vor kurzem in der Kulturzeitschrift Lettre international. Er lebe ungeniert in einer Art und Weise, wie viele Männer leben würden, wenn es ihnen nur möglich wäre. Benvenuto stellt die rhetorische Frage: "Steckt nicht in jedem Italiener, selbst wenn er für Berlusconi nur Abscheu empfindet, in den Winkeln seiner Respektabilität gut verborgen ein kleiner Berlusconi?"

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200 Models, 30 Pferde und eine bizarre Show: Wenn der libysche Revolutionsführer nach Rom reist und Italienerinnen zu Muslimas macht, dann staunt selbst Silvio Berlusconi.

Die Bilder des Spektakels

Wer sind die Gegenspieler von Berlusconi? Wer könnte ihm nachfolgen?

Der größte Gegner des Premiers ist sein einstiger Verbündeter: Noch vor zwei Jahren vereinigte Gianfranco Fini seine Alleanza Nationale mit der Berlusconi-Partei Forza Italia zum PDL. Fini, der seine politische Karriere als Faschist und Mussolini-Verehrer begann, hat seither eine Häutung vollzogen: Er trat als Parlamentspräsident seriös und gemäßigt auf, präsentierte sich als elder statesman und wurde immer besorgter über den Politikstil des Premierministers.

Seit einigen Wochen sucht der 58-Jährige die Entscheidung. Welche Rolle er nach einem Sturz der Regierung spielen wird, ist unklar: Als ausgeschlossen gilt jedoch, dass sich die politische Rechte hinter Fini versammeln könnte.

Auch Staatspräsident Napolitano, ein früherer Kommunist, ist kein Freund von Silvio Berlusconi. Der 85-Jährige fordert seit längerem eine Reform des Wahlrechts, die sich nun mit einer Übergangsregierung umsetzen ließe. In den politischen Zirkeln und Redaktionsstuben in Rom wird schon spekuliert, wer dieses technische Kabinett leiten könnte: Immer wieder wird Gianni Letta genannt, der als engster Mitarbeiter Berlusconis gilt - und laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung zunehmend unwillig dessen Politik umsetzt.

Als weitere Kandidaten kursieren die Namen Angelino Alfano oder Mario Monti: Der eine ist momentan Justizminister, der andere war lange Jahre EU-Kommissar. Als Schattenpremier gilt bereits Finanzminister Giulio Tremonti, der das Land trotz der Rekordverschuldung bisher gut durch die Krise geführt hat. Allerdings, so orakelt man in Rom, sei der 63-Jährige wegen seiner Besserwisserei umstritten. Die linke Opposition hat es in den letzten Jahren nicht geschafft, einen kompetenten und glaubwürdigen Gegenspieler aufzubauen.

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Silvio Berlusconi bezeichnete seine Heimat einst als "Scheißland" und sorgte zuletzt mit einem peinlichen Holocaust-Vergleich für Empörung. Es war nicht das erste Mal, dass der Cavaliere mit peinlichen Sprüchen, seltsamen Ideen oder diplomatischen Patzern Schlagzeilen macht.

über Silvio Berlusconi

Welche Strategie hat der Cavaliere? Ist Berlusconi noch zu retten?

Offenbar hat sich Berlusconi während des G-20-Treffens eine Taktik überlegt, die nicht nur von der Süddeutschen Zeitung als "clever" angesehen wird: Zunächst soll der Haushalt verabschiedet und so politische Verantwortung signalisiert werden. Dies hat den angenehmen Effekt, dass der Cavaliere Zeit gewinnt, um sich auf die Vertrauensfragen vorzubereiten. Wenn sein einstiger Verbündeter Fini mit seinen Gefolgsleuten die Regierung Berlusconi zu Fall bringt, ließe sich dies im Wahlkampf gut nutzen. Die Argumentation könnte lauten: Seine vierte Regierung sei nicht an der eigenen Unfähigkeit gescheitert, sondern am Verrat des einstigen Partners Fini.

"Es besteht kein Zweifel daran, dass die Regierung keinen Bestand hat", sagte der Politologe James Walston von der Amerikanischen Universität in Rom. "Die Regierung wird gestürzt werden und es wird Neuwahlen geben. Fraglich ist nur, ob das das Ende für Berlusconi ist."

Werden die Italiener nochmals für Berlusconi stimmen? Was sagen die Umfragen?

Nicht nur der Medienunternehmer selbst, der 1994 erstmals bei einer Wahl angetreten war, setzt noch immer auf seine Fähigkeiten als Wahlkämpfer. Auch wenn laut einer aktuellen Umfrage des staatlichen Fernsehsenders Rai 45 Prozent der Befragten einen Rücktritt des Premiers befürworten, kündigen 29,5 Prozent an, sie würden wieder für Berlusconis Partei Popolo della Libertà (PDL) stimmen. Die PDL wäre dann wieder die stärkste Partei und es ist auch davon auszugehen, dass die rechtspopulistische Lega Nord zulegen würde. Die oppositionelle PD bekommt laut den Demoskopen nur 24 Prozent und Finis "Zukunft und Freiheit" gar nur 5,1 Prozent.

Für Gianfranco Fini und seine neue Partei käme ein baldiger Urnengang verfrüht, da der FLI die Strukturen fehlen. Deswegen hofft der 58-Jährige, dass nach einem Rücktritt Berlusconis eine Übergangsregierung gebildet wird: Die Verfassung gibt Präsident Napolitano das Recht dazu. Dieses "technische Kabinett" könnte dann die nötigen Reformen anpacken und etwa das Wahlrecht verändern, das die stärkste Partei bisher bevorzugt.

Eine weitere Option beschäftigt ebenfalls die Auguren: 2013 steht die Wahl eines Nachfolgers für Staatspräsident Napolitano an und womöglich ließe sich Berlusconi mit diesem repräsentativen Amt zum Rückzug bewegen. Nicht nur die Financial Times Deutschland weist auf einen entscheidenden Punkt hin: "Wenn die Verhandlungen im Parlament entsprechend laufen, dürfte Berlusconi in diesem Amt auch Immunität vor Strafverfolgung genießen."

Welche Folgen hat der Stillstand für Italien?

Die britische Wochenzeitung The Economist, die seit eineinhalb Jahrzehnten einen erbitterten Kampf gegen Silvio Berlusconi und seinen Regierungsstil führt, bezeichnete Italien im Jahr 2005 als "kranken Mann Europas." Daran hat sich nicht viel geändert: Außenpolitisch spielt das Land kaum eine Rolle mehr, Zentralbankpräsident Mario Draghi warnt vor einem dauerhaften Abstieg der Industrienation und Emma Marcegaglia, die Chefin des Unternehmerverbandes Confindustria, analysiert frustriert: "Das Land ist von Lähmung erfasst."

Auch wenn Finanzminister Tremonti die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt bisher gut durch die Finanzkrise geführt hat und genügend Kredite auf den Finanzmärkten bekommt, sind Veränderungen überfällig. Italien gilt noch immer als Wackelkandidat und Teil der sogenannten PIIGS ( Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien).

Junge Leute haben trotz Uni-Abschluss keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind auf finanzielle Hilfe der Eltern angewiesen, das Rentensystem ist dem Kollaps nahe, die Mafia ist so mächtig wie nie zuvor, die Schattenwirtschaft blüht ebenso schnell wie die Wettbewerbsfähigkeit sinkt und das politische System zementiert den Stillstand: Die beiden Parlamentskammern haben nahezu identische Rechte und blockieren sich häufig. Zudem haben Abgeordnete nirgends so viele Privilegien und verdienen so gut wie in Italien.

Was denkt die Welt über Italien in der Krise?

Die ausländischen und deutschen Zeitungen schauen mit einer Art schaurigen Belustigung nach Italien und üben sich in Wortspielen: Die Welt schreibt von "Götterdämmerung", die Frankfurter Rundschau untersucht die "italienische Tragödie" und die Berliner Zeitung entdeckt ein "Sultanat" im Süden Europas.

Zugleich wird die Situation der italienischen Volkswirtschaft und Gesellschaft in aller Deutlichkeit skizziert: Die Süddeutsche Zeitung spricht von "Italiens Agonie". Wenn es um die Beurteilung der Eskapaden des 74 Jahre alten Premierministers geht, dann bringt der Economist die Sache auf den Punkt: "One step too far".

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