Italien:Polit-Zombie Berlusconi

Silvio Berlusconi new court date

Berlusconis Reaktion auf Kritik: der PdL-Politiker im Dezember 2012 vor italienischen Journalisten in Rom

(Foto: dpa)

Obwohl Silvio Berlusconi nicht regiert, kann er in diesen Tagen über das Schicksal Italiens entscheiden. Seit Jahrzehnten wird der Politiker totgesagt, nur um sich immer wieder an die Macht zurückzukämpfen. Die Gründe für seinen Erfolg.

Von Jakob Schulz

Der alte Mann hatte eigentlich keine Chance. Vor den Parlamentswahlen im Februar war es einsam geworden um Silvio Berlusconi und seine Getreuen, seine Partei war in den Umfragen weit abgeschlagen. Doch Berlusconi wäre nicht er selbst gewesen, wenn er es nicht trotzdem versucht hätte. Der 76-Jährige setzte ganz auf giftige persönliche Attacken und wahnwitzige Versprechen - und ihm gelang das scheinbar Unmögliche: 29,1.

29,1 Prozent der Stimmen konnte sein Mitte-Rechts-Bündnis verbuchen, womit es nur 0,4 Prozentpunkte hinter dem Ergebnis der Mitte-Links-Konkurrenz um Pier Luigi Bersani lag. Silvio Berlusconi, der ewige Politiker, hatte sich einmal mehr als echter Polit-Zombie erwiesen. Als ein Mann, der noch nach jeder Niederlage zurückgekehrt ist, der Italiens Politik prägt und immer wieder auch destabilisiert. Berlusconis Höhenflug brachte Italien neue Unsicherheit. Erst nach Wochen des Ringens bildete sich eine unwillige Koalition aus der Demokratischen Partei (PD) mit dem Volk der Freiheit (PdL).

Warum ist Silvio Berlusconi nach fast zwanzig skandalreichen Jahren in der italienischen Politik noch immer so mächtig? Warum gehen die Wähler dem Cavaliere ein ums andere Mal auf den Leim? Beobachter stehen seinen Erfolgen oft fassungslos gegenüber. Für Berlusconis Qualitäten als Stehaufmännchen gibt es aber einige Gründe.

Erstens: Italiener mögen Macher

"Die Italiener wollen eben einen, der der Padrone ist, der große Chef, der sich um alles kümmert", sagte ein Römer nach der Wahl im Februar zur SZ. Das spielt Silvio Berlusconi in die Hände. Der 76-Jährige versteht es noch immer vorzüglich, rhetorisch die Hemdsärmel hochzukrempeln.

Seit dem Frühjahr ist Berlusconi weniger durch seine Arbeit im Senat als vielmehr durch zahlreiche Gerichtstermine aufgefallen. Er muss sich unter anderem wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, Amtsmissbrauch und Sex mit Minderjährigen verantworten.

Das Urteil gegen ihn im Mediaset-Prozess Anfang August könnte Italien nun erneut in eine Regierungskrise stürzen. Sollten seine PdL-Getreuen ihre Drohung wahr machen und zurücktreten, zerbräche die Regierungskoalition. Berlusconi nutzt diese Machtposition nur allzu gern. Nach dem jüngsten Urteil schimpfte er gegen "kommunistische" Richter, seine Parteigenossen ließ er mit Bürgerkrieg drohen. Die Fähigkeit zum politischen Poltern ist elementarer Bestandteil der Cavaliere-DNA - und das unterscheidet ihn von seinen Gegnern.

Zweitens: Berlusconi ist stark, weil die Anderen schwach sind

Seriöse Politiker wie Mario Monti, Pier Luigi Bersani oder Enrico Letta poltern nicht, sondern wägen auch mal öffentlich ab. Bei den Italienern kommt das als Zaudern und Herumdrucksen an. Als Premier leistete Mario Monti gute Arbeit. Doch er war kein geübter Politiker, sondern ein bedächtiger Technokrat, der seine anständige Arbeit schlecht verkaufte. Die notwendigen Reformen verstanden die Bürger als Gängelei. Von der mangelhaften Kommunikation profitierten Populisten wie Berlusconi. Sie leugneten die Realität, sie schoben die Schuld für ihre Misere auf ausländische Feinde, sie fabulierten von der einfachen Lösung aller Probleme.

Drittens: Große Versprechen kommen gut an

Im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen 2013 tat Berlusconi mal wieder das, was er hervorragend kann. Er versprach für den Fall eines Wahlsiegs so ziemlich alles, was ihm einfiel. Nicht nur die seit Jahrzehnten geplante kilometerlange Brücke zwischen Sizilien und dem italienischen Festland wollte er endlich bauen. Er tönte auch damit, die Einkommenssteuer zu senken und Gewerbe- und Immobiliensteuer gleich ganz abzuschaffen. Er stellte sogar in Aussicht, schon gezahlte Steuern aus seinem Privatvermögen zurückzuzahlen. Außerdem versprach er, vier Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Mehrwertsteuer auf Benzin und Konsumgüter von 21 auf zehn Prozent mehr als zu halbieren.

Berlusconi verstehe es immer wieder vorzüglich, das Bauchgefühl der Bürger anzusprechen, sagte Alessandro Alviani von der italienischen Zeitung La Stampa in einem Interview. Gerade die Grundsteuer sei in Italien sehr verhasst. Wenn der 76-Jährige laut darüber nachdenkt, die Steuer abzuschaffen, mache das auf viele unentschiedene Wähler Eindruck.

Viertens: Berlusconis riesige Medienpräsenz

Wer vor der Wahl in Italien den Fernseher anmachte, sah vor allem das Gesicht eines Mannes: Das von Silvio Berlusconi, der den vormaligen Premier Mario Monti vor laufenden Kameras als Narr beschimpfte, die Richter des Landes als Kommunisten brandmarkte und die Prozesse gegen ihn als Schikane abtat. Dutzende Stunden präsentierte er sich den Italienern im Wahlkampf vor der Kamera. Möglich machte das seine einzigartige Stellung in der italienischen Medienwelt.

Fünftens: Berlusconi profitiert von seiner Medienmacht

Der Cavaliere ist nicht nur Politiker, sondern auch der größte Medienunternehmer des Landes. Als Chef des Mediaset-Konzerns kontrolliert Berlusconi die Berichterstattung von Sendern wie Canale 5, Italia 1 und Rete 4. Wegen dieser Doppelrolle hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) den damaligen Ministerpräsidenten schon 2003 kritisiert. Berlusconi wehrte sich auf seine Weise - er schlug Schulz vor, doch die Rolle des Kapo in einem KZ-Film zu übernehmen. Weil er über mehrere Sender verfüge, könne er seine populistischen Attacken fast rund um die Uhr ausstrahlen, bemängelt auch der Politikwissenschaftler Angelo Bolaffi. "Es gibt nicht viele Leute, die genügend Zeit und genügend Kenntnisse haben, sich dem zu widersetzen", sagte Bolaffi in einem Interview.

Dabei hätten die italienischen Wähler gute Gründe, zornig zu sein. Jahrzehntelang haben ihre Politiker Reformen verschleppt und es versäumt, die Wirtschaft krisenfest zu machen. Die Arbeitslosigkeit steigt und parteiübergreifend sind Politiker in Korruptionsaffären verstrickt. Angesichts der hohen Staatsverschuldung sind Reformen bitter nötig, von 124 Prozent des Bruttoinlandprodukts Anfang 2012 stieg die Verschuldung zuletzt auf 130 Prozent.

Doch danach sieht es zurzeit nicht aus. Wenn die PdL-Abgeordneten tatsächlich zurücktreten sollten, zerbräche die Regierungskoalition unter Enrico Letta. Berlusconi selbst warnte seine Unterstützer vor überhasteten Schritten. Am Sonntagabend sagte er vor Anhängern der PdL, die Regierung müsse bestehen bleiben und weitere Reformen angehen. "Uns treiben nicht unsere persönlichen Interessen an. Die Interessen aller und von Italien stehen an erster Stelle", sagte Berlusconi. Angesichts einer neuen Regierungskrise hält der Cavaliere also Zurückhaltung für angebracht. Doch die Italiener können sich sicher sein: Das nächste Poltern kommt bestimmt.

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