Italien:Der Graf, der einst Häuser besetzte

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Handschlag mit dem Saaldiener: Der neue Premier Paolo Gentiloni (links) nach einem Treffen mit der Präsidentin des Abgeordnetenhauses am Sonntag. (Foto: Angelo Carconi/dpa)

Paolo Gentiloni, der neue designierte Premierminister Italiens, soll die Lücke seines Vorgängers schließen. Die Opposition bezeichnet ihn als blass - dabei ist seine Biografie alles andere als langweilig.

Von Oliver Meiler, Rom

Niemand wirkt gerne wie eine Kopie. Gerade in der Politik will ja jeder ein eigenes, möglichst profiliertes Original sein. Wenn nun die italienische Opposition von Paolo Gentiloni sagt, er sei ein Avatar, eine bloße Stellvertreterfigur von Matteo Renzi, ist das natürlich boshaft gemeint - und ein erster Vorgeschmack darauf, was Italiens designierten neuen Premierminister in den kommenden Monaten erwartet.

Aus seiner Entourage heißt es, der 62-jährige Römer habe seine Berufung sehr gefasst aufgenommen. Überhaupt macht Gentiloni immer einen gefassten, gar etwas lässig ruhigen Eindruck. Man hört ihn selten laut, nie aufbrausend. Und so kann man nun auch lesen, dass der bisherige Außenminister zwar politisch tatsächlich eine Fotokopie Renzis sei, jedoch eine ohne ausreichend Druckertinte auf dem Papier: ein bisschen blass und grau, zumindest im öffentlichen Auftritt.

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Paolo Gentiloni Silveri, wie er mit ganzem Namen heißt, ist ein Graf und Nachfahre jenes Conte di Filottrano in den mittelitalienischen Marken, der einst große Geschichte schrieb. Der katholische Politiker Vincenzo Ottorino Gentiloni (1865 bis 1916), ein Vertrauter von Papst Pius X., sorgte 1913 mit der Vermittlung eines Pakts dafür, dass sich die Katholiken am politischen Leben im damaligen Königreich beteiligten.

Der "Patto Gentiloni" gehörte zu den Schlüsselmomenten jener Epoche. Bis heute lebt die ganze Familie in einem großzügigen römischen Palazzo, den der berühmte Vorfahre hinterlassen hatte - mehrere Generationen und Verzweigungen des Stammbaums unter einem Dach. Doch wie ein Aristokrat führt sich Gentiloni nicht auf. Die mondänen Salons der "Nobiltà", die sich in Rom in geschlossenen Zirkeln trifft, mied er immer.

Der frühere Lokalpolitiker fand sich auf dem diplomatischen Parkett erstaunlich gut zurecht

Ganz im Gegenteil: In jungen Jahren hing Gentiloni der extremen, außerparlamentarischen Linken an. Sein erster politischer Akt, an den jetzt alle erinnern, war die Besetzung seines Gymnasiums, des berühmten und elitären Liceo Tasso in Rom. Später entdeckte der Politikwissenschaftler sein Interesse für grüne Themen. Ökologie, Linke, Katholizismus - da fügten sich viele Seelen in eine. Gentiloni wurde Journalist und leitete eine Weile lang die Zeitschrift des Umweltschutzverbands Legambiente. So gelang ihm auch der Sprung in die römische Lokalpolitik. 1993, als Francesco Rutelli für die Linke das Stadtpräsidium Roms eroberte, wurde Gentiloni dessen Sprecher.

Es waren gute Zeiten: Die Stadt erlebte einen Aufschwung, verschönerte sich, lancierte viele kulturelle Initiativen, gab aber auch viel zu viel Geld aus. 2013 schließlich wäre Gentiloni, der in der Zwischenzeit auch mal italienischer Kommunikationsminister war, gerne selber Bürgermeister von Rom geworden. Er kandidierte dafür bei den Urwahlen des sozialdemokratischen Partito Democratico, wurde aber nur Dritter - von drei Bewerbern. Gentiloni soll die Niederlage wie eine Schmach erlebt haben und dachte über einen Rückzug aus der Politik nach. Als Renzi dann zum Aufstieg ansetzte, der ihn aus dem Amt des Bürgermeisters von Florenz nach Rom in den Palazzo Chigi führen sollte, war Gentiloni einer der ersten Granden der Partei, der das Potenzial des jungen und forschen Mannes erkannte.

Man sagt, Gentiloni sei schon "Renzianer" gewesen, bevor es Renzi gab. Auch er fand, dass es endlich Zeit sei, das postkommunistische Erbe ganz abzulegen, es zu überwinden. Mit dem Unterschied, dass er nie wie Renzi gesagt hätte, man müsse es "verschrotten". Gentiloni ist ein Theoretiker des Dritten Wegs, wie ihn Tony Blair skizziert hatte, der neuen Mitte also, die in jüngerer Vergangenheit eher nicht so viel Erfolg hatte.

Ein Kabinett, das wohl in großen Teilen eine Kopie des alten sein wird

Als Renzi nach der Beförderung von Federica Mogherini nach Brüssel einen neuen Außenminister brauchte, fiel die Wahl auf diesen Römer ohne jede außenpolitische Erfahrung. Es floss viel Häme und hieß, Gentiloni verdanke seinen hohen Posten allein seiner Treue zu Renzi. Doch dann erwies sich der frühere Lokalpolitiker dank seiner umgänglichen Art als ausgezeichneter Netzwerker in der diplomatischen Welt. Er hatte bald einen guten persönlichen Draht zu den wichtigsten Amtskollegen: zum Amerikaner John Kerry genauso wie zum Russen Sergej Lawrow und zum deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Doch da Gentiloni nie ins Scheinwerferlicht drängte und auch in außenpolitischen Belangen Renzi die Bühne überließ, blieb seine Strahlkraft stets bescheiden.

Nun soll er ein Kabinett anführen, das wohl in großen Teilen ebenfalls eine Kopie des alten sein wird. Es stützt sich auf die bisherige Mehrheit im Parlament, die nach wie vor solide wirkt.

Dennoch wird der Ruf nach baldigen Neuwahlen so lange nicht abflauen, bis es einen Termin dafür gibt. Dafür sorgen die Oppositionsparteien: Die Protestbewegung Cinque Stelle und die Lega Nord haben bereits mit Demonstrationen gedroht, sollte sich diese Regierung länger halten als aus ihrer Sicht nötig. Alles hängt davon ab, ob es dem Parlament gelingt, auf einigermaßen harmonische Weise neue Wahlgesetze für die Bestellung des Abgeordnetenhauses und des Senats zu finden. Garantiert ist das keineswegs. Dafür ist die politische Stimmung nach dem Verfassungsreferendum viel zu aufgeheizt. Da ist es ganz gut, dass nun einer regiert, der immer ruhig bleibt - fast aufreizend ruhig.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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