Italien:Bürgermeisterwahl in Rom: Zorn ist ihre Chance

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Vor ein paar Wochen war sie noch fast unbekannt: Virginia Raggi von den Cinque Stelle, hat beste Aussichten, als erste Frau Stadtoberhaupt Roms zu werden. (Foto: Tony Gentile/Reuters)

Erstmals könnte eine Frau die italienische Hauptstadt regieren: Virginia Raggi von der Protestbewegung Cinque Stelle. Sie hat keine Politikerfahrung, doch viele Römer trauen den etablierten Partei nicht mehr.

Von Oliver Meiler, Rom

Da vorne steht sie, die Handtasche zwischen die Füße geklemmt, und drückt alle Hände, die sich ihr entgegenstrecken. Über die Köpfe hinweg, hinter den Rücken hindurch, vorbei an Bäuchen. Es ist ein fester Händedruck, ein Pressen. "Forza! Lassen Sie sich nicht unterkriegen." Virginia Raggi nickt verlegen und drängt sich durch die Menge vor dem Mercato Tuscolano, einer Markthalle ohne Charme in einem Außenviertel von Rom.

Flugzeuge im Landeanflug dröhnen über den Dächern, blassbraune Sonnenschirme hängen im Wind. "Ist das diese Raggi?", fragt eine ältere Frau in die Runde, "etwas jung und zerbrechlich, nicht? Wenn das nur gutgeht!" Die Römer wählen an diesem Sonntag einen neuen Bürgermeister. Und es kann gut sein, dass "la Raggi", die vor einigen Wochen kaum jemand kannte, gewinnt.

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Raggi wäre die erste Frau in dem Amt

Alle Umfrageinstitute sehen die 37-jährige Anwältin vorne. Sie wäre die erste Frau im Amt - in der ganzen langen Geschichte dieser großen, schönen, schwierigen Stadt. Und ihr Sieg wäre die bisher größte Trophäe des Movimento Cinque Stelle, einer jungen Protestpartei, die ihre Stimmen im Verdruss der Italiener über ihre politische Klasse fischt, in der Wut über das korrupte Establishment.

"Questa gente", sagt Raggi abschätzig, wenn sie von den Politikern der alten Parteien spricht, diese Leute. "Tutti uguali", sagt sie auch oft, alle gleich. Die Formel ist ihr Mantra und ein schöner Teil ihres Programms.

In Rom ist der Zorn über die Kaste besonders groß. Das ist Raggis Chance. Die etablierten Parteien, linke wie rechte, haben sich in jüngerer Vergangenheit so unmöglich aufgeführt, dass die Stadt im Herbst unter das Kuratel eines Sonderkommissars gestellt werden musste. Das passiert sonst vor allem in Sizilien und Kalabrien, wo das organisierte Verbrechen die Stadthäuser unterwandert. Aber Rom?

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Draußen, im Gefängnis von Rebibbia, läuft der Prozess gegen "Mafia Capitale", die Mafia der Hauptstadt. Aus den vermischten Meldungen in den Zeitungen erfahren die Römer in kleinen Verabreichungen, wie sich Politiker, Beamte und Unternehmer zu Dutzenden aus den öffentlichen Töpfen bedient haben, sich Jobs und Aufträge zuspielten, Rechnungen überteuerten, während die städtischen Dienste dahindämmerten, dahinsiechten.

Die Stadt hat nun 13 Milliarden Euro Schulden. Ein grotesker Berg. Unlängst appellierte der Beauftrage für die Kulturgüter Roms, Superintendant Claudio Parisi Presicce, an Firmen und Bürger, sie mögen doch spenden, damit 500 Millionen Euro zusammenkämen. Ohne dieses Geld lasse sich der Kulturschatz nicht konservieren.

Schon jetzt sind es große Modehäuser, die als Mäzene auftreten: Fendi restauriert die Brunnen, Bulgari die Spanische Treppe, Tod's das Kolosseum. Rom ist pleite. Der Bankrott starrt einem allenthalben ins Gesicht, vor allem jenseits der antiken Mauern. Man hat selten das Gefühl, die Stadt werde ordentlich verwaltet.

Aus Wut über den miesen Service zahlt fast niemand für den Nahverkehr

Zum Beispiel der Verkehr. In keiner Kapitale Europas fahren mehr Bewohner mit dem eigenen Wagen zur Arbeit als in Rom, nämlich 70 Prozent. Das hat damit zu tun, dass die öffentlichen Verkehrsmittel wenig taugen. Atac, der städtische Verkehrsbetrieb, beschäftigt 12 000 Angestellte, schafft es aber nicht, mehr als die Hälfte seiner Autobusse in Verkehr zu setzen.

Und weil aus Wut über den miesen Service fast niemand zahlt, denkt man nun wieder darüber nach, ob nicht Ticketverkäufer mitfahren sollten, und zwar in jedem Bus, jeder Tram und jeder Metro. Ein Römer verbringt dreimal mehr Zeit im Auto, gefangen im Verkehr, als ein Mailänder. Und dann sind da noch die "buche", die Löcher in den Straßen. Auf 6500 Kilometern Straße zählt Rom alle 15 Meter ein Loch. Manchmal sind es richtige Krater. Das hört sich wie ein Witz an, würden deshalb nicht ständig Motorradfahrer tödlich verunglücken.

Doch vielleicht spiegelt nichts den viel beklagten "declino", den Niedergang der Stadt, so plastisch wie die Geschichte mit dem Abfall. In Rom bezahlt man die höchste Abfallsteuer im Land, sie liegt 50 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. Doch selbst im historischen Zentrum, dem Schaufenster, schafft es die städtische Ama mit ihren 8000 Mitarbeitern nicht, die Gassen und Piazze sauber zu halten. Da türmen sich jeden Abend Müllberge neben den Terrassen der Restaurants, umschwirrt von Möwen, Tauben und Ratten. Keinen Betrieb hassen die Römer mehr als die Ama. 91 Prozent, so ergab die jüngste Erhebung, halten ihre Stadt für dreckig.

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Ich will, dass Rom aufersteht", sagt Virginia Raggi, "die Stadt ist in einem schrecklichen Zustand." Sie könne dem nicht mehr länger zuschauen. "Daje, Virginia - los, zeig es ihnen!" Man schiebt sie jetzt zu Stefano und Duilio vom "Angolo del Pane", einem Stand mit Backwaren. Die beiden Herren sind aufgeregt, die ganzen Kameras!

Über den dreien prangt ein großes Wappen vom AS Rom, dem größeren der beiden Fußballvereine der Stadt. Und so entstehen lustige Fotos. Raggi hängt nämlich Lazio Rom an, sagt das aber lieber nicht so eindeutig, weil sie das einige Zehntausend Stimmen kosten könnte: Roma hat nun mal viel mehr Fans als Lazio.

Auch das war ein Thema in diesem Wahlkampf, von dem die Nachwelt, sofern sie sich denn daran erinnern möchte, einmal sagen wird, dass er frivol war. Statt der großen Probleme der Stadt wurden Bagatellen verhandelt, etwa der Bau einer Seilbahn von einem Viertel zum anderen, oder die Bekämpfung von neun Millionen Ratten mit der Ansiedlung von einer halben Million Katzen. Ist es Resignation? Rom gilt als schier unrettbar.

Raggi im Glück

Raggi hat doppelt Glück. Ihre Gegner sind nicht nur diskreditiert, deren politische Lager sind innerlich auch noch gespalten. Die Linke und die Rechte treten mit jeweils zwei Kandidaten an, die sich gegenseitig Stimmen rauben. Chancen auf den Wahlsieg haben neben Raggi wohl nur zwei von ihnen.

Roberto Giachetti vom Partito Democratico, Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer, 55 Jahre alt, ständiger Dreitagebart, hat in den Neunzigerjahren schon einmal im Rathaus gearbeitet. Er sagte einmal, er habe schon ein bisschen Angst vor der Herausforderung. Und Giorgia Meloni, früher Sportministerin, 39, Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, machte vor allem von sich reden, weil sie gerade schwanger ist und eigentlich gar nicht kandidieren wollte.

Und so kommt es also, dass diese junge, grazile Frau mit dem verbindlich festen Händedruck und ohne jede Exekutiv-Erfahrung, die vor einigen Wochen noch keiner kannte und die von ihrer Partei bei einer Onlineumfrage mit 1764 Stimmen gewählt wurde - dass diese Virginia Raggi also bald Bürgermeisterin von Rom werden könnte. Ihr Regierungsteam hat sie noch nicht vorgestellt. Zehn Kaderleute soll es dann einmal umfassen. Vor einigen Tagen hieß es, sie suche noch nach passenden Persönlichkeiten. Wenn das nur gutgeht.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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