Erdrutsch in Florenz:Warum Italien abrutscht

Nachdem ein 200 Meter langes Erdloch mitten in Florenz parkende Autos verschluckt hat, wird nach der Ursache gesucht. Geologen haben eine Vermutung.

Von Oliver Meiler, Rom

Alles schlief noch, als in Florenz die Erde wegrutschte. Mit einem dumpfen Grollen. 3000 Kubikmeter feuchte, schlammige Erde sackten am Mittwoch, kurz nach sechs Uhr in der Früh, einfach ab unter dem Lungarno Torrigiani, der Uferstraße am Arno. Wie eine geflutete Sandburg.

Von allen Bildern, die seither um die Welt gingen, wirkt natürlich jenes besonders suggestiv, das im Hintergrund den Ponte Vecchio zeigt, die weltberühmte Brücke. Das ist keine optische Illusion. Das Loch, das sich da auf zweihundert Metern Länge und sieben Metern Breite öffnete und die geparkten Wagen in die Tiefe zog, klafft nun tatsächlich mitten im Zentrum der schönen Stadt. Auf der anderen Flussseite, genau gegenüber vom Schlund, stehen die Uffizien, ein prächtiger Palazzo aus dem Mittelalter und eines der bekanntesten Kunstmuseen der Welt.

Man stelle sich nur vor, die Erde wäre auf der Seite der Uffizien weggerutscht. Die Zeitung Il Manifesto schreibt von einer "planetarischen Blamage" für Italien, aber diese Deutung ist dann vielleicht doch eine Spur zu dramatisch. Verletzt wurde niemand.

Noch ist unklar, wie es so weit kommen konnte. Allen wäre es lieb, man könnte das Unglück einer Fatalität zuschreiben, einer plötzlich entfesselten Naturgewalt zum Beispiel. Doch Plötzlichkeit scheint ausgeschlossen zu sein. Der Bürgermeister von Florenz, der linke Politiker Dario Nardella, spricht von Fehlern, die begangen worden seien und bestraft gehörten: "Wer versagt hat", sagt er, "muss bezahlen."

Wassergesellschaft im Visier

Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf Publiacqua, eine halb städtische und halb private Firma, gegründet 2002, die Florenz und die umliegenden Orte mit Trinkwasser versorgt. Man hört, ihre Dienste gehörten zu den teuersten im ganzen Land. Offenbar ist es aber so, dass Publiacqua vor allem an den Profiten interessiert ist und weniger an den Investitionen in ihr Leitungsnetz. Die Rohre sind alt und porös, und das hat dann irgendwann Folgen: Der Boden kann die Wassermassen nicht mehr absorbieren - und gibt nach.

Florenz ist da keine Ausnahme. Doch mit diesen spektakulären Bildern vom Ponte Vecchio und dem Erdloch bietet die Stadt nun ein eindrückliches Symbol für ein nationales Phänomen: "Italien", schreibt La Repubblica, "rutscht ab." Ein Drittel des gesamten in den italienischen Rohrnetzen fließenden Wassers geht verloren. Es versickert und weicht den Boden auf.

Rom: Jedes Jahr hundert Erdrutsche

Obschon die Geologen im Land schon lange warnen, geben die Städte und ihre Wassergesellschaften zu wenig Geld aus, um ihre Einrichtungen zu sanieren und zu modernisieren - viel weniger jedenfalls, als es in anderen Ländern Europas der Fall ist: nämlich zwölf Euro pro Einwohner und pro Jahr. Der europäische Durchschnitt liegt bei 100 Euro.

Die Folgen sind verheerend. Allein in Rom gibt es jedes Jahr hundert Erdrutsche, kleinere und größere. Das Lamento ist jeweils laut, verklingt aber bald. Nun mag ein Teil des Problems daher rühren, dass Italiens alte Städte zerbrechliche Gebilde sind. Manche stehen gar auf Resten der Antike, die wiederum von strengen Gesetzen geschützt werden.

Aber es ist eben nur ein Teil des Problems. Bedeutsamer ist die Leichtfertigkeit in den Ämtern im Umgang mit den wässrigen Böden, bei der Vergabe von Baulizenzen und der Einengung von Flussbetten.

Dem Horror Raum geben

Und so hangelt sich Italien von Notfall zu Notfall, von Überschwemmung zu Erdrutsch. Die Medien listen nun die jüngsten Katastrophen auf, von Nord bis Süd: Mailand, Genua, Bologna, Rom, Neapel, Crotone. "Unsere politische Klasse", schreibt der Corriere della Sera in einem spitzen und desillusionierten Kommentar, "ist unfähig, sich um die Zukunft unserer Kinder zu kümmern." Rhetorisch sei man ja brillant, und man besinge selbstgefällig die Schönheit des Landes: "Doch mit seinem Unvermögen gibt Italien dem Horror immer mehr Raum." Ein Kulturwandel sei nicht zu erkennen.

Nun, das stimmt nicht ganz. Vor zwei Jahren startete die italienische Regierung eine Mission mit dem Namen "Italia sicura" (Sicheres Italien), die sich vornehmlich mit der misslichen Lage der Böden beschäftigen soll. Unlängst legte die Taskforce einen Bericht vor, der das Phänomen ungeschönt schilderte. 27 Milliarden Euro, hieß es darin, wären nötig, um die nationalen Böden zu stabilisieren. Der Chef der Mission gab zu bedenken, dass 3600 unterschiedliche Ämter im Land Kompetenzen auf diesem Gebiet hätten und die Materie durch 12 500 Normen, zentralstaatliche und regionale und lokale, geregelt sei. Der übliche bürokratische Wahnsinn also.

Da wirkt der Versuch von Premier Matteo Renzi, das Bewusstsein der Italiener für das Problem mit seiner Mission zu schärfen, ganz löblich. Allerdings steht nun nach dem Erdrutsch beim Ponte Vecchio auch er in der Kritik. Renzi war von 2009 bis 2014 Bürgermeister von Florenz. Publiacqua gab es schon, als er sein Amt antrat. Dennoch werfen ihm seine politischen Gegner vor, er habe die Gesellschaft wie eine Hausmacht geführt und Leute aus seiner Entourage mit Mandaten im Aufsichtsrat bedacht.

Die Politisierung gehört in solchen Fällen ebenfalls zum Ritual. Sie soll auch dazu dienen, vom Problem abzulenken, und zwar mit der Kraft einer Naturgewalt.

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