Fußball:No, grazie! Italien findet keinen Nationaltrainer

Italian national soccer team official photo

Gutaussehende Truppe, demnächst ohne Trainer? Das italienische Nationalteam beim offiziellen Mannschaftsfoto in Florenz

(Foto: dpa)
  • Der italienische Fußballverband sucht einen neuen Nationaltrainer - für Antonio Conte ist nach der EM Schluss.
  • Angefragt wurden sie alle: Mancini, Ranieri, Donadoni - aber keiner will. Jetzt ruhen die Hoffnungen auf einem 68-Jährigen.
  • Hier geht es zum Spielplan der Fußball-EM.

Von Birgit Schönau, Rom

Es soll Zeiten gegeben haben, in denen das Amt des italienischen Fußball-Nationaltrainers Höhepunkt eines Berufslebens und überhaupt ein Traumjob gewesen ist. Mit den schönsten Maßanzügen, dem besten Koch und mit vier Weltmeistersternen im Gepäck reiste der Commissario Tecnico, wie die Amtsbeschreibung auf Italienisch heißt, durch die Lande, auswärts geachtet und gefürchtet, zu Hause geachtet und beliebt.

Commissario Tecnico, wie sich das schon anhört! Nach Detektiv oder Ingenieur, nach Maigret oder nach Nobelpreis, jedenfalls nach mehr als einem einfachen Übungsleiter. Commissario Tecnico, das ist mal ein Titel, den gibt es im Weltfußball nur einmal. Das Problem ist nur: Es will ihn gerade niemand mehr.

Favorit Ventura, 68, verlässt den FC Turin - und heiratet in Kürze

Seit der italienische Fußballverband Federcalcio Anfang April verkündet hat, dass der amtierende Nationaltrainer Antonio Conte nach der EM beim FC Chelsea in der englischen Premier League anheuern wird, gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig. Der angefragte Roberto Donadoni, Coach des FC Bologna, will lieber bei seinem Klub bleiben. Vielleicht wechselt er auch zum AC Mailand, eine zweite Runde bei den Azzurri möchte er jedenfalls nicht drehen.

Von 2006 bis 2008 war der heute 52-Jährige schon einmal Nationaltrainer gewesen. Dass Italien damals im EM-Viertelfinale per Elfmeterschießen von Spanien besiegt wurde, reichte den Verbandsbossen zur Kündigung - allerdings hatte Donadonis Truppe beim Turnier auch kein einziges Tor aus dem Spiel heraus erzielt. Für den Trainer folgten Stationen in Neapel, Cagliari - und Parma, wo Donadoni in einem Jahr fünf verschiedene Präsidenten und am Ende sogar die Pleite des Klubs erlebte. Alles nicht so schlimm wie die Nationalmannschaft, scheint er sich jetzt zu sagen. Bloß kein Zurück!

Roberto Mancini? Bleibt bei Inter Mailand, auch wenn er noch nicht weiß, ob und an wen der Klub demnächst verkauft wird. Luciano Spalletti? Hat gerade wieder beim AS Rom unterschrieben. Carlo Ancelotti? Hob angesichts der Nachfrage noch nicht mal seine berüchtigte linke Augenbraue. Er wird ja ohnehin so etwas wie Nationaltrainer - beim FC Bayern. In ihrer Verzweiflung sollen die Federcalcio-Chefs sogar an Fabio Capello gedacht haben; aber der frühere Feldmarschall der Länderauswahlen von England und Russland war erstens zu erfolglos und zweitens viel zu teuer. In Putins Fußballreich verdiente Capello zuletzt sieben Millionen Euro netto pro Jahr.

Marcello Lippi, der Weltmeistertrainer von 2006, wurde vorsorglich als Sportdirektor angeworben, ein Job, der eigens für Lippi geschaffen wurde. Mehr ging nicht beim Nationalteam - nach dem WM-Desaster von 2010, als Titelverteidiger Italien bereits in der Vorrunde scheiterte. Aber da wäre doch noch . . . - "Ich als Commissario Tecnico?" staunte Claudio Ranieri: "No, grazie! Die Erfahrung als Nationaltrainer von Griechenland hat mir gereicht." Sprach's - und gewann lieber die englische Meisterschaft mit Leicester, wo man ihn unerschrocken verpflichtet hatte. Bei den Hellenen war Ranieri zuvor wegen eines verlorenen Spiels gegen die Färöer geflogen. Jetzt flachst der 64-Jährige, als Commissario Tecnico sei er "noch nicht alt genug".

Ventura hat als Trainer bei 18 Klubs gearbeitet

Damit könnte Ranieri sogar recht haben. Denn im Visier von Federcalcio-Präsident Carlo Tavecchio, einem 73-jährigen Funktionär der ganz alten Schule, der mit modernem Schnickschnack wie Frauenfußball, homosexuellen Profis und dunkelhäutigen Liga-Spielern nicht viel anfangen kann, ist nunmehr: Giampiero Ventura. Der ist vier Jahre älter als Ranieri, 68. In diesem Alter pflegen auch Fußballtrainer in Pension zu gehen, außer vielleicht Giovanni Trapattoni. Der Trap ist 77 und gerade beim Staats-TV-Sender RAI rausgeflogen, weil er als Fußballkommentator nicht jugendfreie Vokabeln benutzt hatte. Doch das ist ein anderes Thema und außerdem war Trapattoni ja schon Commissario Tecnico, von 2000 bis 2004.

Ventura hat als Trainer bei 18 verschiedenen Klubs gearbeitet, der bekannteste von ihnen war seine vorerst letzte Station: FC Turin. In 40 Jahren auf der Bank hat er keine Trophäe gewonnen, aber es ist ja nie zu spät. Angeblich sollen die "Senatoren" der Azzurri um Kapitän Gianluigi Buffon schon ihr Einverständnis zu Signor Ventura geäußert haben. Vielleicht, weil der Neue nicht viel älter wäre als die Senatoren selbst, aber viel gemütlicher?

Die Zeit beim FC Turin ist für Ventura jedenfalls vorbei, fünf Jahre seien genug, sagt er. Am 1. Juni unterschreibt der Coach aber erst mal einen anderen Vertrag: Er heiratet kirchlich in Bari. Unterdessen hat Tavecchio erneut Konkurrenz bekommen, angeblich interessiert sich auch Lazio Rom für Ventura, nachdem die Verhandlungen mit Cesare Prandelli gescheitert sind.

Mischt sich sogar Regierungschef Renzi in die Trainerdebatte ein?

Prandelli, war der nicht . . . ? Genau, er war Commissario Tecnico, von 2010 bis 2014. Prandelli sensibilisierte das Nationalteam wie niemand vor ihm: Die Italiener engagierten sich für die Antimafia-Bewegung und gegen Rassismus. Auch sportlich waren sie zunächst erfolgreich: Bei der EM 2012 warfen die Azzurri im Halbfinale Deutschland raus und scheiterten im Finale an Spanien. Aus Brasilien fuhr Prandellis Team dann nach der WM-Vorrunde heim, genau wie die Spanier. Der Coach trat zurück und landete wenig später bei Galatasaray Istanbul. Dort blieb er vier Monate, eine traumatische Erfahrung. Seither ist Cesare Prandelli arbeitslos.

Sein Nachfolger Antonio Conte, mit 4,5 Millionen Euro der bestbezahlte Commissario Tecnico, war den vermeintlichen Traumjob bald leid, als er merkte, wie wenig Unterstützung die Klubs der Squadra Azzurra gewähren. Trainingslager zwischen Pflichtspielen wurden ihm nicht gestattet, bei Testspielen zierten sich die Arbeitgeber seiner Spieler. Zur EM fährt Conte ohne Illusionen: "Ich kann nicht zaubern", verkündete er nach dem unspektakulären 1:0 gegen Schottland am vergangenen Sonntag, "ob wir bis zum Turnier noch brillant werden, weiß ich daher nicht."

Spätestens am 7. Juni will Verbandschef Tavecchio den neuen Nationaltrainer bekannt geben. Für gewisse Spannung sorgt das Gerücht, Regierungschef Matteo Renzi habe sich in die Debatte eingemischt und als Fan des AC Florenz dessen Ex-Coach Vincenzo Montella ins Spiel gebracht, der nun für Sampdoria Genua arbeitet. Renzi dementierte das entschieden, dabei würde viel für den Neapolitaner Montella sprechen. Der frühere Angreifer liebt das risikoreiche Offensivspiel und steht mit 42 Jahren erst am Anfang seiner Karriere. Montella als Commissario Tecnico - das wäre ein ganz neues Italien.

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