Autobiographie von Avi Primor:Ein Mosaik des 20. Jahrhunderts

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Israels Botschafter in Bonn und Berlin zwischen 1993 und 1999: Avi Primor. Diese Aufnahme entstand in Tel Aviv. (Foto: dpa)

Der israelische Diplomat Avi Primor erzählt von Anekdoten, Erfolge und Niederlagen. Und schildert, warum er mit 60 noch begann, Deutsch zu lernen.

Rezension von Nicolas Freund

Eine Biografie ist immer mehr, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Sie ist Geschichtsschreibung und, im Falle der Autobiografie, persönliche Lebensbilanz. Aber sie ist auch Beichte und sogar ein Roman.

Wenigstens, wenn sie etwas taugt. Avi Primor, inzwischen 80 Jahre alt und bekannt als Botschafter Israels in Deutschland von 1993-1999, beginnt seine Autobiografie also mit einem rhetorischen Trick, wenn er sie mit dem Satz einleitet: "Memoiren zu schreiben sollte eigentlich nicht kompliziert sein."

Denn er suggeriert damit, man habe ja nur aufzuschreiben, was man ohnehin erlebt hat. Aber der jahrzehntelang auf internationalem Parkett geschulte Diplomat weist sofort auf diesen Trugschluss hin. Denn genau darum geht es ihm: Nichts ist so einfach, wie es zu sein scheint.

Als Netanjahu wegen Kohl mulmig wurde

Avi Primor erzählt seine Autobiografie in vielen kleinen Geschichten, die oft auch für sich stehen könnten. Er springt über Jahrzehnte hinweg und ordnet Erlebnisse mehr thematisch als chronologisch. Witzige Anekdoten, Jugendgeschichten und geheime Coups aus den Hinterzimmern der Diplomatie bilden ein biografisches, wie politisches Mosaik des 20. Jahrhunderts.

Das Leben des jungen Avi Primor in Israel und in den USA sowie den Weg ins Auswärtige Amt, beschreibt er fast romanhaft. Über die vielen Politiker, mit denen er es während seiner Karriere zu tun bekam, berichtet er hintergründig und humorvoll. Als Helmut Kohl 1995 Israel besuchte, musste Primor auch ein Treffen mit Benjamin Netanjahu organisieren, der damals die Opposition führte.

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Frankfurter Wurzeln, Panzersoldat, Israels Mann in Deutschland: In Avi Primors Leben spiegelt auf besondere Weise die Geschichte Israels. Fotos des Diplomaten und Buchautoren.

Primor begleitete Netanjahu bis zur Suite Kohls, durfte aber als Regierungsvertreter bei dem Gespräch nicht dabei sein. Es kam dann doch anders: "Als Netanjahu den riesigen Kohl vor sich stehen sah, packte er mich am Arm und flüsterte mir auf Hebräisch zu: 'Doch, komm mit, komm mit'".

Mehr als einmal musste Primor öffentlich den Kopf hinhalten. Schließlich wurde ihm ein Interview, das er in seiner Zeit als Botschafter in Deutschland gab, fast zum Verhängnis, als er der damals in Israel an der Regierungskoalition beteiligten Schas-Partei vorwarf, nicht demokratisch zu sein. Die Niederlagen und Rückschläge stellt er selbstbewusst neben seine Erfolge, die er meistens sehr bescheiden als bloße Glücksfälle tarnt.

Hauptteil des Buches sind die Kapitel über Avi Primors Zeit als israelischer Botschafter in Deutschland. Er erklärt offen seine frühen, kategorischen Vorbehalte gegen Deutschland, aber auch sein über die Jahre gewachsenes Interesse an diesem Staat, mit dem die meisten Israelis über Jahrzehnte nichts zu tun haben wollten.

Humanistischer Leitsatz

Diese Anerkennung der Perspektive des anderen, auch wenn sie mit der eigenen unvereinbar erscheint, ist Primor ein Anliegen, das er als humanistischen Leitsatz seiner Karriere formuliert: vom Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, der ihn auch als Diplomat, der die meiste Zeit im Ausland verbrachte, sein Leben lang begleitete, bis zu seinen eigenen Vorurteilen Deutschland gegenüber, die er im Laufe seiner Karriere selbst hinterfragen musste.

Mit fast 60 Jahren, als er die Stelle in Bonn antrat, begann er, von Grund auf Deutsch zu lernen.

Ein spannender und sehr persönlicher Rückblick auf mehr als ein halbes Jahrhundert Politikgeschichte aus den Augen eines großen Diplomaten, Intellektuellen und Menschenfreundes.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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