Irak und Syrien:Der Dschihadismus ist noch lange nicht geschlagen

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Das irakische Militär bei seinem Vormarsch auf die Stadt Ramadi am Dienstag vor Weihnachten. Trotz der jüngsten Erfolge gegen den IS ist die Terrormiliz noch nicht am Ende. (Foto: dpa)

Gegen den IS kann die internationale Allianz zwar Geländegewinne verbuchen. Eine überzeugende, islam-kompatible Weltanschauung für die Menschen in Syrien und im Irak fehlt aber völlig.

Kommentar von Tomas Avenarius

Für den Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi läuft es nicht mehr so richtig gut. In den vergangenen Monaten hat der selbsternannte Führer der Gläubigen ein Sechstel seines Gottesstaates an seine Gegner verloren, das Kalifat schrumpft in sich zusammen. Im irakischen Ramadi sind die Kämpfer des "Islamischen Staats" (IS) von Regierungstruppen eingekesselt worden, die Rückeroberung der Stadt scheint ausgemacht zu sein.

In Syrien wurden die Islamisten von einem der wichtigsten Staudämme des Landes vertrieben; die Kontrolle der Wasserversorgung war eine potenzielle Trumpfkarte im schmutzigen IS-Krieg. Siegesmeldungen der vom Schlachterfolg so lange verwöhnten Dschihadisten lassen hingegen auf sich warten. In dieser misslichen Lage erinnert sich der Kalif an einen Klassiker arabischer Propagandisten: Er droht Israel.

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Palästina solle Israel "zum Grab werden": Die Worte al-Baghdadis werden als Reaktion auf eine Reihe von Niederlagen gewertet, die die Terrormiliz hinnehmen musste.

"Wir haben Palästina keine Sekunde lang vergessen. Bald, mit Gottes Erlaubnis, werdet ihr die bebenden Schritte der Heiligen Krieger hören", so der Kalif. Dann werde Palästina "zum Friedhof der Juden". Wollte einer der kruden Theo-Logik des irakisch-syrischen Militantenführers folgen, müsste er anhand der militärisch desolaten Lage eigentlich schlussfolgern, dass Allah sich von seinen Kämpfern abgewendet hat und nun auf die bebenden Schritte anderer Kräfte - in diesem Falle der irakischen Armee - setzt. Aber da Allah mit dem Kalifen wohl ebenso wenig zu tun haben will wie vor vielen Hundert Jahren der Christengott mit den blutbesudelten Kreuzrittern, sollte man sich mit profaneren Erklärungen begnügen. Die Strategie der Multi-Koalition gegen den IS greift besser als noch vor Monaten.

Der Dschihadismus wird so schnell nicht verschwinden

Die irakische Armee verzichtet im Kampf um Ramadi auf ihre berüchtigten Schiitenmilizen, sie lässt sunnitische Stammeskrieger gegen den ebenfalls sunnitischen IS antreten. Das könnte die Rückeroberung der Sunniten-Hochburg Ramadi leichter machen. Denn im Irak spielt die Religionszugehörigkeit selbst dann noch eine Rolle, wenn man schon aufeinander schießt. Hinzu kommt, dass die monatelangen Bombardements der von den USA angeführten Luft-Koalition die Reihen der IS-Kämpfer lichten. Die Dschihadisten können sich am Boden nicht mehr so ungehindert bewegen wie in der Frühphase des Kalifats, als die IS-Militanten immer weitere Teile Syriens und des Irak eroberten. Und die kurdischen Milizen sind inzwischen besser bewaffnet und ausgebildet. Deshalb konnten die syrischen und irakischen Peschmerga-Kämpfer die IS-Militanten aus wichtigen Orten vertreiben.

Geschlagen ist der "Islamische Staat" aber noch lange nicht. Selbst wenn der IS aus den vom Kalifat besetzten Großstädten und Provinzen vertrieben werden kann, wird der Dschihadismus als neue Geißel des Nahen Ostens - und inzwischen auch der westlichen Welt - so schnell nicht verschwinden. Im Gegenteil. Neue Militante werden auf den IS folgen, so wie der IS auf al-Qaida gefolgt ist. Britische Experten gehen davon aus, dass etwa 60 Prozent der syrischen Rebellen Islamisten unterschiedlicher Couleur sind. Noch weit erschreckender ist: Ein Drittel der Aufständischen in Assad-Land teilt sogar mehr oder weniger offen die Ziele der Kalifatsführer. Unter den irakischen Sunniten, die gegen die Zentralregierung in Bagdad kämpfen, werden die Dinge ähnlich sein.

Was fehlt im Kampf gegen den IS, sind nicht nur Truppen und militärisches Gerät. Es fehlt auch eine überzeugende, islam-kompatible Weltanschauung. Sie muss jenen Teilen der muslimischen Welt Antworten bieten, in denen die Enttäuschung über Armut und Perspektivlosigkeit, über die Korruption der eigenen Herrscher und die Doppelzüngigkeit der westlichen Demokratien zum bewaffneten Kampf im vermeintlichen Namen Gottes geführt hat.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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