Infrastruktur:Kulturwandel auf der Großbaustelle

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Die Elbphilharmonie in Hamburg gilt als Symbol für Verzögerungen und Kostenexplosion bei öffentlichen Bauprojekten. (Foto: dpa)
  • Eine Expertenkommission des Verkehrsministeriums hat Vorschläge erarbeitet, um explodierende Kosten und Verzögerungen bei öffentlichen Bauprojekten zu verhindern.
  • Verkehresminister Dobrindt zufolge könnten Bonus-Malus-Regelungen in Zukunft Baufirmen disziplinieren.
  • Auch eine bessere Abstimmung zwischen verschiedenen am Bau beteiligten Firmen sei notwendig. Dafür soll es bald eine digitale Plattform geben.
  • Kritik an den Ergebnissen der Kommission kommt von mittelständischen Firmen. Sie fürchten, dass in Zukunft nur noch große Unternehmen an Aufträge gelangen.

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Der zentrale Satz steht auf Seite 17, sogar extra in gefetteter Schrift. "Alle am Bau Beteiligten tragen zu den Problemen bei", heißt es da. "Sie können nur gemeinsam gelöst werden." Schuldzuweisungen nur an Politik, Bauherren oder Bauwirtschaft seien "nicht sinnvoll". Kurzum: Alle sind irgendwie mit schuld, wenn mal wieder eine Elbphilharmonie statt 2010 erst 2016 fertig wird, und dann zu wesentlich höheren Kosten. Oder wenn ein Hauptstadtflughafen wenige Wochen vor dem geplanten Termin dann doch nicht fertig wird. Viele dieser Projekte zeigten "deutliche Anzeichen für unwirtschaftliche Verfahrensweisen". So steht es im 112-seitigen Abschlussbericht, den eine "Expertenkommission für Großprojekte" am Montag in Berlin beschließen wollte.

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Seit Frühjahr 2013 hatten sich die 36 Experten damit beschäftigt, warum eigentlich bei öffentlichen Bauten mal die Kosten, mal die Zeitpläne gesprengt werden und in den überwiegenden Fällen sogar beides. Die Analyse ist schonungslos. So würden Baukosten mitunter schon festgelegt, noch ehe die Planungen abgeschlossen seien, nicht selten aus politischen Gründen. Verzögerungen oder Kostensteigerungen würden zu spät erkannt und oft noch später benannt. Am Bau beteiligte Firmen arbeiteten zu schlecht zusammen - eindrucksvoll zu betrachten auch beim Berliner Pannenflughafen BER. Nötig sei ein regelrechter "Kulturwandel", fordert die Kommission.

Bonus-Malus-Regelungen für Baufirmen

Den will auch Alexander Dobrindt, der Verkehrsminister von der CSU. Sein Vorgänger Peter Ramsauer hatte die Kommission ins Leben gerufen, aus Angst um den guten Ruf deutscher Ingenieure. Bauherren und Baufirmen müssten "mit mehr Partnerschaftlichkeit zu mehr Kostentransparenz und Termintreue finden", sagte Dobrindt am Montag. Denkbar seien etwa sogenannte Bonus-Malus-Regelungen, mit denen Baufirmen belohnt würden, sobald sie vor der Zeit fertig werden - und Abschläge befürchten müssen, wenn sie überziehen. Übrigens hat auch die Kommission überzogen: Ursprünglich sollte sie schon im vorigen Jahr ihre Ergebnisse vorlegen.

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Dafür gibt es nun einen eigenen Zehn-Punkte-Plan. Er verlangt auch manche Selbstverständlichkeit: Etwa, erst zu planen und dann zu bauen. "Der Bauherr sollte mit dem Bau erst nach Erstellung eines zusammenfassenden Dokuments beginnen, das die lückenlose Ausführungsplanung für das gesamte Projekt sowie detaillierte Angaben zu Kosten, Risiken und zum Zeitplan enthält", heißt es da. Schließlich lief so manches Projekt in der Vergangenheit schon deshalb aus dem Ruder, weil den öffentlichen Auftraggebern noch ein paar Dutzend klitzekleine Änderungen einfielen.

Wirtschaftlichkeit statt niedrigstem Preis

In Planungsteams sollten die Bauherren künftig die Vorarbeiten verlagern - und dabei auch die späteren Nutzer stärker einbeziehen. Auch sei es vorteilhaft, die Aufträge nicht an die billigsten, sondern an die "wirtschaftlichsten" Firmen zu vergeben. "In den letzten Jahren hat sich herausgebildet, dass vergebende Beamte sich nur noch trauen, nach dem günstigsten Angebot zu vergeben", sagte Thomas Bauer, Chef des Bauindustrie-Verbandes. Dies führe häufig zu Mehrkosten und schlechter Qualität.

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Die Koordination zwischen den Beteiligten könnte künftig über eine neue, digitale Plattform laufen. Dieses sogenannte Building Information Modeling, kurz BIM, fasst alle Informationen über ein Projekt zusammen. So kann jede beteiligte Baufirma in speziellen Computerprogrammen sehen, womit sich gerade andere Gewerke am Bau befassen. Manches Planungs-Wirrwarr, so die Hoffnung, ließe sich so entwirren. Für Ende des Jahres kündigte Dobrindt einen eigenen "BIM-Gipfel" an. Bis dahin soll auch ein Stufenplan stehen, wie sich die Planung großer Infrastrukturprojekte schrittweise digitalisieren lässt.

Doch unter den beteiligten Experten sind längst nicht alle glücklich mit den Erkenntnissen der Kommission. Vor allem das mittelständische Baugewerbe befürchtet, bei den neuen Anforderungen auf der Strecke zu bleiben. Vermehrt drohten Großprojekte nun in den Händen großer Baukonzerne zu landen, auf dem Umweg über öffentlich-private Partnerschaften, warnte Hans-Hartwig Loewenstein, Chef des Baugewerbe-Verbands ZDB. "Denn nur große internationale Konzerne sind mit Unterstützung durch internationales Finanzkapital in der Lage, solche Riesenprojekte von mehreren Milliarden zu stemmen."

© SZ vom 30.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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