Musée des Confluences in Lyon:Wunder gewünscht, Fiasko bekommen

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Wo Rhône und Saône in Lyon ineinanderfließen, ist nach Plänen von Coop Himmelb(l)au das Musée des Confluences errichtet worden. (Foto: Coop Himmelb(l)au)

Deutschland hat den Berliner Flughafen, Frankreich das Musée des Confluences: Das neue Museum in Lyon sollte 2005 eröffnet werden. Für 60 Millionen Euro. Jetzt ist der Bau endlich fertig - für 300 Millionen. Nun ist es der schönste Skandal der Welt.

Von Gerhard Matzig, Lyon

Verrückt, an dieser Stelle ein Selfie machen zu wollen. Aber das Museum muss mit drauf, von der Seite. Und zwar jetzt. Jetzt, da unter dem bleigrauen Himmel, der auf Lyon lastet an diesem Dezembertag, als wäre er an den Kirchturmspitzen angebunden, ein schüchterner Lichtstrahl hervorkriecht und die imposante Stahlhaut des Musée des Confluences für einen Augenblick silbrig schimmern lässt.

Hätte man Pech, so zeigte das Selfie nicht nur das Museum im Hintergrund, sondern auch einen heranrasenden Truck in Großaufnahme. Wolf Prix hat Glück.

Immer schon eigentlich.

Wild hupend weicht der Fahrer eines Euro-Sattelschleppers aus. Hinter der Windschutzscheibe ein Schild. "Alain" also. Er verfügt über ein gutes Reaktionsvermögen. Prix aber hat gute Nerven. Und sein Selfie hat er auch. "Das ist für Steven, der hat heute Geburtstag. Das schicke ich ihm jetzt. Ein richtiges Ätsch-Foto." Klick.

Das Selfie vom Ätsch!-Museum

Ätsch? Ein Selfie, für Steven Holl. Das ist ein bekannter amerikanischer Architekt - und ein Freund des bekannten österreichischen Architekten Wolf Prix, 72, der sich als Mastermind der Architektur sowie als Chef des Wiener Büros Coop Himmelb(l)au außer auf die wahre Baukunst - und zudem sogar auf die Ware "Baukunst" - auch auf die Kunst des Wiener Schmähs versteht, charmant boshaft.

Im Februar 2001 ist Holl zusammen mit anderen namhaften Größen der internationalen Architekturszene im Wettbewerb um den Neubau des Musée des Confluences ausgeschieden. Prix hat damals gewonnen. Jetzt kriegt Holl das Bild vom fertigen Museum. Das Ätsch-Selfie, das in gewisser Weise auch ein Ätsch-Museum zeigt.

Im gläsernen Foyer des Museumsneubaus, das die Architekten als "Kristall" bezeichnen, formiert die Stahlkonstruktion einen räumlichen Wirbel. (Foto: Duccio Malagamba)

Am Rand der Autobahn, die Marseille mit Paris verbindet liegt es in Lyon. Dort, wo sich die Flüsse Rhône und Saône treffen, weshalb das Science-Museum auch einen angemessen zeichenhaften Namen trägt: "Confluence", Zusammenfluss. Alles fließt. Wasser, Wissen - Raum.

Ein hässlicher Brei mit Wohnregalen und Büroburgen

Die Stadt fließt nicht. Die zerfließt an dieser Stelle eher zu einem hässlichen Brei aus Infrastruktur, Wohnregalen, Büroburgen und Billighotels: Unmittelbar neben der Lyoner Stadtautobahn und im einst zu Industriezwecken aufgeschütteten Delta zwischen Rhône und Saône erwehrt sich der neue Wissenstempel, der viel sein möchte, aber ganz gewiss kein Tempel, der unablässig heranrollenden Brandung aus Sattelschleppern, Pendlerverkehr und suburbaner Tristesse. Erfolgreich.

Die 500 000-Einwohnerstadt Lyon, drittgrößte Kernstadt des Landes nach Paris und Marseille, wollte hier nach dem Vorbild von Frank Gehrys Guggenheim-Dependance in Bilbao stadträumliche und volkswirtschaftliche Schubkraft initiieren: durch ein Museum einerseits und mit Hilfe einer zur massenhaft besuchten, folglich gewinnträchtigen Touristenattraktion tauglichen Architektur andererseits.

In Bilbao hat das auch geklappt, weshalb man seit 1997 vom "Bilbao-Effekt" spricht. Es war die Geburtsstunde der Signature Buildings im Dienste der Stadtreparatur - und im Wettbewerb der Städte, die sich im Zeitalter der volkswirtschaftlich relevanten Verstädterung etwas ausdenken müssen: den unique selling point zum Beispiel, der leider, inflationär angewendet, auch schon wieder aufhört einer zu sein.

Du hast einen Gehry? Wir kriegen einen Prix. Baust du eine Hadid, besorgen wir uns einen Nouvel. Das sind nicht nur gute Architekten. Es sind auch Renditeversprechen.

Lyon wollte ein zweites Bilbao, bekommen hat es jedoch auch eine zweite Elbphilharmonie und einen zweiten Berlin-Brandenburg-Flughafen. Kosten sollte das Science-Museum ursprünglich rund 60 Millionen Euro; fertig werden sollte es vor neun Jahren.

Am Tag, da Prix durch das nahezu vollendete Museum führt (wobei die Ausstellungsräume nur andeutungsweise zu erahnen sind), kommt die aktuelle Ausgabe der auflagenstarken Zeitschrift L'Express heraus. Auf dem Titel: das Museum. Darunter steht: "Un incroyable fiasco financier". Ein "unfassbares" Finanz-Fiasko, das nun mal darin steckt, wenn ein Museum fünf Mal so teuer und ein Jahrzehnt später als geplant fertig wird.

Wolf D. Prix, der Mann, der sagt: "Architektur muss brennen". (Foto: Manfred Klimek)

An diesem Sonntag wird es nun feierlich eröffnet. Nach 14 Jahren Planungs-, Bau- und Leidenszeit. Für annähernd 300 Millionen Euro. Das sind die Gesamtkosten

Viel teurer als geplant, erhofft, erträumt oder, die Politik hat Erfahrung mit Prestigeprojekten, erlogen: Eine Zahl ist das jedenfalls, mit der man Prix richtig sauer machen kann. Er blafft dann etwas von Idiotie und von Politikern, die keine Verantwortung übernehmen, sowie von Kampfjets und Wahnsinn.

Ansonsten geht er gleich wieder grinsend über die Baustelle, macht seine Selfies und hat prächtige Laune. Das Museum, diese Baustelle, soll in ein paar Tagen eröffnet werden? "Wird schon."

Größer als ein Kampfjet

Was das alles mit Kampfjets zu tun hat, wird man später erfahren. Wobei das Musée des Confluences schon mal etwas größer ist als ein Kampfjet: 190 Meter lang, 90 Meter breit und gut 40 Meter hoch. Sein Schöpfer hat als junger Rebell, 26-jährig, Coop Himmelb(l)au erfunden, eine, naja, revolutionäre Bau-Kooperative, um daraus einen der erfolgreichsten Global Player der Architektur zu machen.

Wer die Himmelblauen in Wien anruft, um sich mit Prix in Lyon zu verabreden, kann sich in der Warteschleife hängend noch immer den Riff aus "Gimme Shelter" von den Stones anhören und darüber nachdenken, ob das stimmt, was Prix einmal gesagt hat, dass nämlich gute Architektur auch immer "brennen muss". 1980 war das. "Wir wollen Architektur, die leuchtet, die sticht, die fetzt. Architektur muss schluchtig, feurig, glatt, hart, brutal, rund, zärtlich, farbig, obszön, geil sein. Lebend oder tot. Wenn sie kalt ist, dann kalt wie ein Eisblock. Wenn sie heiß ist, dann so heiß wie ein Flammenflügel. Architektur muss brennen."

Ist das Kitsch? Kunst? Kommerz? Oder einfach nur: 1980.

Von weitem wirkt das Museum tatsächlich etwas aus der Zeit gefallen. Wie ein urwüchsiges Riesenreptil schiebt es sich hungrig auf die Stadtmitte zu. Das riesige, kristalline Maul, es birgt über einem Sockel aus Beton das gläserne Foyer, den "Kristall" in der Coop-Sprache, öffnet sich zur Stadt hin. Wie ein Bartenwal Plankton aus dem Meer filtriert, so werden die Passanten hier aufgenommen. Man kann sich kaum dagegen wehren.

Der Zugang erfolgt von der Stadtseite her durch den "Kristall" (im Bild rechts). Im Erdgeschoss: Shop, Kassen und Restaurant. (Foto: Duccio Malagamba)

Der Bau hat: Sog, Kraft, Energie. Er scheint ein Strudel und Wirbel zu sein - wie er dort entsteht, wo sich die Strömungen von Flüssen treffen. Zum Beispiel die von Rhône und Saône.

Der Kristall ist daher auch um einen solchen, räumlich gewordenen Wirbel herumgebaut worden. Prix erzählt von seiner Kindheit an der Donau in Wien. "Strudel sind gefährlich - es sei denn, man weiß, was zu tun ist, wenn man davon erfasst wird. Dann muss man sich nach unten ziehen lassen. Der Strudel spuckt einen dort wieder aus."

Schöne Geschichte. Der Strudel-Kristall sieht dennoch von weitem so aus, als sei ein nicht ganz kleiner Meteorit direkt in das Museum geflogen, das ja auch andere Meteoritenteile zu bieten hat. Es sieht nach Bauschaden aus. Einerseits.

Und andererseits macht das neugierig. Das Haus hat Präsenz, Anziehungskraft. Man will da hinein, und das ist nicht das Schlechteste, was einem Museum passieren kann, das weniger ein hehrer Schrein der Wissensaufbewahrung, als vielmehr ein lässiger Ort der Wissensaneignung sein möchte. Eine Vitrine ist das Musée des Confluences nicht.

Das seltsame Tier mit dem mächtigen, paradoxerweise filigran wirkenden Körper besteht aus Stahl, Glas und Beton. Der Sockel nimmt Nebenräume und Auditorien auf.

Ein Glück, dass die Wolke kein Hurrikan ist

Er ist wuchtig, fest. Im Gegensatz dazu: das Kristall-Strudel-Foyer. Das ist eine raumverschwenderisch inmitten der zwischen terrassiert angelegten Freiflächen und der Stadt vermittelnden Zone, eine Art Hallen-Architektur zum Empfang der Besucher wie zur vertikalen Erschließung.

Ein drittes Element stellt die "Wolke" dar. Ohne Himmel geht es nicht bei den Himmelblauen - man kann schon froh sein, wenn es kein Hurrikan ist. Die Lyoner Wolke ist eher friedlich: Eine dreigeschossige, hinter Edelstahlplatten befindliche Museumsarchitektur bietet Platz für drei permanente und sechs temporär zu bespielende Ausstellungsräume, die als "Black Boxes" unabhängig voneinander sind - allerdings auch ohne Tageslicht auskommen müssen.

Das Dach als fünfte Fassade: Die Architektur von Coop Himmelb(l)au ist nur als ganzer Körper zu begreifen. (Foto: Duccio Malagamba)

Gerade die Ausstellungsräume und dazugehörigen Ateliers, in denen sich indische Gottheiten wie auch Dinosaurier-Skelette befinden, sind letztlich erstaunlich funktional geraten.

Hier konnten die Wiener Wolkenbauer, die zuletzt etwa die Münchner BMW-Welt als eindrucksvolles Raumkontinuum formuliert haben, ihr räumliches Können kaum ausspielen. Umso mehr gelingt das im Kristall. So nahe sind die Wiener als Erben Piranesis dem Traum eines vollkommen durchdrungenen Raumes noch nie gekommen. Hier sind die Himmelblauen dem Barock näher als dem Bauhaus.

Was es kostet? Neun Euro!

Nach außen hin aber besteht das Museum in Lyon nicht nur aus einer Idee für einen funktional organisierten Museumsbau, der mit raumkünstlerischen Mitteln aus der Geschichte seines gesammelten Wissens heraus- und in die Zukunft des angewendeten Wissens hineinführen möchte. Es besteht vor allem auch aus Staunen-Wollen (Stadt Lyon) und Staunen-Liefern (Coop). Also aus Profilierungssehnsucht, Bauherrenambition und Politikerehrgeiz. Aus Architekturkönnen obendrein.

Was das Museum wirklich kostet? "Neun Euro", sagt Prix - und grinst wieder breit. Bubenhaft. Oder ist das doch ein Haifischlächeln? "Neun Euro, so viel wie eine Eintrittskarte."

Und überhaupt, was das solle, dieses Herumreiten auf den verdammten Zahlen. "Dieses inhaltlich und formal außergewöhnliche Museum kostet weniger als ein Kampfjet, der in fünf Jahren entweder abgestürzt, abgeschossen oder verschrottet sein wird." Was aber jetzt auch nicht weiterhilft. Die Frage bleibt: Wie kann etwas mit 60 Millionen kalkuliert werden und dann fünf Mal so viel kosten?

Was das Museum kostet? Der Architekt sagt: "Neun Euro." Für die Eintrittskarte. (Foto: Duccio Malagamba)

Lügende Politiker, schweigende Architekten

Die Antwort: Es war von Anfang an eine "politische Zahl" - um nur bloß die Steuerzahler nicht nervös oder gar wach zu machen. Gründliche Voruntersuchungen und Kostenkalkulationen hat es vorab kaum gegeben. Unberücksichtigt blieb zum Beispiel die an einem solchen Bauplatz unabdingbare Baugrunduntersuchung. Auch wurde das Verfahren zur Bauleitplanung mehrfach geändert, die Zuständigkeiten wechselten - dann wurde das Ganze auf Eis gelegt. Für Jahre. Dann wurde das Raumkonzept geändert. Dann kamen weitere Sonderwünsche hinzu. Dann wurden die Sicherheitsrichtlinien verändert - versicherungstechnisch. Das alles geschah auf der Seite der Bauherren. Doch am Ende scheint immer die Architektur verantwortlich zu sein. Sie ist es nicht in Lyon.

Niemand, der weiß, was das Bauen kostet, käme auf die absurde Idee, dass ein Gehäuse wie das Musée des Confluences für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag zu haben sein könnte. Die Architekten hätten das womöglich etwas lauter und früher sagen können. Aber klar, man will ja auch das Selfie.

Was bleibt? Ein eindrucksvolles, ja großes Museum und die kaum weniger große Hoffnung, Bilbao möge am Zusammenfluss von Rhône und Saône liegen. In jenem Strudel, der einen wieder ausspuckt, irgendwann.

© SZ vom 20.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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