Horst Köhler und der Afghanistan-Einsatz:Eine verhängnisvolle Aufnahme

Lesezeit: 2 min

Die Politik hatte die Brisanz nicht erkannt: Erst nach Hörerprotesten reagierten Politiker und Medien in Berlin auf das umstrittene Radio-Interview, das Horst Köhler auf dem Rückflug aus Afghanistan gab.

Daniel Brössler, Berlin

Es ist eine, auch technisch gesehen, problematische Aufnahme. Im Hintergrund ist Motorenlärm zu hören. Bundespräsident Horst Köhler befindet sich auf dem Rückflug nach Deutschland. Er war in China und dann zu einem Abstecher in Afghanistan, hat dort in Masar-i-Scharif die Soldaten der Bundeswehr besucht. Nun interviewt ihn der Journalist Christopher Ricke, stellt recht grundsätzliche Fragen zum Afghanistan-Einsatz.

Bundespräsident Horst Köhler während seines letzten Besuchs in Afghanistan. Auf dem Rückflug nach Berlin entstand das umstrittene Interview mit dem Deutschlandfunk, das für Aufregung sorgte - und schließlich zum Rücktritt führte. (Foto: ap)

Am Samstag, 22. Mai, senden die Schwesterprogramme Deutschlandfunk und Deutschlandradio Ausschnitte aus dem Gespräch. "Köhler fordert mehr Respekt für deutsche Soldaten in Afghanistan", werden die Agenturmeldungen darüber betitelt. Ganz am Ende einer Meldung der Agentur DAPD wird, eher beiläufig, auch Köhlers Radio-Äußerung über den Zusammenhang von "militärischem Einsatz" und "freien Handelswegen" zitiert. In Berlin bleiben diese Worte des Präsidenten zunächst ohne Echo. Nichts lässt vermuten, dass sie zehn Tage später zu Köhlers Rücktritt führen werden.

Wenn ein Lapsus passiert ist, äußern Hörfunkjournalisten gelegentlich die Hoffnung, dass sich dieser "versenden" möge. Köhlers Worte "versenden" sich nicht. Nicht Parteien und Politologen reagieren alarmiert, sondern die Hörer. Beim Deutschlandradio geht viel Beschwerdepost ein. Der Deutschlandfunk entscheidet, das Thema noch einmal aufzugreifen.

So wird am Morgen des 27. Mai Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, CDU-Politiker und ein besonnener Mann, zu den Äußerungen des Bundespräsidenten befragt. Polenz windet sich, die Situation ist ihm unangenehm. Der Bundespräsident habe sich "etwas missverständlich ausgedrückt", sagt er zunächst. Auf Nachfrage räumt er ein, dass es "keine besonders glückliche Formulierung war, um es vorsichtig auszudrücken". Weiter kann und will er in seiner Kritik nicht gehen, doch das Interview verfehlt seine Wirkung nicht. Das politische Berlin hört an Werktagen morgens Deutschlandfunk, Köhlers Äußerungen werden - mit Verspätung - zum Thema.

SPD, Grüne und Linke kritisieren Köhler zum Teil scharf, eine besondere Zurückhaltung aus Respekt vor dem Amt scheint es nicht mehr zu geben. "Wir wollen keine Wirtschaftskriege", sagt SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Gregor Gysi, Chef der Linksfraktion, behauptet, dass er erstmals offen das Staatsoberhaupt angreife und begründet dies damit, dass dessen Worte "unverantwortlich" seien. "Der Bundespräsident offenbart entweder Unkenntnis oder Ungeschicklichkeit", empört sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Köhler habe sich hoffentlich nur vergaloppiert, meint Trittin, andernfalls stünde der Bundespräsident mit dieser Äußerung nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Es ist dies eine Feststellung, die Köhler offenbar ganz besonders trifft.

Rücktritt des Präsidenten
:Wer macht den Köhler?

Köhler schmeißt hin, jetzt geht die Suche nach einem Nachfolger los. Wer wird das neue Staatsoberhaupt? Wir haben uns das in Frage kommende politische Personal schon mal angesehen - und Sie können abstimmen.

Thorsten Denkler, Berlin

Seinen Rücktritt begründet er jedenfalls mit "jeder Rechtfertigung entbehrender Kritik", er befürworte Einsätze, die nicht vom Grundgesetz gedeckt wären. Wessen Vorwürfe er damit konkret meint, lässt Köhler indes offen. Offenkundig aber wird, dass er sich ungerecht beurteilt und absichtlich missverstanden fühlt. Nach Anschwellen des Proteststurms hatte Köhlers Vize-Sprecher gesagt, der Bundespräsident habe "als Beispiele für die Begründung militärischer Einsätze auch die Verhinderung regionaler Instabilität und den Schutz freier Handelswege genannt; diese Äußerungen des Bundespräsidenten beziehen sich auf die vom Deutschen Bundestag beschlossenen aktuellen Einsätze der Bundeswehr wie zum Beispiel die Operation ,Atalanta' gegen Piraterie".

Die Frage des Radiojournalisten auf dem Rückflug freilich gilt der Diskussion, ob ein weitergehendes Mandat der Bundeswehr in Afghanistan nötig sei, "weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden". In seiner weitschweifigen Antwort verneint Köhler dies, kommt nach eineinhalb Minuten dann zu den verhängnisvollen Worten, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen".

Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle nimmt Köhler am Wochenende noch einmal in Schutz, spricht von "bewusstem Missverstehen". Schließlich habe Köhler über die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und den Schutz der "See- und Handelswege" gesprochen. Keines dieser Worte freilich ist in Köhlers Interview gefallen.

© SZ vom 01.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: