Homosexuelle:Homosexualität - für Radikale ein Schwerverbrechen

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Äußerste Brutalität: Screenshot aus einem Propagandavideo des IS, auf dem ein Mob einen Mann steinigt, der der Homosexualität bezichtigt wurde. Das Opfer wurde zuvor vom Dach eines Hauses geworfen. (Foto: picture alliance / AP Photo)

In den Augen fundamentalistischer Muslime sind Schwule, Lesben und Transsexuelle Sünder, die gesteinigt gehören. Die Gegenmeinung lautet: "Der Prophet hat Homosexuelle beschützt."

Von Tomas Avenarius

Was den Islam und die Homosexualität angeht, so hat der Vater des Orlando-Attentäters Omar Mateen das Problem eher unbeabsichtigt auf den Punkt gebracht. In dem Video, in dem Seddiqe Mir Mateen sich mit dem Satz "Ich bin Amerikaner" für die ihm unbegreifliche Tat seiner Sohnes entschuldigt, schließt er mit dem Satz: Sein Sohn habe kein Recht gehabt, über die Schwulen und Lesben im Nachtclub "Pulse" zu urteilen und sie zu bestrafen. Allein Gott dürfe über Homosexuelle richten.

Das aber heißt: In den Augen vieler eher traditioneller Gläubiger wie im Falle des Vaters des Attentäters oder eben auch fundamentalistisch eingestellter Muslime sind Schwule, Lesben und Transsexuelle Sünder oder Kranke, die gegen Gottes Ordnung verstoßen. Sie werden am Ende von Allah - oder aus radikaler Sicht vom Menschen auf Erden - zur Rechenschaft gezogen.

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Ob die heiligen Texte des Islam diese eindeutige Verurteilung der Homosexualität hergeben und welche Strafe vorgesehen ist, bleibt umstritten wie so vieles im Islam (und im Christentum, auch in der Bibel findet sich Ablehnung gleichgeschlechtlicher Sexualität). Klar ist, dass eine orthodoxe oder gar islamistische Auslegung der Religion bei diesem Thema auf die Scharia und ihre härteste Form der Anwendung verweisen.

Demnach zählt Homosexualität zu den Schwerverbrechen wie Ehebruch, Vergewaltigung, Raubmord, Diebstahl oder Alkoholgenuss. Auf diese Taten stehen verschiedene Körperstrafen, unter anderen auch der Tod. Weshalb Radikale wie die Taliban oder die Militanten des "Islamischen Staates" (IS) behaupten, ein Schwuler müsse von einem Dach oder Felsen gestoßen, lebend von einer einstürzenden Mauer begraben, geköpft oder verbrannt werden.

"Der Prophet hat Homosexuelle beschützt"

Liberale Muslime verweisen hingegen auf die islamische Literatur des Mittelalters, in der die Freuden der Knabenlieben gepriesen werden, wenn auch oft nur in Allegorien. Sehr wenige, häufig im Westen sozialisierte Muslime gehen allerdings so weit wie der schwule Imam Ludovic-Mohamed Zahed in Berlin, der seine Homosexualität als gläubiger Muslim als gleichberechtigte Lebensform begreift. Er sagt: "Der Prophet hat Homosexuelle beschützt."

Als Homosexueller in islamischen Ländern zu leben, ist jedenfalls lebensgefährlich: Zum einen sehen viele nationale Gesetzbücher harsche Strafen vor, etwa in Marokko (drei Jahre Haft für gleichgeschlechtlichen Sex), Katar (zehn Jahre) oder in Ägypten, wo Schwulentreffs bei Razzien gestürmt werden oder am Persischen Golf, wo regelrechte staatliche Homosexualitäts-Tests debattiert werden. Zudem sind die Vorurteile in der Gesellschaft so stark, dass Schwule von Gegnern oft in eigener Regie verfolgt, gequält oder ermordet werden.

Dennoch gibt es in allen islamischen Staaten Szenen, in denen sich Homosexuelle treffen und sogar, wie am Persischen Golf, geschminkt und in Frauenkleidern Hochzeiten feiern. In Afghanistan wiederum missbrauchen Warlords bis heute Knaben, die sie entführen und quasi versklaven.

Als die Taliban 1994 im Land auftauchten, war eine ihrer ersten Taten, einen solchen Kommandanten aufzuhängen. Diese Lynchjustiz in Sachen Homosexualität trug enorm zu der Popularität bei, welche die Steinzeit-Islamisten in den ersten Jahren bei der Bevölkerung Afghanistans genossen.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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