Hinrichtungen:Wie ein Todesstrafen-Referendum in Deutschland verhindert werden kann

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Zuletzt stimmten türkische Staatsbürger in Deutschland Ende März über die Verfassungsänderung hin zu einem Präsidialsystem ab. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Noch ist ein Referendum über die Todesstrafe in der Türkei nicht mehr als eine Ankündigung von Erdoğan. Aber die Gegner einer solchen Abstimmung formieren sich schon jetzt.
  • Deutsche Politiker verschiedener Parteien fordern, eine solche Abstimmung in Deutschland nicht zu genehmigen.
  • Völkerrechtler gehen sogar davon aus, dass Deutschland verpflichtet sein könnte, ein türkisches Referendum über die Todesstrafe auf deutschem Boden zu verbieten.

Von Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Die Phalanx steht, bevor Recep Tayyip Erdoğan das Referendum überhaupt angesetzt hat. Sollte der türkische Staatspräsident tatsächlich tun, was er zuletzt mehrfach angekündigt hat, sollte er also sein Volk befragen lassen, ob es für eine Wiedereinführung der Todesstrafe eintritt, dann muss er sich auf den geschlossenen Widerstand der deutschen Politik gefasst machen.

Ob Kanzlerin oder Kanzlerkandidat, ob Koalition oder Opposition - alle wollen es türkischen Staatsbürgern in Deutschland verbieten, über ein solches Referendum abzustimmen. SPD-Chef Martin Schulz erklärte dem Spiegel, eine solche Abstimmung dürfe "unter den Türkinnen und Türken in Deutschland nicht stattfinden". Man könne nicht über ein Instrument abstimmen lassen, das "unseren Werten und unserer Verfassung widerspricht". Wenig später ließ auch die Kanzlerin durch ihren Sprecher Steffen Seibert erklären, es sei "politisch nicht vorstellbar", einer solchen Abstimmung in Deutschland zuzustimmen.

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Damit geht Ankara weiter gegen mutmaßliche Unterstützer des Putschversuchs vor. Mit einem Dekret verbannt die konservative Regierung außerdem Kuppelshows aus Funk und Fernsehen.

Stellt sich nur die Frage: Geht das so einfach, ein Referendum zu verbieten und damit ein demokratisches Recht auszuhebeln? Immerhin durften die Türken in Deutschland über das Verfassungsreferendum abstimmen. Und wenn am Sonntag Frankreich über die Nachfolge von François Hollande abstimmt, dann werden auch hierzulande Wahllokale für Franzosen öffnen. Die Bundesrepublik erlaubt dies.

Aus dem Völkerrecht ließe sich sogar eine Pflicht zum Einschreiten herleiten

Allerdings: Die Genehmigung eines solchen Wahlaktes auf deutschem Boden ist ein "Akt der Ausübung von Staatsgewalt", so formuliert es der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat. Daraus leitet sich für ihn auch die Möglichkeit ab, das Gegenteil zu tun. "Umgekehrt heißt dies: Das kann auch untersagt werden." Zu einem ähnlichen Urteil war kürzlich ein Kurz-Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gekommen. Wenn die Konsulate die Wahl nicht veranstalten dürfen, bliebe den Auslands-Türken in Deutschland nur die Briefwahl - diese ist nicht von einer Genehmigung des Gastgeberlandes, also Deutschlands, abhängig. Die Briefwahl allerdings hatte Ankara von sich aus abgeschafft.

Völkerrechtler gehen sogar noch weiter. "Das Verbot der Todesstrafe ist für uns eine ganz grundlegende Wertentscheidung", sagt Tomuschat. "Es ließe sich sogar eine Verpflichtung herleiten, ein Referendum zu verbieten." Dabei könnte sich die Bundesregierung auch auf völkerrechtliche Verträge stützen.

So heißt es im Sechsten Zusatzprotokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention: "Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden." Alle Mitglieder des Europarats haben sich darauf verpflichtet, mithin auch die Türkei selbst. Auf dieser Basis könnten Mitglieder des Europarats ein Todesstrafen-Referendum auf ihrem Staatsgebiet verbieten, sagt Stephan Schill, der Völkerrecht an der Uni Amsterdam lehrt. "Womöglich müssten sie es sogar", sagt er. "Argumente dafür gibt es."

Ein unkündbarer Vertrag

Damit beschränkt sich die Phalanx gegen das Referendum nicht nur auf die Politik in Berlin. Und es wäre noch nicht mal das einzige völkerrechtliche Problem, das der türkische Präsident Erdoğan überwinden müsste. Denn neben der Europäischen Menschenrechtskonvention hat Ankara noch einen weiteren Vertrag ratifiziert: das Zweite Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Es verbietet Hinrichtungen und wurde auch von der Türkei ratifiziert. Außerdem, so sagt es Tomuschat, ist das Protokoll "unkündbar".

Ausführlicher als der SPD-Chef oder die CDU-Chefin und Kanzlerin meldeten sich am Freitag Parlamentarier wie Grünen-Chef Cem Özdemir zu Wort. Er sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es wäre absurd, in Deutschland die Todesstrafe zu verbieten, um dann aus Deutschland heraus zu ermöglichen, dass sie in der Türkei wieder eingeführt wird." Das sei ein "unerträglicher Gedanke".

Schon vor Tagen hatte FDP-Chef Christian Lindner dazu aufgerufen, die Aufstellung von Wahlurnen zu verbieten. Die von der Türkei bespitzelte Sozialdemokratin Michelle Müntefering sagte der SZ, sollte Erdoğan eine Abstimmung anstrengen, müsse das untersagt werden. "Wir dürfen unsere Werte nicht zur Disposition stellen.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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