Heidenau:"Los, schimpfen Sie auf die bösen Ossis"

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  • Die Kanzlerin ist weg, doch in Heidenau brodelt es weiter. Die Menschen in der sächsischen Kleinstadt können sich nach den Ausschreitungen vor dem Flüchtlingsheim nicht beruhigen.
  • Auch abseits der Erstaufnahmeeinrichtung sind die Flüchtlinge das wichtigste Thema.
  • Wer für die Unruhe in der Stadt verantwortlich ist, darüber gibt es verschiedene Meinungen.

Von Antonie Rietzschel, Heidenau

"Die sind scharf auf unsere Frauen"

"Brüllen Sie mich nicht an", sagt die junge Frau. "Tue ich nicht", brüllt der Rentner. Beide stehen vor dem umgebauten Baumarkt in Heidenau, in dem mittlerweile 575 Flüchtlinge leben. Er hat sich in der Hitze in Rage geredet. "Da leben nur Männer." "Wissen Sie, warum das so ist?", fragt sie. "Die sind scharf auf unsere Frauen", kommt als Antwort.

Ein anderer Mann schaltet sich ein. Ob sie sich als Frau in Heidenau noch sicher fühle. Sie sagt, sie komme nicht von hier. "Ah ein Wessi. Na von Ihnen lass ich mir nix sagen. Los, schimpfen Sie auf die bösen Ossis!" Sie kommt aus Dresden, doch das geht in dem Gezeter unter.

Zwischentöne, kritisches Nachfragen, Zuhören - dafür ist hier kein Platz mehr. Dialog ist nur unter denen möglich, die sich schon einig sind. In ihrem Hass gegen die Flüchtlinge oder in ihrer Abscheu gegen den Fremdenhass. Erstere sind eindeutig in der Überzahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel suchte erst gar nicht das Gespräch mit ihnen, als sie nach den Krawallen der letzten Tage die sächsische Erstaufnahmeeinrichtung besuchte. Sie wurde ausgebuht und ausgepfiffen. Während sie anderthalb Stunden mit Helfern und Flüchtlingen sprach, versammelte sich vor dem gegenüberliegenden Einkaufszentrum ein Mob von 200 Menschen, brüllte: "Volksverräter", "Lügenpresse" und andere Beleidigungen. Vorbeifahrende Autos hupten laut. Rechtsextreme Gruppen hatten dazu aufgerufen. Heidenau, so scheint es, kann sich nicht beruhigen.

"Zu demonstrieren, finde ich eigentlich ganz gesund"

Es ist eine zerrissene Stadt in diesen Tagen. Während vor der Erstaufnahmeeinrichtung vor sich hin gegeifert wird, herrscht etwas abseits eine merkwürdige Sprachlosigkeit. Die Ernst-Thälmann-Straße in der Nähe des Bahnhofs ist der klägliche Versuch, der Stadt ein Herz zu geben. Mit einem kleinen Modegeschäft für sie und ihn. Es gibt einen Blumenladen, mehrere Arztpraxen, eine Apotheke.

Hier schweigen viele zu den Ereignissen der vergangenen Tage. "Kein Kommentar", "ich will mich dazu nicht äußern" - oder einfach Kopfschütteln. Doch man kann den Angesprochenen ansehen, dass sie all die Ereignisse beschäftigen.

Einige reden. "Das ist zu viel", sagt Jens Näther, der in einem Handyladen arbeitet. Er meint die Flüchtlinge. Erst heute morgen habe er sich ein Video bei Facebook angesehen, von Krawallen zwischen Flüchtlingen. "Und in einem der Läden sollen sie schon geklaut haben", sagt er. Natürlich, vielleicht seien das auch Vorurteile, aber er habe davon gehört. Dass gewaltbereite Rechtsextreme in dieser Stadt zu Hunderten randalieren und dabei 30 Polizisten verletzt werden? "Ja, Gewalt ist nicht gut - aber zu demonstrieren, finde ich eigentlich ganz gesund."

Eine ältere Dame, die für einen kurzen Bummel gekommen ist, sagt dagegen, sie sei schockiert gewesen von den Bildern. "Ich konnte gar nicht glauben, dass das in Deutschland möglich ist. Diese Menschen kommen hierher aus dem Krieg, und dann müssen sie das erleben." Gegen den Vorwurf, dass hier alle rechtsextrem seien, dagegen verwehre sie sich. "Die sind ja alle aus der Umgebung", sagt sie. Nicht aus Heidenau selbst, meint sie damit.

Doch auch hier haben sich die Rechten mittlerweile etabliert. Im Stadtrat sitzt ein NPD-Mitglied, das mehrere Veranstaltungen in der Stadt angemeldet hat, darunter auch die Demonstration vom vergangenen Freitag, zu der 1000 Menschen kamen, und die schließlich in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei mündete.

Die Flüchtlinge kaufen ein, spielen Fußball

Die Verkäuferin eines Parfümladens kam zur Zeit des Aufruhrs aus dem Urlaub zurück. "Mein Nachbar hat gemeint, da kämen Flüchtlinge, und wir müssten was dagegen machen. Aber ich habe nichts gegen die Leute."

Einige Asylbewerber sind mittlerweile regelmäßig auf den Straßen der Stadt zu sehen. Sie gehen zum Real-Supermarkt, um sich Handykarten zu kaufen - oder zur Tankstelle. Dabei stehen sie unter Beobachtung. "Die Leute reden darüber, dass die auf dem Parkplatz des Schwimmbades Fußball spielen oder sich irgendwo eine Cola kaufen - was sollen die sonst machen?", sagt die Verkäuferin. "Wir können sie doch nicht einsperren."

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