Hamas:Die Zwerge aus Gaza

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Unterstützer der Hamas bei einer Demonstration gegen israelische Militäroperationen im nördlichen Gazastreifen. (Foto: AP)

Die radikalen Palästinenser erleben, wie ihre Rolle durch die tektonischen Verschiebungen in der arabischen Welt immer unbedeutender wird. Doch was geschieht, wenn es gelingt, die Hamas zu stürzen? Sind Israel oder etwa Ägypten auf Nachfolger vorbereitet, die noch radikaler, noch frömmelnder sind?

Ein Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Vielleicht kommt ja eines Tages der Moment, an dem sich alle die Hamas zurückwünschen. Israel, weil ein Haufen noch radikalerer, frömmelnder Grüppchen im Gazastreifen die Oberhand gewinnt - unkontrollierbar, möglicherweise gar nicht mehr ansprechbar. Ägypten, weil die Gaza-Extremisten auch die Dschihadisten auf dem Sinai erstarken lassen, dabei ist die Halbinsel schon jetzt eine Brutstätte für Folter und Entführungen, ein Ort absoluter Staatslosigkeit. Vielleicht wünschen sich dann sogar die Palästinenser die Hamas zurück - immerhin eine Organisation, eine Regierung.

Was nach ihr kommen könnte, ist ungewiss. Selten hat der Sturz einer Regierung zu ruhigen Verhältnissen in der Region geführt. Seit geraumer Zeit wird durchdacht, was das Ende der Hamas-Regierung im Gazastreifen bedeuten könnte. Umso bemerkenswerter erscheint die Sorglosigkeit, mit der sich die Islamisten in diesen neuen Konflikt mit Israel geworfen haben. Denn es stimmt ja, es geht ihnen nicht gut. Mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas liegen sie im Streit über die Bezahlung der Hamas-Beamten, die Abbas nicht übernehmen will. Der Nachschub an Waffen dürfte schwieriger werden, denn mit ihrer einstigen Exilheimat Syrien hat sich die Hamas-Spitze überworfen. Dies wiederum trübt das Verhältnis der Palästinenser zu Iran, einem sonst zuverlässigen Verbündeten im Kampf gegen den Erzfeind Israel.

Fast noch wichtiger aber: Ägypten. Seit dem Sturz des Islamisten-Präsidenten Mohammed Mursi und seiner Muslimbruder-Regierung vor einem Jahr könnte es schlechter kaum laufen für die Hamas. Als Israel 2012 Luftangriffe fliegen ließ, hatte Mursi noch seinen Premier Hischam Kandil in den Gazastreifen geschickt. Dessen Vermittlungserfolg galt als Beweis, dass auch das postrevolutionäre Ägypten seiner klassischen Aufgabe als Mediator im Nahostkonflikt gerecht wurde. Kandil lieferte den Beleg für die engen Beziehungen der beiden Islamisten-Organisationen.

Die radikalen Palästinenser sind plötzlich unbedeutend geworden

Nur Monate später aber wurde diese Nähe zur Bürde: Der Sturz der Islamisten-Regierung in Kairo traf die Hamas ins Mark. Die neue Regierung am Nil ließ die meisten Tunnel in den abgeriegelten Gazastreifen zuschütten, also fehlt - neben Schnickschnack wie Hühnchen von Kentucky Fried Chicken - Zement, Benzin, Medikamente, kurz: alles. Ägyptens Medien dämonisierten die Hamas - und mit ihnen gleich alle Palästinenser - als Komplizen der Mursi-Regierung. Die Muslimbrüder und die Hamas, so die offizielle Lesart, hatten an der Zersetzung und Ausplünderung Ägyptens teilgenommen. Zahlreiche Prozesse gegen Muslimbrüder, darunter jener gegen Mursi selbst, drehen sich um die Kollaboration mit dem Feind. Dass dieser eigentlich ein arabischer Bruder, ein Muslim, sogar ein Widerstandskämpfer gegen Israel ist, fällt dabei unter den Tisch. Nicht nur die Muslimbrüder, auch die Hamas sind für Ägypten heute Terrororganisationen.

So lesen es Eingeweihte als Zeichen stiller Übereinkunft mit Israel, dass Ägypten den aktuellen Schlag gegen die Hamas fast schweigend hinnimmt und bestenfalls Schaufenstervermittlungen einleitet. Man spreche mit allen Seiten, heißt es. In Gaza habe sich niemand gemeldet, entgegnet die Hamas. Der Grenzübergang Rafah - für viele Palästinenser der einzige Weg hinaus - bleibt bis Donnerstag geschlossen und wird dann nur für Verwundete geöffnet. Ansonsten tut Ägypten, was es seit drei Jahren tut: Es kreist um sich selbst.

Die Umwälzungen in der arabischen Welt haben den Palästina-Konflikt auf erstaunliche Art verzwergen lassen. Syrien im Krieg, der Irak vom Zerfall bedroht, Libanon und Jordanien von Flüchtlingen überwältigt. Da wirkt die Hamas fast wie eine alte Bekannte. Aber eine, deren Getöse der Rest der Region gerne mal überhört.

© SZ vom 11.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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