Griechenland stimmt Sparpaket zu:Die Krise hat ihre furchteinflößende Dimension verloren

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Mit seinem Ja zum Sparkurs hat das griechische Parlament im positiven Sinne Fakten geschaffen. Kein Land der Eurozone wird sich jetzt der neuen 130-Milliarden-Euro-Hilfe verweigern können. Griechen und Deutsche müssen trotz aller Emotionen die Kürzungen und die neuen Kredite akzeptieren - eine Insolvenz ist keine Alternative.

Stefan Kornelius

Das griechische Parlament hat eine starke und mutige Entscheidung getroffen. Die Feststellung ist zwingend und in ihrer simplen Form wichtig, weil es in diesen Tagen mehr auf Fakten als auf Spekulationen ankommt. Davon sind allemal ausreichend viele im Umlauf, auch an Meinungen herrscht kein Mangel. Aber mit Hilfe von Szenarien und Vorurteilen haben sich Krisen noch selten lösen lassen. Die griechischen Abgeordneten haben nun - so gut es in einem demokratischen Staat nun mal geht - Fakten geschaffen. Deswegen verdient ihr Spar- und Kürzungspaket allen Respekt.

Der Tag nach den Krawallen: Ein Mann geht an einem Laden in Athen vorbei, dessen Scheiben eingeschlagen wurden. Zehntausende demonstrierten am Wochenende ihre Ohnmacht angesichts der zermürbenden Sparrunden. (Foto: REUTERS)

Die Entscheidung der 199 Abgeordneten, belastet von der düsteren innergriechischen Stimmung und dem schmerzlichen Druck nicht zuletzt aus Deutschland, wird endlich das zweite große Rettungspaket möglich machen. Griechenland wird 130 Milliarden Euro erhalten und damit den unkontrollierten Staatsbankrott Mitte März verhindern können. Mit einhergehen wird der von den Geldinstituten verhandelte Schuldenschnitt.

Jetzt, da in Athen die Häuser brennen und das Parlament nahezu alle Auflagen erfüllt hat, wird sich kein Land der Eurozone mehr dieser Hilfe verweigern können. Auch der Bundestag in Berlin muss nun der Auszahlung zustimmen. Gäbe es nennenswerten Widerstand, dann wäre Deutschlands Glaubwürdigkeit in der Welt ruiniert. Die Einspruchsfrist endete vor dem Votum in Athen.

Die Finanzminister werden am Mittwoch noch Technikalitäten klären müssen. So ist es mehr als wünschenswert, dass die Finanziers des Rettungspakets die Kontrolle über die Ausgaben aus dem Topf behalten. Die Banken werden endlich die Einbeziehung der Europäischen Zentralbank in das Entschuldungs-Abkommen aushandeln müssen.

Aber: Gemessen an der Leistung des griechischen Parlaments gehört das alles zum Handwerk. Die Geldgeber müssen nun das tun, was die Rolle des Gläubigers ihnen abverlangt: Sie müssen den Glauben aufbringen, dass der Teufelskreis aus Verschuldung, Rezession und Kredithunger durchbrochen werden kann.

Das griechische Schuldendebakel hat die europäische Politik in eine Endlosschleife getrieben, die inzwischen alle Beteiligten überfordert. In Athen demonstrieren Zehntausende ihre Ohnmacht. Die populistischen und nationalistischen Eruptionen in Griechenland - aber nicht weniger auch in Deutschland - lassen die zerstörerischen Kräfte ahnen, die das Drama noch mobilisieren könnte.

In Deutschland sind es die kleinen Parteien und der große Volkszorn, die ein Ventil suchen für allen aufgestauten Druck: Ja, man hat viel gegeben und viel Geduld gezeigt, weshalb man sich all die Nazi-Beschimpfungen nicht gefallen lassen muss. Aber: Ist das nicht eine jämmerliche Pose der Kränkung, gemessen an den eigentlichen Opfern der Krise?

Straßenschlachten und Brandstiftung
:Griechen protestieren gegen Sparpaket

Im Parlament wird das Sparpaket verabschiedet - auf den Straßen herrscht Chaos: In Griechenlands Hauptstadt Athen eskalieren die Proteste gegen die geplanten Sparmaßnahmen. Vermummte Demonstranten werfen mit Steinen und Brandsätzen auf Polizisten, Geschäfte werden geplündert, mehr als 40 Häuser gehen in Flammen auf.

In Griechenland spüren vor allem die Mittelschicht und die schlecht Verdienenden den Würgegriff an der Kehle. Und weil auch hier bei aller Einsicht in die eigene Misswirtschaft und Reformunfähigkeit das äußere Feindbild leichter zu pflegen ist, sind es eben die Banken, der böse Euro und die Deutschen, denen man die schreckliche Lage zu verdanken hat. Der hässliche Nationalismus, die beschwörenden patriotischen Formeln - so klingt ein verzweifeltes Land.

Tatsächlich haben weder Griechen, Deutsche noch die anderen Euro-Europäer bis heute akzeptiert, wie stark sie ihre gemeinsame Währung aneinander fesselt. "Auf Gedeih und Verderb" - vielleicht wäre das die bessere Prägung für die Euro-Münze gewesen. Jetzt, in der Phase des Verderbens, bietet das zweite Rettungspaket mit den dem griechischen Parlament abgetrotzten Reformen die beste aller schlechten Möglichkeiten.

Wer die neuen Kredite verweigert und Griechenland in den unkontrollierten Bankrott treibt, der verkennt die finanztechnische Verflechtung und unterschätzt den Dominoeffekt einer Insolvenz. Politisch macht er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig - und helfen wird man spätestens dann müssen, wenn ein Zusammenbruch der Banken, eine Kapitalflucht und die ökonomische Handlungsunfähigkeit eines allemal dysfunktionalen Staates Flüchtlingswellen nach Norden treiben.

Wer die kontrollierte Insolvenz anstrebt, der muss die Begrenztheit seiner Prognosefähigkeit ebenso eingestehen. Bei einer geordneten Rückführung des Landes in Drachme-Zeiten gelten vergleichbare Risiken wie bei einer unkontrollierten Insolvenz. Also ist es ratsam, die Wirkung des zweiten Rettungspakets abzuwarten. Durch niedrigere Ausgaben hat Griechenland zuletzt im Primärhaushalt (Budget ohne Schuldzinsen) einen Überschuss erwirtschaftet.

Muss es deswegen immer so weitergehen wie bisher? Gibt es keinen Ausweg aus der Endlosschleife? Die Antwort ist simpel: Ein drittes Rettungspaket wird es wohl nicht mehr geben. Dazu reicht die politische Energie nicht aus. Aber nach Griechenland I und Griechenland II hat das Problem zumindest seine furchteinflößende Dimension verloren. Der Chor - im Theater der griechischen Antike zuständig für wichtige Kommentierungen - wird ein wenig abschwellen. Eine bessere Handlung war ihm bisher auch nicht eingefallen.

© SZ vom 14.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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