Abweisung von Flüchtlingen:Wie sähe das in der Praxis aus?

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Will man Schleichwege schließen, müssten viel mehr Polizisten eingesetzt werden. (Foto: picture alliance / Pawel Sosnows)
  • Bundesinnenminister Horst Seehofer will Flüchtlinge, die bereits in anderen EU-Staaten registriert wurden, direkt an der Grenze abweisen. Das dürfte nur mit flächendeckenden Grenzkontrollen möglich sein.
  • Für Spediteure und Arbeitnehmer, die über die Grenze pendeln, könnte das noch mehr Wartezeit bedeuten.
  • Um auch alle Schleichwege zu schließen, müssten zudem deutlich mehr Polizisten eingesetzt werden. Doch dazu fehlt der Bundespolizei das Personal.

Von Andreas Glas und Roland Preuss

Jürgen Pfeil ist auf dem Weg in den Sommerurlaub. Mit seiner Frau fährt er an den Gardasee, gerade machen sie einen Stopp in Südtirol. "Ich sitze in Italien, da geht es mir gut, ich habe alle Grenzen hinter mir", sagt er. Daheim, in Passau, ist das anders. Mit den Grenzkontrollen "hat da keiner Spaß". Pfeil ist Spediteur, 50 Mitarbeiter, 30 Lkw.

Seit zweieinhalb Jahren wird im Raum Passau wieder kontrolliert, seit zweieinhalb Jahren muss er sich täglich ärgern. "Auch unsere Fahrer nervt es wie die Sau", sagt Pfeil. Immer ist Stau, die Fahrer können ihre Termine nicht einhalten, den Spediteur kostet das Geld. Und jetzt? Will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Flüchtlinge, die bereits in anderen EU-Staaten registriert wurden, direkt an der Grenze abweisen. Das dürfte nur mit flächendeckenden Grenzkontrollen möglich sein. Nicht nur an Bayerns Grenzen, überall in der Republik. Derzeit kontrolliert die Bundespolizei laut Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nur an drei von 90 Grenzübergängen in Bayern durchgängig.

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Noch weiß keiner, wie in der Praxis aussehen würde, was Seehofer vorhat. Aber die Passauer Grenzregion ist ein guter Ort, um der Frage nachzuspüren, wie sich der Alltag der Menschen bald auch in anderen deutschen Grenzregionen verändern könnte. Im Raum Passau, an der deutsch-österreichischen Grenze, kamen 2015 Hunderttausende Flüchtlinge über die sogenannte Balkanroute ins Land. Seither ist die Zahl ankommender Flüchtlinge zwar stark gesunken, doch die Kontrollen auf der Autobahn A 3 gibt es immer noch. Ebenso auf der A 8 bei Schwarzbach und bei Kiefersfelden, an der Südgrenze zu Österreich. Im August 2017 standen dort die Autos zwischen München und Salzburg auf 33 Kilometern, an einem Samstag im Juni waren es 29 Kilometer. Das waren laut ADAC auch die beiden deutschen Rekord-Staus im Jahr 2017.

Fast 42 000 Asylsuchende waren 2017 bereits in anderen EU-Ländern erfasst worden

Die Kontrollen betreffen nicht nur Spediteure wie Pfeil, sie würden auch andere Unternehmer, die grenzüberschreitend tätig sind, Zeit und Geld kosten, womöglich auch Aufträge, wenn man an Handwerker denkt. Hinzu kommen die vielen Arbeitnehmer, die über die Grenze pendeln.

Spediteur Pfeil nennt die bisherigen Kontrollen "gespielte Sicherheit". So ähnlich sagen das viele, die täglich über die Grenze bei Passau pendeln. An einem Rastplatz stehen Polizisten mit Maschinenpistolen und schauen durch die Windschutzscheiben der Autos, die im Schritttempo vorbeirollen. Sichtkontrolle heißt das in der Polizeisprache. Wer nach Schleuser aussieht, wird rausgewunken. Dass das effektiv ist, bezweifelt Pfeil. Wer unbemerkt einreisen wolle, "nimmt nicht den Haupteingang", sondern die Landstraßen und die Schleichwege abseits der Autobahnen. Dort steht zwar auch oft ein Polizeiauto, aber eben nicht regelmäßig. Wollte man diese Schleichwege schließen, so müssten viel mehr Polizisten eingesetzt werden. Dazu aber fehle Infrastruktur und Personal, heißt es in Kreisen der Bundespolizei. An der Kontrollstelle bei Passau etwa sind pro Schicht bis zu 30 Polizisten im Einsatz. Zudem müsste man an den Übergängen neue Posten aufbauen, samt Computern für den Abgleich, ob ein Flüchtling bereits anderswo in der EU erfasst wurde; die alten Grenzstationen wurden ja stillgelegt.

Im Gegenzug erhofft sich Seehofer sinkende Flüchtlingszahlen und damit eine Entlastung der Asylbehörden. Das Potenzial ist durchaus groß: Im vergangenen Jahr stellten gut 198 000 Menschen erstmals einen Asylantrag in Deutschland, bei fast 42 000 von ihnen verlangten die Behörden von anderen EU-Staaten, dass sie diese wieder aufnehmen, da ihre Fingerabdrücke bereits in der europäischen Datei Eurodac vorhanden waren, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Das heißt: Diese Flüchtlinge waren über andere EU-Länder nach Deutschland gekommen und diese Staaten nach EU-Recht grundsätzlich für die Asylverfahren zuständig. Um diese Gruppe geht es der CSU. Denn bisher kommt es oft nicht zu Abschiebungen in die eigentlich zuständigen EU-Länder, im Jahr 2017 waren es lediglich etwas mehr als 7000, ein Bruchteil der angefragten Fälle.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Oft weigern sich die zuständigen Länder, Griechenland zum Beispiel, die Flüchtlinge zurückzunehmen, die Asylsuchenden tauchen vor einer Abschiebung unter, klagen, oder die Anfragen deutscher Asylbehörden an die anderen Länder sind mangelhaft formuliert. Die sogenannten Dublin-Fälle sind aufwendig: Die Asylsuchenden müssen in Deutschland untergebracht, die mögliche Zuständigkeit anderer Länder geklärt, viele Klagen gegen Behördenentscheide abgearbeitet werden. Hinzu kommen die Abschiebungen, die nicht nur Härten für Flüchtlinge mit sich bringen, sondern auch viele Polizisten beschäftigen. Eine Abweisung würde diese Last auf andere EU-Staaten abwälzen. In kleinerem Umfang finden diese Zurückweisungen bereits statt, seit die Kontrollen an den Grenzen 2015 wieder eingeführt wurden. Vergangenes Jahr mussten deshalb gut 7500 Menschen wieder umkehren, darunter Reisende ohne Visum, aber auch viele Flüchtlinge.

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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