Giftgaseinsatz in Syrien:Die rote Linie für Obamas Glaubwürdigkeit

Barack Obama Syrien

US-Präsident Barack Obama ist im Syrien-Konflikt unter Zugzwang geraten

(Foto: AFP)

Der Giftgaseinsatz in Syrien ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es lässt die fürchterlichen Gräuel in diesem Bürgerkrieg in neuem Licht erscheinen. US-Präsident Obama muss nun eingreifen, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht verspielen möchte. Ein Dilemma wird aber auch er nicht lösen: Keine der Kriegsparteien ist ein natürlicher Verbündeter des Westens.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Es mag zynisch klingen, aber selbstverständlich werden militärische Interventionen nach einem Kosten-Nutzen-Prinzip entschieden. Für den Westen, vor allem die USA, war die syrische Rechnung bisher simpel: Kriegsmüdigkeit (Afghanistan, Irak) plus militärisches Risiko plus Mangel an politischer Perspektive plus völkerrechtliche Obstruktion durch Russland wogen viel mehr als jede Hoffnung, die sich mit einem Militäreinsatz verbinden ließe.

Diese Gleichung hat sich nun massiv verändert. Der Giftgaseinsatz in den Vororten von Damaskus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es lässt die fürchterlichen Gräuel in Syrien in neuem Licht erscheinen. Die bisherige Logik - aushalten, raushalten - muss einer neuen Bewertung weichen. US-Präsident Barack Obama hat die rote Linie definiert: Der Einsatz von Giftgas würde alles ändern. Dieser Augenblick ist gekommen.

Erstens: Wer Giftgas als Waffe benutzt, der bricht mit allen Regeln, die sich die Menschheit zur Kontrolle von Kriegen und zum Schutz von Kriegsopfern gegeben hat. Der Weg vom Gas zur Atombombe ist kurz. Wer das Tabu verletzt, setzt ein Beispiel und wird Nachahmer finden. Giftgas darf deswegen nicht ungestraft eingesetzt werden.

Zweites Argument: In den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich in den Balkan-Kriegen ein Gebot herausgebildet, das den Schutz Unschuldiger zur Pflicht der Völkergemeinschaft macht. Keine staatliche Souveränität und auch nicht die Obstruktion im UN-Sicherheitsrat (jetzt wieder einmal durch Russland) darf verhindern, dass eine möglichst große Koalition in guter Absicht zu Hilfe eilt, wenn das Unrecht unerträglich wird.

Das dritte, machtpolitische Argument: Wenn Obama jetzt nicht eingreift, dann hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Amerikas Autorität wird schwer beschädigt. Keine Drohung würde mehr ernst genommen werden. Das Giftgas wäre nur die erste Stufe einer brutalen Eskalation des syrischen Krieges mit Nachahmungspotenzial überall auf der Welt.

Deutschland darf sich der Verantwortung nicht entziehen

In Syrien wurde Giftgas eingesetzt - das ist kaum noch zu widerlegen. Ist nun entscheidend, wer es eingesetzt hat? Nicht wirklich. Moralisch betrachtet, nein, denn wer die reine Lehre verfolgt und den Tabubruch unbedingt sanktionieren will, der muss nun eingreifen - ob gegen Oppositionsgruppen oder gegen das Assad-Lager. Realistisch betrachtet, macht es auch kaum einen Unterschied, wer die Granaten verschossen hat. Denn keine der Kriegsparteien wäre ein natürlicher Verbündeter des Westens, keiner steht für eine Ordnung, für die es sich auch militärisch zu kämpfen lohnte.

Hier liegt das Dilemma des Westens. Für wen oder was soll man sich einsetzen? Assads altes System garantierte wenigstens Stabilität, aber der Staatschef selbst ist für keinen politischen Deal mehr zu gebrauchen. Es wird die historische Schuld Russlands bleiben, dass es Assad nicht diese Ausweglosigkeit klargemacht hat und ihm den Weg ins Exil nahelegte.

Unter den vielen Oppositionsgruppen ist das gemäßigte Lager inzwischen weit in die Defensive geraten. Auch daran trägt der Westen Schuld, weil er zunächst zu zögerlich war in seiner Unterstützung. So entstand Raum für all die Extremisten, die sich auf dem Schlachtfeld tummeln. Die will man natürlich nicht stützen - vor allem wenn es sich herausstellen sollte, dass sie das Giftgas als Provokation eingesetzt haben sollten, um den Westen in den Krieg hineinzuziehen.

Es bleiben dennoch Optionen: Zunächst müssen die USA eine Koalition aus möglichst vielen Staaten schaffen. So entsteht eine Drohkulisse. Nach zwei Jahren Bürgerkrieg ist das schwierig, aber nicht unmöglich. Deutschland darf sich dabei nicht entziehen. Zweitens muss Assad von dieser Koalition gezwungen werden, den Giftgasangriff untersuchen zu lassen. Es gilt die Umkehrung der Beweispflicht: Wenn Assad behauptet, seine Armee habe die Granaten nicht verschossen, dann muss er die Untersuchung zulassen und den Beweis erbringen.

Und drittens muss auf Russland aller erdenklicher politischer und moralischer Druck ausgeübt werden, damit es endlich seine Obstruktion aufgibt und zur Aufklärung beiträgt. Wer dieses Menschheitsverbrechen zu vertuschen hilft, verwirkt allen Respekt als ebenbürtiger Mitspieler in der Staatengemeinschaft. Russlands Veto im Sicherheitsrat ist wertlos angesichts der humanitären Verpflichtung, diesen Krieg nun von außen zu beeinflussen - zur Not auch mit gezielten militärischen Schlägen gegen Abschussvorrichtungen, Flughäfen, militärische Depots. Entscheidend ist, dass nun schnell gehandelt wird. Die Bilder der sich krümmenden Menschen werden nicht verlöschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: