Gedenkjahr 2014:Freiheit ist nur ein Wort

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Weil im Juni 1914 ein Erzherzog mit dem offenen Auto spazieren fuhr, gibt es in Deutschland in diesem Jahr drei wichtige Gedenktage: Vor hundert und vor 75 Jahren begann jeweils ein Weltkrieg, vor 25 Jahren gab es eine friedliche Revolution. Alle drei Ereignisse wurden im Namen der Freiheit begonnen - ein Begriff, den auch Kriegstreiber und Diktatoren gerne benutzen.

Ein Kommentar von Franziska Augstein

Deutschlands Beziehungen zum Balkan sind aus historischer Sicht vor allem militärischer Natur. Der Erste Weltkrieg brach aus, weil das deutsche Kaiserreich dem österreichischen Kaiserreich einen "Blankoscheck" gegeben hatte. Der österreichische Thronfolger wurde in Sarajewo ermordet. Zwar hatte Franz Ferdinand eine "falsche" Frau geheiratet und um ihretwillen für seine Erben auf die Thronfolge verzichtet.

Da er nun aber tot war, fühlte Österreich sich berechtigt, im serbischen Hinterhaus aufzuräumen. Der deutsche Blankoscheck besagte: Wenn Österreich gegen Serbien einen Krieg beginnen würde, habe es das Deutsche Reich an seiner Seite. Hätte Österreich diesen Scheck nicht eingelöst, die Geschichte des 20. Jahrhunderts hätte ganz anders ausgesehen.

Weil Erzherzog Franz Ferdinand, Thronfolger von Österreich-Ungarn, am 28. Juni 1914 in Sarajewo eine Autofahrt machte, sind 2014 drei deutsche Gedenktage zu begehen: der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 und die "Friedliche Revolution" in der DDR 1989. Der Blick auf diese drei Daten zeigt zweierlei: Deutsche eignen sich nicht als Revolutionäre. Und mit dem Begriff "Freiheit" wurde so viel Schindluder getrieben, dass man ihn mit Vorsicht benutzen sollte.

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Freiheit ist ein windiger Begriff. Kaum waren die wilhelminischen Vorstellungen von einer typisch deutschen, kulturell höher stehenden Freiheit zermalmt, kam Woodrow Wilson mit einem neuen Freiheitskonzept auf den Plan: 1918 proklamierte der amerikanische Präsident in seinem 14-Punkte-Programm das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Im Verein mit dem neuen Völkerbund sollte so eine neue Ära eingeläutet werden. Sein Schlaganfall 1919 ersparte es Wilson, genauer mitzubekommen, wie sein hehrer Gedanke dazu beitrug, dass der Erste Weltkrieg sich in Ostmitteleuropa noch einige Jahre lang fortsetzte. Wie schlecht etliche neue Staaten konzipiert waren, hat sich dann gezeigt: Die Balkan-Kriege der 90er-Jahre wurden selbstverständlich auch im Namen der Freiheit geführt.

Winston Churchill ärgerte sich schon 1941 über Wilsons idealistische Kurzsichtigkeit. Den neuen Krieg gegen Hitler, lästerte er gegenüber dem Foreign Office, hätte es ohne den "Modernisierungsdruck" von Seiten der USA nicht gegeben: Man hätte die Hohenzollern und die Habsburger stützen sollen, ihre Entfernung erst habe "das Vakuum" ergeben, das es dem "hitlerischen Monster" ermöglichte, "aus der Kloake auf die vakanten Throne zu kriechen". Richtig an dieser unzeitgemäßen Betrachtung war Churchills Ärger über den in der Weimarer Republik herrschenden Mangel an Regierungskraft. Kein Wunder: Parteien waren in der Weimarer Verfassung nicht vorgesehen.

Gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sagte der französische Marschall Foch: Dieser Frieden sei wohl viel eher "ein zwanzig Jahre währender Waffenstillstand". Er sollte recht behalten. Demokratie hin oder her: Die Ressentiments gegen den "Diktat-Frieden" von Versailles prägten das deutsche Selbstverständnis viel mehr. Mehr als jedes andere Land in Westeuropa war Deutschland von da an zwischen rechts und links gespalten. Bis heute liefert der Nationalismus allerlei Staaten das stinkende Schmierwachs für den inneren Zusammenhalt.

Im Vertrag von Versailles war Deutschlands Rolle als "Aggressor" festgeschrieben. Plausibler erschien vielen Deutschen, was Gustav Stresemann, 1914 ein nationalistischer Hardliner, gesagt hatte: Frankreich und Russland hätten das Deutsche Reich wie ein "Dieb in der Nacht" überfallen. Das war indes eine seltsame Idee angesichts des Umstands, dass Österreich, vom Deutschen Reich gestützt und gedrängelt, mit seinem Einmarsch in Serbien den damals allseits bekannten Mechanismus von Garantieverträgen auslöste, der zum Krieg führte. Die Kunst der Diplomatie war damals auf einem Tiefpunkt. Diplomatisches Versagen ist freilich nicht dasselbe wie ein militärischer Angriff.

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Der Niedergang in die NS-Diktatur war nicht notwendig und unabwendbar. Nur im Nachhinein spricht manches dafür, die Zeit zwischen 1914 und 1945 als zweiten Dreißigjährigen Krieg zu bezeichnen. Mit ihrem - bis heute merklichen - Hang zur Anhimmelei von Führungspersönlichkeiten haben die Deutschen Ludendorff und Hindenburg verehrt und schließlich Hitler. Die sozialen Umwälzungen, die der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, ermöglichten es den Nationalsozialisten, den Begriff "Revolution" zu besetzen. Sie setzten ins Werk, was sie sich unter "nationaler Revolution" vorstellten. Die Bilanz: 60 Millionen Tote.

Am 13. Juni 1989 verabschiedeten Michail Gorbatschow und Helmut Kohl eine gemeinsame Erklärung: Alle Völker hätten das Recht, "ihr Schicksal frei zu bestimmen". Das Gleiche hatte der US-Präsident Woodrow Wilson 1918 erklärt. Das Ergebnis: Jeweils schnell danach gab es ethnische Konflikte auf dem Balkan. Gorbatschows Haltung hat Russland in seinen Grenzregionen viele Probleme hinterlassen. Für die DDR war sie aber hilfreich.

Dass die friedliche Revolution 1989 in der DDR gelang, dass es die erste Revolution war, die in deutschen Landen reüssierte, dann deshalb, weil es keine echte Revolution war. Ausgelöst wurde sie durch den Exodus Tausender DDR-Bürger, die über Ungarn nach Österreich gelangten. Die Leute interessierten sich für die Politik ihres Landes nicht mehr, sie wollten nur weg. Das ermutigte all jene, die blieben, zu Demonstrationen. Die SED-Führung konnte auf Gorbatschows Hilfe nicht bauen, sie verzagte und verzichtete auf den Einsatz von Waffengewalt. Markanterweise war ein Umsturz nicht geplant, die Bürger forderten vielmehr tief greifende Reformen. Als am 4. November 1989 Hunderttausende Ostdeutsche sich in Ostberlin zur offiziell genehmigten Demonstration versammelten, konnten sie nicht wissen, dass der Selbsterhaltungswille des Regimes schon erloschen war.

1989 ist die deutsche Geschichte glücklich verlaufen. Die Demonstranten wollten nicht weniger und nicht mehr, als dass die Pseudo-Demokratie der DDR zu einer echten werde. Und das Regime klammerte nicht um jeden Preis an der Macht. Die "friedliche Revolution" war ein großer Akt des Aufbegehrens, aber keine Revolution. Sie verlief nach Nietzsches Satz: "Was fallen will, soll man stoßen."

Heute werden die Begriffe "Freiheit" und "friedliche Revolution" meistens in einem Atemzug genannt. Freiheit: ist bekanntlich nur ein Wort, das auch Diktatoren gern benutzen. Und dass eine echte, also blutige Revolution den Deutschen 1989 erspart geblieben ist: Dafür darf das Land dankbar sein.

© SZ vom 11.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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