Friedensnobelpreis:Verwirrt von den eigenen Maßstäben

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Lichtgestalten und Finsterlinge: Die Nobelpreis-Jury hat in ihrer Geschichte nichts ausgelassen. Auch der einzige deutsche Preisträger war umstritten.

Kurt Kister

Im Westflügel des Weißen Hauses, dort, wo der Präsident im Oval Office regiert, gibt es das Roosevelt-Zimmer. Es erinnert an die zwei US-Präsidenten dieses Namens: Theodore "Teddy" Roosevelt, der von 1901 bis 1909 amtierte, und seinen entfernten Vetter Franklin Delano Roosevelt, Präsident von 1933 bis 1945. Im Roosevelt-Zimmer steht ein großer polierter Holztisch mit 16 lederbezogenen Stühlen. Über dem Kamin hängt ein Gemälde, das Teddy Roosevelt hoch zu Ross in der Uniform der Rough Rider, einer Kavallerieeinheit von Freiwilligen, aus dem amerikanisch-spanischen Krieg 1898 zeigt.

Jener Roosevelt war wahrhaft ein Raubein, eine Art schießwütiger Früh-Ökologe, der die ersten Nationalparks in den USA schuf, andererseits aber auch Wildtierpopulationen auf ausgedehnten Jagdtouren in Amerika und sogar in Afrika dezimierte. Ausgerechnet Teddy Roosevelt war der erste Amerikaner, der den Friedensnobelpreis erhielt.

1906 erkannte das Osloer Komitee Roosevelt den Preis zu, weil der im russisch-japanischen Krieg vermittelt hatte. Diese Entscheidung stieß damals auch auf deutliche Kritik, denn Roosevelt war ein Mann der Stärke, ein Politiker, der im Zweifel die Winchester dem Olivenzweig vorzog. Ein Jahr vor Roosevelt hatte die Pazifistin Bertha von Suttner ("Die Waffen nieder!") den Preis erhalten. Sie oder Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes und Träger des ersten Friedensnobelpreises 1901, entsprachen wohl eher jenem Begriff vom "Friedensverfechter", den Alfred Nobel in seinem Testament des Jahres 1895 gebrauchte.

Barack Obama ist der dritte US-Präsident, der während seiner Amtszeit diese Auszeichnung erhält. Nach Roosevelt 1906 folgte Woodrow Wilson 1919, der geehrt wurde, weil er mit dem Völkerbund eine internationale Organisation schuf, die Kriege unmöglich machen sollte. 2002 ging der Nobelpreis übrigens an den Ex-Präsidenten Jimmy Carter, der 22 Jahre zuvor aus dem Amt geschieden war. Carter war nach der Pensionierung als internationaler Vermittler tätig, rief ein Wohnungsprogramm für Benachteiligte ins Leben und engagierte sich sehr für Belange der Dritten Welt. Carters Präsidentschaft ist wenig bemerkenswert gewesen. Aber er gilt als der beste Präsident a.D. , den Amerika je hatte.

Jedenfalls hat jeder der Nobel-geehrten US-Präsidenten eine mehr oder weniger umstrittene Leistung erbracht. Bei Obama ist das bisher nicht der Fall, es sei denn, man möchte schon seine Wahl als preiswürdig einstufen. Obamas Auszeichnung gehört eher in eine Reihe mit der von Al Gore, Clintons ehemaligem Vizepräsidenten, der 2007 den Nobelpreis erhielt. Gore wurde offiziell für seine Propagierung der Gefahren des Klimawandels erwählt. In Wirklichkeit spielte allerdings eine große Rolle, dass Gore - so wie heute immer noch Obama - für jenes Amerika zu stehen scheint, das nicht das Amerika des George W. Bush, der Gewehrträger und Großmäuler ist.

Symbolfiguren des vergangenen Jahrhunderts

Unter den Inhabern des Friedensnobelpreises gibt es Lichtgestalten, Pragmatiker und Finsterlinge. Entschiedene Pazifisten wie Alfred Herrmann Fried (Nobelpreis 1911), Ludwig Quidde (1927) oder Carl von Ossietzky (1935) stehen für jene Bewegung, die sich leider vergebens dem martialischen Geist ihrer Zeit entgegenstellte. Auch die großen Symbolfiguren des vergangenen Jahrhunderts fehlen nicht: Mutter Teresa (1979), der Dalai Lama (1989) oder Michail Gorbatschow (1990).

Und es waren nicht immer nur Personen, sondern auch Organisationen: 1954 das UN-Flüchtlingswerk, 1963 das Rote Kreuz, 1977 Amnesty International. Ausgezeichnet wurden aber auch immer wieder Politiker, die zum Teil gegen großen Widerstand in ihren eigenen Ländern für die Versöhnung arbeiteten. Ein Beispiel: 1926 erhielten die Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Aristide Briand und Gustav Stresemann, den Preis für ihre Rolle bei der Aushandlung der Verträge von Locarno. Sie gaben Hoffnung, dass die Erbfeindschaft vorbei sein könnte.

Tiefpunkt der Geschichte

Zwei Generationen später wurden wiederum zwei Unterhändler eines Paktes geehrt - und diese Preisvergabe sehen bis heute viele als einen, wenn nicht den Tiefpunkt der Geschichte des Friedensnobelpreises an. 1973 wurde der Preis Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger und dem nordvietnamesischen Politiker Le Duc Tho verliehen. Die beiden hatten ein Abkommen ausgehandelt, das den US-Abzug aus Vietnam regelte, auch wenn der Krieg noch zwei Jahre andauerte. Kissinger gehörte eindeutig zu jenen US- Politikern, die für die Eskalation des Kriegs, etwa die Bombardements von Laos und Kambodscha, seit dem Amtsantritt Nixons verantwortlich zeichneten.

In der Person von Henry Kissinger wurde ein Schreibtisch-Krieger als Friedensfürst geehrt. Ähnliche Kontroversen gab es bald darauf wieder, sie wurden weltweit in aller Schärfe geführt. 1978 ehrte das Preiskomitee Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat und Israels Premierminister Menachem Begin für das erste Camp-David-Abkommen. Beide waren Männer des Schwertes und der Gewalt, die sich gegen Ende ihrer Laufbahn zu eingeschränkter Verständigung zwangen.

Der einzige Deutsche

Wütende Debatten gab es auch 1994, als Jassir Arafat, Jitzchak Rabin und Schimon Peres ausgezeichnet wurden. Nicht anders ein Jahr zuvor: Für die Überwindung der Apartheid standen die Preisträger Nelson Mandela, von der Welt gefeiert, und Frederik Willem de Klerk, von vielen als Rassist verachtet.

In Deutschland genießt gerade der Friedensnobelpreis hohes Ansehen. Das hat einerseits damit zu tun, dass sich die Osloer Jury trotz mancher Sonderbarkeiten jenem multilateralen, nicht nationalstaatlichem Denken verpflichtet fühlt, das auch hierzulande so populär ist. Andererseits erhielt 1971 als bisher einziger Deutscher nach dem Krieg Kanzler Willy Brandt für seine Ostpolitik den Preis. Damals war das hoch umstritten. Heute aber zählt Brandt eindeutig zu den säkularen Heiligen der Bundesrepublik.

© SZ vom 10.10.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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