Fremdenfeindliche Stimmung in Nauen:Nach dem Brand

Prozess Brandanschlag Nauen

Die Halle in Nauen brannte komplett aus.

(Foto: dpa)
  • Im August 2015 zündeten Rechtsextreme in Nauen, Brandenburg, eine Turnhalle an, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten.
  • Vor Gericht steht eine Neonazi-Gruppe um den NPD-Politiker Maik Schneider. Gemeinsam schürten sie in der Stadt offenbar eine fremdenfeindliche Stimmung.
  • Schneider drohen als Haupttäter fast neun Jahre Haft.

Von Antonie Rietzschel, Nauen

Der Anruf kommt kurz nach drei Uhr nachts. "Die Halle brennt." Bürgermeister Detlef Fleischmann steigt ins Auto und fährt los. Zwanzig Minuten später steht er vor dem Gebäude, die Fenster sind da schon geschmolzen. Die Feuerwehr schafft es nicht, den Brand zu löschen, lässt die Turnhalle abbrennen. Am Morgen sind nur noch die Betonwände und das Dach übrig. Schnell wird klar: es war Brandstiftung, die Tat politisch motiviert. In der Turnhalle sollten 130 Flüchtlinge untergebracht werden. Es ist August 2015 und Nauen, eine Kleinstadt in Brandenburg, ist über Nacht zum Symbol für Fremdenhass geworden.

Allein für das Jahr 2015 hat das Bundeskriminalamt 1030 Übergriffe auf Flüchtlingsheime gezählt. 2016 waren es 900. Nur wenige Fälle wurden aufgeklärt. Anders als nach den Bränden in Tröglitz oder Bautzen ist es den Ermittlern im Fall Nauen gelungen, die Täter zu fassen. Seit vergangenem Herbst stehen sechs Angeklagte vor dem Landgericht in Potsdam. Die Hauptangeklagten sind Dennis W. und Maik Schneider. Schneider saß zuletzt für die rechtsextreme NPD in der Stadtverordnetenversammlung. Ihm droht wegen der Brandstiftung und anderer Delikte eine Haftstrafe von insgesamt acht Jahren und neun Monaten. An diesem Donnerstag soll das Urteil bekannt gegeben werden.

Polizei muss eine Diskussionsveranstaltung räumen

Im Prozess wurden die einzelnen Eskalationsstufen deutlich, die schließlich zu dem Brand geführt haben. Wie die Angeklagten - besonders Schneider - über Monate hinweg Nauener Bürger aufhetzten und durch Einschüchterungsversuche eine Klima der Angst schufen.

Detlef Fleischmann ist seit der Wende politisch in Nauen aktiv, seit 15 Jahren ist der SPD-Politiker Bürgermeister. Er erzählt gerne davon, wie sich der Ort von einem hässlichen, stinkenden Loch in den neunziger Jahren zur hübschen Kleinstadt gemausert hat, mit renovierten Fachwerkhäuschen und roten Backsteinbauten. Fleischmann weiß auch, dass Nauen eine Hochburg für Rechtsextreme ist. In der Stadt waren immer wieder Neonazigruppen aktiv, zu denen auch NPD-Kader Schneider Verbindungen hatte. Jedes Jahr organisierte Nauen deswegen ein Toleranzfest. Es wurde ruhig um die Rechtsextremen.

Bis zum 12. Februar 2015.

Während einer Stadtverordnetenversammlung soll darüber abgestimmt werden, ob die Turnhalle Notunterkunft werden soll. Fleischmann mietet extra einen großen Raum im Gemeindehaus an. Auch die Nauener sind zur Diskussion eingeladen. Jeweils ein Befürworter und ein Gegner sollen im Wechsel ans Mikro treten.

Der Saal ist schnell überfüllt, die Stimmung aufgeheizt. Befürworter des Heims werden niedergebrüllt, eine Frau bricht in Tränen aus. Draußen vor einer großen Glasfront stehen ungefähr 50 Personen, unter ihnen auch Maik Schneider und andere Rechtsextreme. Schneider hatte zuvor in einem Gruppen-Chat zum Sturm aufgerufen. Die Menge brüllt: "Wir wollen rein." Und: "Wir wollen kein Asylantenheim." Sie trommeln gegen die Glasscheibe. "Ich hatte Angst, dass die Scheibe bricht. Wer weiß, was dann passiert wäre", sagt Detlef Fleischmann.

Die Polizei räumt den Saal. Die Stadtverordnetensitzung geht unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter. Am Ende steht der Beschluss: Die Turnhalle soll Notunterkunft werden.

Bei den Tumulten bleibt es nicht. Mitte Mai brennt ein Auto mit polnischem Kennzeichen aus, nachdem das Gerücht gestreut worden war, bei dem Besitzer handle es sich um einen Pädophilen.

Das Büro der Linkspartei wird immer wieder Ziel von Angriffen. Unbekannte zerstören die Glasscheibe mit Hämmern, die Polizei zählt 29 Einschläge. Anschließend wird das Türschloss mit Klebstopf verschmiert, die Häuserfassade mit Farbbeuteln beworfen. Ende Juli brennt das Dixi-Klo auf der Baustelle für ein zweites Asylheim.

NPD-Kader mit zwei Gesichtern

Parallel zu den Vorfällen findet jeden Monat eine Anti-Asyl-Demonstration statt, organisiert von Maik Schneider und Dennis W. Anfangs sind es ungefähr 90 Teilnehmer. Breiten Widerstand gibt es nicht. Die Gegendemonstranten sind in der Unterzahl, immer kommen die gleichen: Bürgermeister Fleischmann, Politiker der Linken, Mitglieder des Jugendfördervereins oder anderer sozialer Verbände. Politiker der CDU lassen sich nicht sehen, genauso wenig einfache Bürger. Vielleicht auch aus Angst. In Nauen leben 17 000 Menschen. Jeder kennt jeden. Oder wie es ein Prozessbeteiligter später ausdrückt: "Wer mich finden will, findet mich."

Am 25. August 2015 brennt die Turnhalle nieder. Schockierend sind bis heute die Interviews, die Journalisten im Nachgang mit einzelnen Nauener Bürgern geführt haben. Da sagt ein kleines Mädchen, sie wolle keine Ausländer in ihrer Klasse haben. Ein älterer Herr meint, man müsse mehr für das Volk tun. Am Abend nach dem Brand kommen vor der Turnhalle aber auch Menschen zu einer spontanen Demo gegen Rassismus zusammen. Nauener Bürger, Bürgermeister aus der Umgebung und Landtagsabgeordnete. 400 Menschen ziehen durch die Stadt.

Die Heimgegner verstummen. "Das mit der Turnhalle ging ihnen zu weit, mit Kriminellen wollten sie nichts zu haben", sagt Fleischmann. Außerdem wurde durch den Brand nicht nur eine geplante Notunterkunft zerstört, sondern auch der Trainingsort vieler Sportvereine.

Nauen versucht den Neuanfang

Im Februar 2016 wagen Rechtsextreme erneut die Provokation. In mehreren Briefkästen tauchen Briefe auf, in denen zu "absolutem Widerstand" gegen den angeblichen "gewollten Bevölkerungsaustausch" aufgerufen wird. Auf der Rückseite findet sich eine Anleitung zum Bauen von Molotowcocktails. Fleischmann liegt damals wegen eines Herzinfarkts im Krankenhaus, der Bürgermeister gibt dennoch ein trotziges Statement ab: Er wolle sich weiter für eine aktive Willkommenskultur in Nauen einsetzen. Fleischmann kündigt an, dass Nauen in einer Traglufthalle sogar 300 statt der bisher geplanten 130 Flüchtlinge aufnehmen werde.

Wenige Tage später führt die Polizei Razzien bei mehreren Rechtsextremen durch. Maik Schneider wird festgenommen. In Nauen ist man geschockt, dass Schneider, 29 Jahre alt, gelernter Erzieher, für den Brand der Turnhalle verantwortlich sein soll. Fleischmann ist es nicht: "Der hat zwei Gesichter. Auf der einen Seite ist er der charmante junge Mann mit den blonden Haaren - auf der anderen Seite ist er ein Hetzer."

Staatsanwaltschaft überzeugt: Schneider wollte die Halle anzünden

Als im Herbst 2016 der Prozess beginnt, wirft die Staatsanwaltschaft den sechs Angeklagten auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor, Anführer soll Schneider gewesen sein. Während des Prozesses wird dieser Anklagepunkt fallen gelassen. Schneider muss sich jedoch wegen des Anschlags auf die Turnhalle sowie auf das Auto verantworten. Wegen der Störung bei der Stadtverordnetenversammlung wird ihm Nötigung vorgeworfen. Den Mitangeklagten werden unter anderem die Angriffe auf das Linken-Büro zur Last gelegt. Sie sind geständig. Zwei räumen ein, dass sie beim Angriff auf die Halle Schmiere gestanden hätten - Haupttäter sei jedoch Schneider gewesen, er habe sie unter Druck gesetzt.

Schneider gesteht, das Feuer allein gelegt zu haben. Spricht lediglich von einer "Dummheit". Er habe spontan ein Signal setzen, die Halle lediglich einrußen wollen. Schwer zu glauben, angesichts des Tathergangs: Schneider stellte offenbar Paletten, Autoreifen, eine Mülltonne und eine Propangasflasche zu einem Haufen zusammen, schüttete Benzin darüber und zündete alles an. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Schneider wollte die Halle anzünden.

Im Verfahren wird deutlich, dass Schneider und Dennis W. außerhalb des Gerichtsaals noch viele Unterstützer haben. Es gibt Einschüchterungsversuche gegen Zeugen. Ein junger Mann bekommt Drohanrufe. Eine Frau berichtet, dass nach ihrer Aussage bei der Polizei Plakate in der Stadt aufgetaucht seien. Sie zeigten ihr Gesicht mit einem Judenstern auf der Stirn. Eine weitere Zeugin bekommt einen Tritt vors Schienbein. Auch einer der Mitangeklagten wird bedroht, nachdem er Dennis W. und Maik Schneider belastet hatte. An seinem Auto findet er einen Zettel mit der Aufschrift "Verräter".

Fast anderthalb Jahre ist der Hallenbrand nun her. Einige Angeklagte haben versucht, sich in dieser Zeit ein neues Leben aufzubauen. Sie lösten sich von der rechtsextremen Szene, suchten Jobs. Einer der Angeklagten, der vor Gericht mit brüchiger Stimme spricht, ist aus Nauen weggezogen. Aus Angst vor Anfeindungen. Dennis W. und Maik Schneider werden Väter. Schneider, der während der Verhandlung stets selbstbewusst auftrat, wirkte am letzten Verhandlungsvertrag wie ein gebrochener Mann. "Es tut mir leid - auch gegenüber meinem Kind", sagt er leise. Auch das nur Fassade? Prozessbeobachter sind sich nicht sicher.

Die Halle wird wieder aufgebaut

Nauen versucht den Neuanfang. Mittlerweile leben 200 Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft. Wer durch die Gassen im Zentrum der Kleinstadt schlendert, sieht sie nicht. Doch Bürgermeister Fleischmann erzählt von Begegnungen zwischen deutschen sowie syrischen Müttern und deren Kindern im Familienzentrum der Stadt. Ein Handwerksbetrieb habe einen Flüchtling eingestellt, einen gelernten Glasbauer. In einer Suppenküche verteilen Flüchtlinge Essen an frühere Heimgegner.

Fleischmann will sein neuestes Projekt zeigen. Eine Plattenbausiedlung, die nun durch das Programm "Soziale Stadt" besonders gefördert wird. Eine Art Bürgercafé soll entstehen, in dem sich die Anwohner treffen und austauschen können. Für die Jugendlichen ließ die Stadt im Industriepark einen Skaterpark bauen. Wenn Fleischmann etwas aus den vergangenen anderthalb Jahren gelernt hat, dann, dass Toleranzfeste allein nicht ausreichen. Die Nauener wollen, dass sich jemand um sie kümmert. Dazu gehört auch der Wiederaufbau der Turnhalle für vier Millionen Euro. Fleischmann stoppt sein Auto kurz vor dem eingerüsteten Klotz. Noch im kommenden Schuljahr soll das Gebäude neu eröffnet werden. Fleischmann fährt weiter, schaut auf die Häuser, die an ihm vorbeiziehen. Er weiß, dass sich die rechtsextreme Szene nicht komplett aus seiner Stadt zurückziehen wird. Oder, dass aus Rassisten plötzlich tolerante Menschen werden. So naiv ist er nicht.

Im Herbst sind Bürgermeisterwahlen. Fleischmann wird nicht mehr antreten. Er ist überzeugt davon, dass die AfD einen Kandidaten aufstellen wird. Es werde genug Nauener geben, die die AfD wählen. Und dennoch sagt Fleischmann: "Nauen ist eine schöne Stadt. Ich lebe hier mit Begeisterung."

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