Flüchtlingskrise:Die Türkei ist Merkels wichtigster Partner

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Angela Merkel zu Gast beim türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu. (Foto: dpa)

Ja, in der Türkei werden Menschenrechte verletzt. Ja, in der Türkei ist die Pressefreiheit eingeschränkt. Trotzdem verhält sich das Land europäischer als viele Europäer.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Glücklich ein Deutschland, dessen Regierung sich noch immer tage-lang mit der Frage befassen kann, ob ein paar Hundert allein eingereiste Jugendliche ihre Eltern nachholen dürfen. Die türkische Regierung wäre wohl dankbar für solche Probleme angesichts Zehntausender Flüchtlinge aus dem zerbombten Aleppo.

Glücklich eine Europäische Union, die seit Monaten die vereinbarte Verteilung von 160 000 Flüchtlingen auf ihre Mitgliedstaaten verschleppen kann. Das entspricht der Zahl von Menschen, die an der türkischen Grenze binnen weniger Tage eintreffen dürfte, wenn die Kämpfe in Syrien so weitergehen wie zuletzt.

Die Türkei ist eine formale Demokratie mit großen Defiziten. Menschenrechte werden missachtet, die Pressefreiheit ist eingeschränkt. Das brutale Vorgehen der Regierung gegen die Kurden ist politisch verheerend. Es sind alles Mängel, die zum Selbstverständnis der Europäischen Union zu Recht nicht passen. Auf der anderen Seite hat die Türkei Flüchtlinge in einem Maße aufgenommen, dass es vielen europäischen Regierungschefs die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Wenn Humanität noch zu den Werten der EU zählt, verhält sich die Türkei längst europäischer als viele Europäer.

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Zwei, die eins gemeinsam haben: wenig gute Freunde

Es ist deshalb ebenso schwierig wie legitim, mit der Türkei zu verhandeln. Die Treffen zwischen Angela Merkel und Ahmet Davutoğlu haben mittlerweile eine Frequenz erreicht wie zu besseren Zeiten Europas die Treffen der Kanzlerin mit dem französischen Präsidenten.

Die privilegierte Partnerschaft, die einst Merkels Fernziel für die Beziehungen mit der Türkei war, ist zwischen Berlin und Ankara bereits jetzt zur Realität geworden. Das hat freilich auch damit zu tun, dass hier zwei Regierungen miteinander reden, die derzeit aus ganz unterschiedlichen Gründen eines gemeinsam haben: ziemlich wenig gute Freunde.

Für Merkel und ihren einsamen Kampf um eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen ohne Schließung der innereuropäischen Grenzen ist die Türkei der wichtigste Partner. Es sind Verhandlungen, die eigentlich die Aufgabe der EU wären, die aber in Wirklichkeit vor allem zu einem bilateralen Prozess zwischen Berlin und Ankara geworden sind, kleinteilig, mühsam und keineswegs mit Erfolgsgarantie. Große Teile Europas aber schauen der Kanzlerin einfach beim Strampeln zu wie Biergartenbesucher einer Wespe, die sich aus dem Maßkrug zu befreien versucht.

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In Deutschland treibt viele die Sorge um, man könne sich in eine zu große Abhängigkeit von der Türkei begeben. Der Zustrom aus Aleppo macht allerdings auch deutlich, dass die Türkei ebenfalls auf Hilfe angewiesen ist. Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik ist somit im Interesse beider Seiten. Doch die Möglichkeiten des Duos sind begrenzt, wenn die restlichen Europäer nicht mitziehen. Man muss hoffen, dass das wachsende Elend an der syrisch-türkischen Grenze hier zu einem Umdenken führt. Dann, so zynisch das klingt, hätten die russischen Bomben auf Aleppo doch noch ein Gutes.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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