Flüchtlinge in Kroatien:Tovarnik wird zum Nadelöhr

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Flüchtlinge am kroatisch-serbischen Grenzort Tovarnik. (Foto: Getty Images)
  • Seit Ungarn seine Grenze abgeriegelt hat, führt der Weg in die Europäische Union über Kroatien.
  • Nach der Eskalation in Ungarn wirkt das Verhalten der kroatischen Polizei an der Grenze zu Serbien beispielhaft.
  • Doch bei aller Mühe um Effizienz und humanitäre Standards: Die Menschenmassen werden für Kroatien immer mehr zur Herausforderung.

Von Nadia Pantel, Tovarnik

Laut Plan hält am kleinen Bahnhof von Tovarnik ein Zug am Nachmittag, und einer in der Nacht. Doch innerhalb von 24 Stunden hat sich hier alles geändert. Tausende Flüchtlinge stehen, hocken und sitzen vor dem Bahnhofshäuschen und warten auf Sonderzüge, die sie in die Hauptstadt Zagreb bringen. Seitdem Ungarn seine Grenze abgeriegelt hat, führt der Weg in die Europäische Union über Kroatien. Die kroatische Polizei, die Helfer vom Roten Kreuz und viele Freiwillige in Tovarnik waren auf diese Verschiebung der Fluchtroute vorbereitet.

Dennoch war die Polizei mit der Registrierung der Flüchtlinge offenkundig überfordert. Hunderte von ihnen durchbrachen nach stundenlangem Warten Absperrungen, es kam zu Handgemengen. Allein von Mittwoch bis Donnerstag erreichten mehr als 7300 Menschen die kleine Stadt, die meisten am frühen Morgen. Im Laufe des Tages kamen immer wieder Busse an der kroatischen Grenze an. Das Innenministerium sagte, es rechne in den nächsten Tagen mit 8000 weiteren Flüchtlingen.

Nur noch Transit nach Zagreb sei möglich

Im Laufe des Tages verschlechterte sich die Stimmung in Tovarnik: Bei Temperaturen von weit über 30 Grad warteten Tausende stundenlang auf einen Zug nach Zagreb. Am Nachmittag schließlich besuchte der kroatische Innenminister Ranko Ostoji den Bahnhof von Tovarnik. Nur noch ein Transit nach Zagreb sei von dort möglich, teilte Ostoji mit. Ministerpräsident Zoran Milanović sagte: "Wir werden konstruktiv und kooperativ sein, aber unsere Ressourcen sind begrenzt." Auch Außenministerin Vesna Pusic warnte: "Wenn es Tausende sind, schaffen wir das, aber Zehntausende - dafür haben wir nicht die Kapazitäten."

Grenze zu Serbien
:Ungarns Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein

Die Situation an der ungarisch-serbischen Grenze spitzt sich zu. Einige Flüchtlinge durchbrechen bei Röszke die Grenze, die Polizei reagiert mit Härte. Ministerpräsident Orbán kündigt auch an der Grenze zu Kroatien einen Zaun an.

In Mazedonien, wo täglich 2000 Menschen über die griechische Grenze kommen, haben Busunternehmen begonnen, Fahrten direkt nach Kroatien anzubieten. Auch in Belgrad, das für die Flüchtlinge bisher Zwischenstation auf der Fahrt nach Ungarn war, haben die Menschen umgeplant. In einem der Parks, in dem Syrer, Afghanen und Iraker in einem improvisierten Lager Pause machen, wurden große Schilder aufgestellt. Auf Englisch und Arabisch informieren sie: Vermeidet Ungarn, fahrt nach Kroatien. Der Park leert sich, die Busse Richtung Adria sind voll.

Auch die meisten Flüchtlinge, die in den vergangenen Tagen an der serbisch-ungarischen Grenze bei Horgoš ausgeharrt hatten, sind inzwischen nach Kroatien aufgebrochen. Einige hatten dort versucht, die ungarische Grenzabsperrung zu durchbrechen. Ungarns Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer ein.

Kroatische Regierung lieferte Frieden versprechende Bilder

Nach der Eskalation in Ungarn wirkt das Verhalten der kroatischen Polizei an der Grenze zu Serbien beispielhaft. Die Beamten agieren unaufgeregt. Sicherlich auch wegen einer massiven Medienpräsenz und der Tatsache, dass Kroatien erst seit Juli 2013 EU-Mitglied ist und schlechte Presse vermeiden will. Frieden versprechende Bilder liefert die kroatische Regierung auch gleich selber: Den Twitter-Account der Regierung ziert aktuell das Foto eines Polizisten, der in Tovarnik ein Kleinkind im Schlafanzug auf dem Arm trägt.

Doch bei aller Mühe um Effizienz und humanitäre Standards: Tovarnik gerät für die Ankommenden zum Nadelöhr. Aus dem Ort hinaus führt nur eine Straße, die Autobahn nach Zagreb ist eine Stunde Fahrt entfernt. Die Flüchtlinge sollen nun vor allem mit Zügen Richtung Hauptstadt gebracht werden. Am Mittwochmorgen erreichten die ersten Flüchtlinge das Aufnahmelager Ježevo, im Südosten von Zagreb. In den vergangenen Jahren war Ježevo von Asylorganisationen oft als "Abschiebegefängnis" bezeichnet worden. Nun also soll es zu einem humanitären Auffanglager werden.

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Slowenien inszeniert sich

Slowenien, wo der Schengenraum beginnt, hat die Kontrollen an der Grenze zu Kroatien verschärft. Die Polizei kündigte am Abend an, sie wolle Flüchtlinge, die im Zug über einreisten, nach Kroatien zurückschicken. Hatte Kroatiens Premier Milanović mit Blick auf Ungarn verkündet, dass "Grenzzäune keine Lösung" seien, sind solche Töne aus Slowenien nicht zu vernehmen. Das Land war vor Kroatien das erste ehemals jugoslawische Land, das 2004 Mitglied der EU wurde. Es legt großen Wert darauf, als Ort der Sicherheit zu gelten und inszeniert sich als Bollwerk gegen Menschen- und Drogenschmuggel nach Westeuropa. Es ist abzuwarten, wie sich diese Politik angesichts der Herausforderung nahender Flüchtlinge auswirkt.

Sowohl Kroatiens Premier Milanović als auch Sloweniens Premier Miro Cerar erhielten Donnerstag Besuch vom österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann. Seine Sprecherin teilte mit, man habe sich auf enge Zusammenarbeit in der aktuellen Herausforderung geeinigt. Österreich hat die Kontrollen an der slowenischen Grenze verschärft. Noch seien keine Flüchtlinge aus Kroatien dort angekommen.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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