Festgefahrene EU-Budgetverhandlungen:Merkel rechnet mit Scheitern des Brüsseler Billionen-Pokers

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Der EU-Haushalt für sieben Jahre steht auf der Kippe: Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Hollande erwarten, dass der Brüsseler Gipfel platzt. Europas Staats- und Regierungschefs wollen sich mittags noch einmal treffen, doch Hoffnung gibt es kaum. Diplomaten sprechen von "tiefsten Spaltungen".

Der Brüsseler Sondergipfel sollte über die EU-Finanzen entscheiden, doch daraus wird wohl nichts: Das Spitzentreffen steht offenbar kurz davor, zu platzen. Die Differenzen der Staats- und Regierungschefs in der Frage des Sieben-Jahres-Budgets der Europäischen Union scheinen unüberbrückbar zu sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel geht davon aus, dass der Sondergipfel zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU vor dem Scheitern steht. "Ich glaube, dass die Positionen zum Teil noch sehr weit auseinander sind", sagte die CDU-Chefin am frühen Freitagmorgen nach der überraschend schnellen Unterbrechung der Gespräche in Brüssel. Sie zweifelte an einer Einigung noch an diesem Freitag und erwartet einen späteren neuen Anlauf.

Auch Frankreichs Staatschef François Hollande rechnet nicht mehr mit einem Erfolg des Treffens. Es sei "am wahrscheinlichsten", dass es keine Einigung geben werde, sagte Hollande. "Das ist, was alle denken." Jean-Claude Juncker, Premierminister von Luxemburg, sagte, es sei wahrscheinlich, dass es heute zu keiner endgültigen Beschlussfassung komme. Die Vorschläge Van Rompuys gingen "in die gute Richtung", sagte er. Sie würden so aber nicht akzeptiert werden.

Fehler bei der Haushaltsplanung
:Wofür die EU ihr Geld rauswirft

Eine Sonderprämie für Schafe, die es gar nicht gibt, und Fördergelder für Lagerhäuser, die in Wirklichkeit Wohnhäuser sind: Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr mindestens fünf Milliarden Euro durch fehlerhafte Budgetplanung verloren. Der Europäische Rechnungshof nennt Beispiele.

"Tiefste Spaltungen zwischen den Mitgliedstaaten"

Ein weiterer Gipfel zum Sieben-Jahres-Budget könnte im Frühjahr einberufen werden. Ob die EU-Lenker bis dahin schaffen, sich von ihren erstarrten Positionen zu lösen, um einen Konsens möglich zu machen, ist alles andere als sicher. Diplomaten sprachen in Brüssel von "tiefsten Spaltungen zwischen den Mitgliedstaaten".

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel warnte vor einem Auseinanderbrechen Europas. Die EU-Staats- und Regierungschefs wüssten anscheinend nicht mehr, "wozu wir Europa brauchen", sagte Gabriel im ARD-Morgenmagazin. "Wir werden als Einzelstaaten in der Welt von morgen keine Stimme mehr haben", sagte er. Es sei auch angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa eine "Katastrophe", jetzt Geld im EU-Etat streichen zu wollen. Er rief die Beteiligten auf, "sich zusammenzureißen und Europa nicht in dieser Sackgasse zu lassen".

Zuvor hatten die 27 Staats- und Regierungschefs für nur knapp zwei Stunden in großer Runde über den Etat von etwa einer Billion Euro beraten. Kompromissaufrufe von EP-Präsident Martin Schulz und Ratspräsident Herman Van Rompuy verhallten. Großbritannien erhöhte sogar noch seine ursprünglichen Forderungen: Die Briten wollen nicht nur Kürzungen im Haushalt, sondern trotz des verkleinerten Finanzrahmens auch ihren Rabatt von zuletzt 3,6 Milliarden Euro in voller Höhe behalten.

Nach den Worten Merkels geht es bei dem mehrjährigen Finanzplan um die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union und eine bessere Verwendung der Mittel. "Jeder Euro muss wirklich auch seine Wirkung entfalten." Deutschland werde sich konstruktiv einbringen, aber auch eigene Interessen vertreten, betonte die Kanzlerin. In Zeiten der Haushaltskonsolidierung in ganz Europa müsse auch in der Union darauf geachtet werden, dass die Ausgaben nicht zu hoch seien. Jeder werde ein Stück weit kompromissfähig sein müssen. Deutschland zahlt pro Jahr etwa neun Milliarden Euro mehr nach Brüssel ein, als aus der EU-Kasse in das Land zurückfließt. Berlin ist damit der größte Nettozahler in der EU.

Im Streit um den Finanzplan der EU für die Jahre von 2014 bis 2020 hatte Van Rompuy am Donnerstagabend zum Auftakt des EU-Gipfels einen neuen Kompromissvorschlag unterbreitet. Er sieht - wie auch sein erster Vorschlag - Kürzungen des Billionen-Plans der EU-Kommission um 80 Milliarden Euro vor. Die Kürzungen sollen nun lediglich anders auf die verschiedenen Politikfelder verteilt werden. Weniger gestrichen werden soll bei den Fonds für die armen Regionen Europas und bei der Agrarpolitik, mehr dafür bei den Budgets für Wachstum und große Infrastrukturprojekte.

Mehrere Staaten wie Deutschland haben weitergehende Kürzungen des Kommissionsvorschlags gefordert, der sich auf 1,09 Billion Euro beläuft. Großbritannien forderte sogar Kürzungen von 200 Milliarden Euro. Cameron drohte im Vorfeld des Gipfels mit einem Veto, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Am Freitagmorgen sagte er, es habe bei den Beratungen nicht ausreichend Fortschritte gegeben.

Diplomaten berichteten, Merkel habe bei Vorgesprächen zu dem Sondertreffen darauf beharrt, den ersten Vorschlag von Van Rompuy um etwa 30 Milliarden Euro zu kürzen. Dessen zweite Vorlage hatte im wesentlichen Verschiebungen, aber fast keine Veränderungen des Gesamtumfangs der EU-Ausgaben vorgesehen. "Es ist ziemlich das Gleiche", hieß es enttäuscht aus dem britischen Lager.

Ein jährlicher Haushalt könnte ärmere EU-Staaten schwer belasten

Auch Frankreich ist unzufrieden. Hollande machte deutlich, dass beim zweiten Van-Rompuy-Vorschlag eine Kürzung der Agrarsubventionen um 17 Milliarden Euro im Vergleich zum ursprünglichen Plan der EU-Kommission enthalten sei. Der Sozialist wehrt sich gegen diese Einsparungen. Sein Land erhält knapp zehn Milliarden Euro pro Jahr aus Brüssel für seine Bauern. Frankreich ist damit Hauptprofiteur der EU-Agrarpolitik.

Das Europäische Parlament hatte vergleichsweise hohe EU-Ausgaben gefordert, um das Funktionieren der Gemeinschaft mit bald 28 Mitgliedstaaten abzusichern. Kroatien soll im kommenden Jahr der Gemeinschaft beitreten und sitzt beim Gipfel mit am Tisch - ist aber nicht stimmberechtigt.

Falls sich die EU-Mitglieder in naher Zukunft nicht aus ihren erstarrten Positionen bewegen, dürften gravierende Folgen anstehen. Sollte bis Ende 2013 keine Lösung gelingen, wird es in der EU danach automatisch nur noch jährliche Haushalte statt des siebenjährigen Finanzrahmens geben. Eine solche Entwicklung wird als schwere Belastung vor allem für die ärmeren EU-Staaten gesehen, die Planbarkeit bei den für sie wichtigen EU-Strukturhilfemitteln haben müssen, aus denen etwa wichtige Infrastrukturprojekte finanziert werden.

Der Ernst der Lage ist den EU-Staatenlenkern bewusst. Österreichs Kanzler Werner Faymann sprach denn auch von einem neuen Sondergipfel - terminiert gleich nach Jahresbeginn, im Januar 2013.

© Süddeutsche.de/dpa/Christian Böhmer/Michael Donhauser/Reuters/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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