FDP:Lindners undifferenziertes Lob der digitalen Welt

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FDP-Chef Lindner auf dem Bundesparteitag der Liberalen im Mai 2015. (Foto: dpa)

Die FDP versucht das Comeback, der Parteichef setzt auf das Thema Digitalisierung. Überzeugend ist das nur, wenn er sich auch gegen die IT-Konzerne stellt.

Kommentar von Tanjev Schultz

Wenn es mehr Liberale gäbe, die Welt wäre besser. Das ist keine Empfehlung, der FDP beizutreten: Es ist der Stoßseufzer aller Demokraten, die voller Sorge sehen, wie Terroristen, Despoten und Populisten die Freiheit Europas bedrohen. In Deutschland trägt Pegida Hass und Hetze in die Öffentlichkeit, in Ungarn oder Polen sind Angriffe auf die liberale Ordnung sogar Teil der Regierungspolitik. Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und eine zivile politische Kultur sind nicht mehr so selbstverständlich, wie man - eingelullt von der Stabilität der Bundesrepublik - glauben könnte.

Eine Demokratie braucht Liberale. Eine Demokratie braucht freiheitsliebende Parteien. Aber braucht sie die FDP?

Während ihres Dreikönigstreffens werden sich die FDP-Liberalen genau das einreden: dass es ohne ihre Stimme der Freiheit einfach nicht geht in diesem Land. Viele Wähler sahen und sehen das anders. Seitdem die Partei nicht mehr im Bundestag vertreten ist, kämpft sie um ihr Überleben. Die Landtagswahlen im März, darunter im wichtigen einstigen liberalen Stammland Baden-Württemberg, werden zeigen, ob die Erneuerung unter FDP-Chef Lindner zum Erfolg führt.

Parteichef Lindners neues Thema ist die Digitalisierung

Für die Partei ist es ein Problem, für Deutschland jedoch ein Glück, dass der Geist des Liberalismus längst auch in anderen etablierten Parteien weht. Die politische Kultur profitiert von einem liberalen Grundkonsens, der deren Mitglieder und Anhänger miteinander verbindet. Deshalb reicht es nicht, wenn die FDP demonstrativ ihre Freiheitsliebe zur Schau stellt, als würden Grüne, Christ- und Sozialdemokraten auf die Freiheit pfeifen. Sie muss mehr bieten. Will sie den Ruch loswerden, nur eine Steuersenkungs-Lobbytruppe zu sein, muss sie die großen Themen der Zeit ansprechen und dabei vielleicht sogar das ausstrahlen, was viele Bürger bei Merkel, Gabriel und anderen vermissen: visionäre Kraft.

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Eines der Themen, auf die Lindner setzt, ist die Digitalisierung der Gesellschaft. Wenn er es geschickt anstellt, kann er damit eine Lücke füllen, die seit dem Niedergang der Piraten frei geworden ist. Die Frage wird sein, ob es mehr ist als eine kleine Nische - und ob die Liberalen es aushalten, wenn am Beispiel der Digitalisierung auch ein paar Spannungen in ihrem Selbstverständnis zutage treten. Was möchte die FDP sein? Welchen Interessen möchte sie dienen? Wirklich denen des Individuums, des einzelnen Bürgers? Oder doch lieber den Interessen der Firmen und Konzerne? Sollte die FDP bereit sein, sich der Marktmacht globaler IT-Konzerne entgegenzustellen und den Daten- und Verbraucherschutz für das digitale Zeitalter neu zu definieren, wäre sie als Stimme der Freiheit tatsächlich unverzichtbar. So recht glauben mag man daran allerdings nicht.

Lindner schmeißt sich sprachlich an junge Leute heran

Die FDP versucht, allen zu gefallen, die irgendwas mit digitalen Medien zu tun haben. Lindner schmeißt sich auch sprachlich an diese Leute heran, bis es peinlich wird: Deutschland benötige ein "Update". Natürlich kann man sich darüber wundern, wie trantütig dieses Land, das seine Waren in die ganze Welt exportiert, bei neuen Technologien manchmal wirkt. Man schämt sich ein bisschen, wenn Ausländer verwundert fragen, warum es hierzulande so wenig offene Wlan-Netze gibt, schlechten Handyempfang auf dem Land und ein altbackenes Formularwesen in den Ämtern. Die FDP kann punkten, wenn sie solche Defizite offensiv aufgreift. Aber ein undifferenziertes Lob der digitalen Welt wirkt eben leider auch etwas naiv.

Lindners Enthusiasmus mag vor allem auf Jüngere sympathisch wirken, aber auch sie möchten gerne wissen, wer am Ende die Regeln in der digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt bestimmt. Der ewige FDP-Ruf nach "weniger Staat" ist gefährlich, wenn davon am Ende nicht Individuen profitieren, sondern übermächtige, weltweite Unternehmen, die auf staatliche Regeln und Gesetze wenig geben, wenn diese nicht ihren Interessen dienen.

Die Partei setzt auch darauf, dass ein besseres Bildungssystem jeden Einzelnen so ertüchtigt, dass er sich gut in der Gesellschaft zurechtfindet. Man kann sich ausmalen, was das für die Politik bedeutet: Den Schulen wird jede Menge neue Technik hingestellt (zur Freude der Industrie). Aber natürlich wird es genügend Kinder geben, die trotzdem zu wenig lernen oder die statt einer neuen App mehr Zeit und Zuwendung fürsorglicher Erwachsener bräuchten.

Als die FDP damit begann, sich neu zu formieren, hieß eines der Schlagworte: "mitfühlender Liberalismus". Viele in der Partei wollten das Image kalter Leistungsstreber loswerden. Richtig gelungen ist ihnen das noch nicht.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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