FDP nach der Bundestagswahl:Sturz in den Neuanfang

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Herunterhängende Wahlplakate in Berlin: Die liberale Idee ist ausquartiert, während die Partei nach ihrer Zukunft sucht (Foto: picture alliance / dpa)

Zum letzten Mal kommen die Abgeordneten der scheidenden FDP-Bundestagsfraktion in einer Sitzung zusammen. Von Aufarbeitung ist noch nicht viel zu spüren - obwohl der Wahlausgang viele in der Partei wütend gemacht hat.

Von Stefan Braun, Berlin

Absturz? Neuanfang? Das liegt manchmal nah beieinander. So wie bei der FDP an diesem Dienstag. Am Vormittag trifft sich der Vorstand, um erste Schritte des Neuanfangs zu beschließen. Am Nachmittag kommt die Fraktion zusammen, um sich Adieu zu sagen. Hoffnung mit Trauerflor könnte man das nennen.

Zumal der Termin am Nachmittag für längere Zeit der letzte dieser Art sein dürfte. Sicher, man weiß nie, was passiert - überraschende Neuwahlen oder so etwas. Aber unter normalen Umständen kann es die Sitzung einer FDP-Bundestagsfraktion erst in vier Jahren wieder geben. Frühestens, wenn überhaupt. So schwingt ein bisschen Geschichte mit, wenn sich die 93 Abgeordneten der Liberalen am Nachmittag zum letzten Mal im Bundestag einfinden. Die erste Trauerphase ist zwar schon vorbei, und mancher weiß bereits, was jetzt kommen wird. Viele andere aber sind noch immer auf der Suche nach ihrer Zukunft. Und die meisten sind sich überhaupt nicht im Klaren, ob sie ihr Leben auch künftig so leidenschaftlich ihrer Partei widmen werden. Einer Partei in Trümmern, von der viele Mitglieder zwar sagen, ihre große Idee werde trotzdem weiterleben. Aber auch einer Partei, die noch lange nicht aufgearbeitet hat, warum das alles mit ihr passiert ist.

Auch Hans-Dietrich Genscher meldet sich zu Wort - leider nur zu Fehlern der anderen

Aus diesem Grund wird es rund um das Treffen wieder allerhand Analysen und Spekulationen geben. Zumal die meisten Abgeordneten erlebt haben, wie zu Hause vor allem die Jungen Liberalen in Versammlungen ihrer Wut über den schlechten Wahlkampf freien Lauf lassen. Aus Baden-Württemberg wird das berichtet. In anderen Landesverbänden ist das kaum anders. Wenig überraschen kann angesichts dieser Stimmung, dass nun auch der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher seine Stimme erhebt, um das Desaster zu bewerten. Der 86-Jährige weiß, dass die Debatte ansteht, da will er nicht fehlen. Zumal er ja sehr gerne das Bild vom Über-Vater von sich zeichnet. Also spricht Genscher im Spiegel über die Trauer des Wahlabends und darüber, dass er alles geahnt und deshalb auch früh intern gemahnt habe. Soll bloß keiner es wagen, an seiner Weisheit zu zweifeln. Freilich fehlt etwas, das zu einer guten Aufarbeitung gehört hätte: dass Genscher einmal über seinen Anteil an der Misere redet. Hat er nicht Westerwelle gestützt, bis es zu spät war? Hat er nicht die jungen Röslers, Bahrs und Lindners animiert, Westerwelle dann zu stürzen, trotz mancher Bedenken? Und hat er danach nicht Rösler, der sich als einziger traute, gleich wieder geschwächt, indem er auf Christian Lindner und damit aufs nächste Pferd setzte? Interessante Fragen sind das, und die Antworten darauf wären besonders interessant gewesen.

Tatsächlich aber übt Genscher scharfe Kritik an der Fokussierung auf die Steuersenkungen und an der Anmutung einzelner Personen. Er lenkt damit den Blick auf Guido Westerwelle und Philipp Rösler - um dann zu erklären, dass man das Ergebnis nicht auf die beiden abwälzen dürfe. "Wie soll man so was noch verstehen?", fragt am Montag einer, der seit vielen Jahren dabei ist und trotz Schmerzen auch dabei bleiben möchte, "ich habe keine Ahnung! Solche Sätze jedenfalls helfen niemandem weiter." Ein anderer, der nun abtritt, wird deutlicher: "Er hat große Verdienste, aber irgendwann reicht es."

Die zuletzt Verantwortlichen werden am Dienstag eher nicht viel sagen. Philipp Rösler, der scheidende Parteichef, könnte überhaupt fehlen, weil er der Fraktion ohnehin nie angehörte. Und dass Noch-Fraktionschef Rainer Brüderle Geschichtsaufarbeitung leistet, ist auch kaum zu erwarten. Der 68-Jährige hat in diesem Jahr erst den Sturm mit dem Sexismus-Vorwurf erlebt, sich dann zwei Knochen gebrochen und muss nun den Kopf hinhalten für die bitterste Niederlage einer Partei, der er seit September 40 Jahre angehört. Es wird dauern, bis er das verdaut hat.

Irgendwann freilich wird Aufarbeitung auch von Leuten wie ihm nötig sein, und sei es, damit die Nachfolger aus den Fehlern der Vorgänger lernen können. Denn jenseits der großen Frage, wozu ein Liberalismus à la FDP künftig gebraucht wird, hat es in den letzten Monaten der Kampagne zu viele Hindernisse für einen Erfolg gegeben. Das jedenfalls erzählen mittlerweile Eingeweihte in vertrauter Runde, die von einer besseren Wahlkampagne geträumt haben.

Es sind keine schönen Geschichten, die so nach und nach die Runde machen

Sie erzählen von einer "schmerzhaft schlechten Abstimmung" zwischen Spitzenkandidat und Parteichef. Sie erzählen davon, dass die Animositäten in den beiden Teams um Brüderle und um Rösler bis in die letzten Tage hinein nie aufhörten. Es gibt sogar manchen, der berichtet, dass Rösler selbst in Brüderles Mannschaft immer wieder als "Fippsie" belästert wurde, wenn er gerade selbst nicht mit dabei war. Und es gibt Erzählungen darüber, dass Rösler zu erratisch, zu spontan, auch zu eigenbrötlerisch gewesen sei, um eine auf Wochen, ja Monate angelegte Kampagne wirklich möglich zu machen. Es sind allesamt keine schönen Geschichten, die da von den einen über die anderen erzählt werden. Als Anschauungsmaterial können sie trotzdem dienen.

Dass darüber in der voraussichtlich letzten Sitzung der Fraktion offen gesprochen wird, ist eher nicht zu erwarten. Unterschwellig aber könnte die Stimmung, die sich mit derlei Geschichten verbindet, eine Rolle spielen. Denn eine Frage werden die Abgeordneten an diesem Dienstag sogar mittels Wahl entscheiden müssen: wen sie zu ihren Liquidatoren machen. Diese sind nötig, wenn sich eine Fraktion auflöst. Sie müssen alles tun, was übrig bleibt, zum Beispiel letzte Rechnungen begleichen. Das macht wenig Spaß, wird aber ordentlich vergütet. Deshalb verwundert es nicht, dass sich mehrere Kandidaten dafür beworben haben.

© SZ vom 08.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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