FDP in Nordrhein-Westfalen:Annäherung an die Wirklichkeit

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Kontakt mit "Spätrömern": Wie die FDP vor der NRW-Landtagswahl versucht, vom Image der sozial kalten Partei loszukommen.

Dirk Graalmann, Bergisch Gladbach

Er sei einer dieser "Spätrömer", die Guido Westerwelle wohl gemeint habe, sagt der Ein-Euro-Jobber spöttisch, als er sich vorstellt. Christian Lindner lächelt eher belustigt als gequält.

Deklamiert den "mitfühlenden Liberalismus": FDP-Generalsekretär Christian Lindner (Foto: Foto: ddp)

Der FDP-Generalsekretär ist nach Bergisch Gladbach gekommen, um mit fünf sogenannten Ein-Euro-Jobbern zu reden. Das sind Leute, die neben dem Bezug von Sozialleistungen einer gering entlohnten Beschäftigung nachgehen. Die Diskussion dient nicht der selbstgewissen Beweihräucherung, es ist eher ein leises Einatmen der Realität.

"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", hatte der FDP-Vorsitzende und Außenminister Guido Westerwelle in einem Zeitungsbeitrag geschrieben und damit eine Debatte über die Sozialpolitik entfacht. Zementiert hat Westerwelle damit nur das öffentliche Bild einer verbal marodierenden FDP, der ihr Triumph bei der Bundestagswahl nicht gut bekommen ist und die bei der NRW-Landtagswahl am 9.Mai auf Normalmaß gestutzt werde.

In Bergisch Gladbach dagegen ist viel von Anerkennung die Rede. Eine der Damen hat vorzüglichen Apfelkuchen gebacken, Lindner nimmt zwei Stücke. Reihum erzählen die Betroffenen ihre Lebens- und Leidensgeschichten, die von Depression handeln, von unverschuldeter Arbeitslosigkeit durch den Konkurs des Arbeitgebers und von den Schwierigkeiten, ins Berufsleben zurückzufinden, nachdem man jahrelang seine schwerkranke Mutter gepflegt habe. Es sind Geschichten aus der Realität, nicht aus dem Politikbetrieb.

"Ich finde beeindruckend, wie Sie kämpfen", sagt Lindner. Es klingt aufrichtig. Später an diesem Tag wird der 31-Jährige in der Aula seines früheren Gymnasiums in Wermelskirchen ausführlich von der Begegnung berichten und "den Respekt der Gesellschaft" einfordern für jene Menschen.

Der FDP-Generalsekretär deklamiert ausdauernd den Begriff des "mitfühlenden Liberalismus", kurz nach Westerwelles Vorstoß legte er ein Thesenpapier zur FDP-Sozialpolitik vor, in dem als Grundsatzfrage erfolgreicher Sozialpolitik formuliert wird: "Gelingt es einer Gesellschaft, ihren schwächsten Mitgliedern und Bedürftigen die Teilhabe am sozialen Leben zu eröffnen?"

Westerwelle, nur noch als Bad Guy gebucht

Es sind weniger der reine Inhalt als vielmehr der Tonfall und die mediale Wahrnehmung, die aus dem Gespann Westerwelle/Lindner nun vermeintliche Gegenpole macht. Westerwelle wird nur noch in der Rolle als Bad Guy gebucht, der smarte und rhetorisch brillante Lindner hingegen wurde jüngst zum "Theologen des Liberalismus" geadelt, welcher der FDP eine neue Perspektive aufzeige.

Beide Sichtweisen sind seltsam überdreht, aber die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung der Partei dürfte nach dem 9.Mai kaum leiser werden. Die Wahl wird vielerorts als Scherbengericht über die Politik der CDU/FDP-Koalition in Berlin gewertet und alle Umfragen deuten darauf hin, dass das Düsseldorfer Bündnis von CDU und Liberalen keine neue Mehrheit erreicht.

Bei der FDP verweist man prophylaktisch darauf, dass man im NRW-Vergleich vermutlich ein sehr gutes Ergebnis erzielen werde. Zwar wirkt das Wahlziel "10 +x" vermessen, doch eine Steigerung des Resultats von 2005 (6,2 Prozent) ist wahrscheinlich. Sollten die Liberalen etwa 7,5 Prozent erreichen, wäre es das zweitbeste Ergebnis seit 1954; aber es wäre eben auch eine Halbierung jener 14,9 Prozent, welche die FDP bei der jüngsten Bundestagswahl in NRW erreicht hatte.

Bei den Liberalen im Land hat man sich auf dieses Szenario eingestellt. "Wir waren bei der Bundestagswahl auf einer absoluten Welle, und so eine Welle bricht immer", sagt Eric Weik, FDP-Bürgermeister von Wermelskirchen im Bergischen Land, der "liberalsten Stadt der Welt", wie der 39-Jährige stolz anmerkt. Schließlich regiert er hier nicht nur seit sechs Jahren als Bürgermeister (der 2009 mit herausragenden 62,5 Prozent wiedergewählt wurde); zudem stammen zwei prominente Liberale, Lindner sowie Johannes Vogel, langjähriger JuLi-Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter, aus der 40.000-Einwohner-Stadt.

Wer mit Eric Weik spricht, bekommt beide Seiten der FDP zu fassen: den solidarischen Liberalen, der einen eigenen Verein zur Unterstützung notleidender Kinder gegründet hat, andererseits den FDP-Mann mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, der betriebswirtschaftlich-kühl über eine neue Rolle des Staates, auch der klammen Kommunen sinniert, die "kein Einnahmen-, sondern nur ein Ausgabenproblem" hätten.

Wenn ein Verein zum Bürgermeister kommt und um Zuschüsse für eine Veranstaltung bittet, sagt Weik: "He, wenn die Idee gut ist, findet ihr dafür Sponsoren - und wenn nicht, taugt die Idee auch nicht." Letztlich, sagt Weik zum Abschluss, sei die FDP doch die einzige Alternative zu den "Staatsgläubigen von CDU und SPD". Er macht da keinen Unterschied. Vielleicht gibt es auch keinen.

Und so wirkt die NRW-Wahl auch wie das letzte Gefecht einer FDP, die sich an die CDU als einzigen Bündnispartner kettet. Die FDP ist in der unübersichtlichen Gemengelage, in der kaum ein Bündnis ausgeschlossen zu sein scheint, die einzige im Landtag vertretene Fraktion ohne zweite Machtoption.

Es wird die große Aufgabe von Christian Lindner sein, mit dem von ihm zu verantworteten Grundsatzprogramm die FDP neu zu justieren. Man brauche "ein neues Nachdenken über unsere langfristigen Ziele, Werte und Konzepte, sonst trocknen Parteien aus", sagt Lindner. Zudem sei es doch "eine Chance, neu ins Gespräch mit klugen Köpfen außerhalb der FDP zu kommen".

Was er nicht sagt: Es bietet auch die Chance, wieder mit klugen Köpfen in anderen Parteien ins Gespräch zu kommen. Denn natürlich ist es seine Aufgabe, die Liberalen auch jenseits der CDU wieder bündnisfähig zu machen. Die FDP, sagt ein Parteistratege, müsse wieder "zurück in die Mitte".

Am Sonntag aber könnte sie noch einmal am Rand stehen.

© SZ vom 4. 5. 2010/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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