Ermittlungen gegen Neonazis:Pannenserie mit beängstigendem Ausmaß

Erst nach zwölf Jahren hat es endlich klick gemacht: Bei der Fahndung nach der Neonazi-Terrorgruppe offenbart sich eine lange Spur peinlicher Versäumnisse. Auch wenn sich das ganze Ausmaß noch nicht absehen lässt - selbst die Pannen, die die Behörden bisher eingeräumt haben, sind beängstigend. Ein Überblick.

Christiane Kohl, Hans Leyendecker und Jens Schneider

"Sie gingen nie zimperlich vor", sagt ein sächsischer Kriminalist. Mal seien die Bankbediensteten gezwungen worden, sich auf den Boden zu legen, mal flogen Computer durch die Gegend. Auch war das Outfit der Bankräuber stets ähnlich: Meist hatten die beiden Männer Baseballkappen auf, trugen bunte Tücher vorm Gesicht und betraten den Kassenraum in Turnschuhen. Manchmal trugen sie genau dieselben Turnschuhe an ganz verschiedenen Orten, wie auf den Bildern der Überwachungskameras zu erkennen ist.

thüringischer Verfassungsschutz

Peinliche Pannen: Auch der thüringische Verfassungsschutz, hier das Landesam in Erfurt, hat nach Angaben seines ehemaligen Präsidenten Helmut Roewer versagt.

(Foto: dapd)

Auch der Trick mit den Fahrrädern, die zunächst für die Flucht benutzt wurden, war immer der gleiche: "Uns war klar, dass irgendwo in der Nähe ein Kleintransporter gewartet haben muss", resümiert der Kriminaler. Doch solch ein Gefährt - ob Lieferwagen oder Wohnmobil - wurde bis zum vorvergangenen Freitag nicht nur nie gefunden, sondern vielleicht auch gar nicht gesucht.

Auf die Frage, warum es trotz eines klaren Tatmusters jahrelang nicht gelungen ist, die beiden Männer, denen nach heutigem Stand mindestens ein Dutzend Banküberfälle sowie zehn Morde zur Last gelegt werden, zu ermitteln, wusste der Chemnitzer Polizeibeamte vor Tagen keine Antwort, als ihn eine Kollegin der Freie Presse befragte. Neuerdings darf der Kriminalist auch gar nichts mehr sagen, denn der Fall ist zur Verschlusssache geworden.

Seit bekannt ist, dass zwei Männer und eine Frau, die sich gemeinsam zum "Nationalsozialistischen Untergrund" erklärten, mehr als elf Jahre lang nach derselben Methode rauben und morden konnten, ohne dass die Ermittler dahinterkamen, wurde vielen Polizisten jetzt ein Maulkorb verordnet. Entsprechend lässt sich auch das ganze Ausmaß der Pannen, welche die einmalige Mordserie begleiten, noch nicht absehen. Aber schon das, was bereits an Versäumnissen eingeräumt wurde, lässt beängstigende Ermittlungslücken erkennen.

Die Serie der Pannen und der peinlichen Versäumnisse begann in Jena, als die Ermittler im Januar 1998 in der Bombenwerkstatt von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. vier Rohrbomben fanden. Statt den bei einer der Durchsuchungen anwesenden Böhnhardt wenigstens vorläufig festzunehmen, ließen sie ihn laufen und auch die anderen beiden Mitglieder des Trios verschwanden. Bei der weiteren Suche nach dem untergetauchten Trio versagte dann auch der thüringische Verfassungsschutz, wie dessen ehemaliger Präsident Helmut Roewer nun eingeräumt hat.

Innenminister spricht von schwerem Versäumnis

Eine gravierende Panne sieht auch der Verfassungsschutz in Niedersachsen. Dort ist der mutmaßliche Komplize Holger G. am Sonntag festgenommen worden. Er soll die drei Neonazis aus Jena logistisch unterstützt haben. Womöglich hätte man über Holger G. schon früher wieder auf die Spur des Trios kommen können. Doch der Verfassungsschutz stellte die Überwachung des vermeintlichen Mitläufers zu früh wieder ein. Das räumte jetzt der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes Hans Wargel ein, Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach von einem schweren Versäumnis.

Demnach wurde Holger G. auf Wunsch des Thüringer Verfassungsschutzes 1999 in Niedersachsen observiert, als "Dienstleistung" für die Thüringer. An drei Tagen wurde er beobachtet, dann wurde ein Bericht nach Thüringen geschickt. Dabei war die Anfrage aus Thüringen mit dem Hinweis versehen, dass es sich bei den Kontakten um Rechtsterroristen handelte. Da hätten, sagt Schünemann, "die Alarmglocken klingeln müssen".

Im Jahr 2001 schienen die Fahnder wiederum nah dran zu sein. Immer wieder waren ihnen Wohnmobile mit Chemnitzer Kennzeichen aufgefallen. Zielfahnder des Thüringischen Landeskriminalamtes schlussfolgerten, dass sich die Gesuchten in Chemnitz aufhalten könnten. Entsprechend sollen sie die Kollegen des LKA in Sachsen um Mithilfe gebeten haben. Irgendetwas verhinderte jedoch den Zugriff: Laut Mitteldeutschem Rundfunk hatten die Fahnder seinerzeit "keine Erlaubnis" für die Festnahme bekommen. Das aber dementiert ein leitender sächsischer Polizist entschieden: Derartiges sei "nicht möglich".

Indes wird in Sachsen bestätigt, dass es einen "Amtshilfevorgang" zwischen Thüringen gegeben habe, allerdings mit "Kommunikationsschwierigkeiten". Im Klartext: Laut Sachsen war den Behörden dort die Lage nicht klar genug erklärt worden. Offizielle Stellungnahmen waren in Sachsen, wo am Mittwoch Buß- und Bettag begangen wurde, nicht zu bekommen. Auch in Thüringen wollte ein LKA-Sprecher keine Erklärung dazu abgeben.

Jahre vergingen, während derer Böhnhardt und Mundlos sich quer durch Deutschland mordeten. 2005 kamen Ermittler aus Köln wieder ganz nah an die Täter. Nach dem Attentat gegen türkische Bewohner in der Keupstraße, das sich im April 2005 ereignete, hatten die Kölner ein Phantombild anfertigen lassen, es zeigte einen Mann mit Baseballkappe. Überdies waren "zwei neue Trekkingfahrräder" aufgefallen. Auf einem der Räder war die Nagel-Bombe deponiert gewesen. Monate später, im Juni 2005, wurde in Nürnberg ein türkischer Einzelhändler ermordet - wieder war ein Rad im Spiel, auch sah das dort gefertigte Phantombild der Kölner Skizze täuschend ähnlich.

Daraufhin trafen sich die Ermittler aus Köln und Nürnberg, um die Tatmuster abzugleichen, "doch es fand sich kein eindeutiger Beweis", sagt ein Sprecher heute. In einer Anfrage 2006 hätte die Polizei jeden Zusammenhang bestritten, berichtet der Kölner Stadtanzeiger. So wurde auch diese Spur ad acta gelegt. Unterdessen fielen immer neue Banküberfälle nach dem bekannten Muster auf: Baseballkappe, Fahrräder und das rabiate Auftreten. Von 1999 bis zum November 2011 wurden 14 Banküberfälle nach dieser Methode verübt, davon allein sieben in Chemnitz und vier in Zwickau. Erst als die Sparkasse in Eisenach überfallen wurde, machte es bei den Ermittlern endlich klick.

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