Erfundene Nebenklägerin:Verteidiger fordern Aussetzung des NSU-Prozesses

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Der NSU-Prozess stockt erneut. Hier eine Aufnahme vom September. (Foto: dpa)
  • Die Verteidiger der Angeklagten Wohlleben und Zschäpe nehmen den Skandal um eine erfundene Nebenklägerin zum Anlass, eine Aussetzung des NSU-Prozesses zu fordern.
  • Zudem wird erneut deutlich, wie fragil die Konstruktion mit vier Zschäpe-Anwälten ist, von denen nur einer das Vertrauen der Angeklagten genießt.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Der NSU-Prozess ist wieder einmal ins Schlingern geraten. Die geladenen Zeugen konnten am Donnerstag nicht wie geplant befragt werden. Denn Richter Manfred Götzl ist mit weitreichenden Anträgen konfrontiert, über die nun in den kommenden Tagen entschieden werden muss. Sie sind die Folge der Phantom-Affäre um eine Nebenklägerin, die gar nicht existiert, und eines erneut ausgebrochenen Streits zwischen Beate Zschäpes Anwälten.

Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben versuchen, die Situation ausnutzen. Sie wollen den Prozess am liebsten platzen lassen. Am Donnerstag beantragen sie, das Verfahren auszusetzen und dafür zu sorgen, dass Zschäpe effektiv vertreten werden könne.

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Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Am Mittwoch hatte es ein Hickhack innerhalb ihres Verteidiger-Teams gegeben. Die Anwälte Wolfgang Heer und Zschäpes neuer, vierter Verteidiger Mathias Grasel hatten einander auf offener Bühne Vorhaltungen gemacht. Und nun versucht der frühere NPD-Funktionär Wohlleben, der wegen Beihilfe zu Mord in neun Fällen angeklagt ist, einen Vorteil daraus zu ziehen.

Zschäpe sei nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt

Wohllebens Verteidiger sprechen von einem "rechtswidrigen Zustand". Zschäpe sei nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt. Denn zwischen ihren Anwälten gebe es einen Bruch und Zschäpe rede schon seit Wochen nicht mehr mit Heer oder dessen Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm.

Diese drei hätten zudem, wie am Mittwoch in der Hauptverhandlung thematisiert worden sei, ihre Mitschriften früherer Verhandlungstage dem neuen Kollegen Grasel nicht ausgehändigt. Dieser sei an einer effektiven Verteidigung gehindert. Und dadurch, so behauptet Wohlleben, könnte auch er beeinträchtigt sein. Seine Anwälte beantragen, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Prompt schließt sich Zschäpe, wie Grasel für sie erklärt, dem Antrag Wohllebens auf Aussetzung des Verfahrens an. Eine wilde Konstellation. Denn Wohllebens Verteidigung hatte sich andererseits auch dem Antrag Heers angeschlossen, der von Götzl Erklärungen in der Affäre um die nicht existierende Nebenklägerin verlangt - und eben dieser Antrag war am Vortag der Auslöser für den Streit zwischen Zschäpe und Grasel auf der einen und Heer, Stahl, Sturm auf der anderen Seite gewesen. Grasel hatte moniert, er und Zschäpe hätten von Heers Antrag gar nichts gewusst. Kommt da noch jemand mit?

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Letztlich ist es aber gar nicht so kompliziert: Wohllebens Verteidiger versuchen mit allen Mitteln, die Verteidigerkrise auszunutzen und zu verbreiten, dass dieses Verfahren nicht mehr fair und ordnungsgemäß geführt werde. Da kommt es ihnen gelegen, dass Heer in der Phantom-Affäre versucht, die Richter in Bedrängnis zu bringen. Daraus könnte sich noch ein Befangenheitsantrag entwickeln.

Und erst recht gelegen kommt es ihnen, dass durch Heers Vorstoß erneut erkennbar wird, wie fragil die Konstruktion von vier Zschäpe-Verteidigern ist, von denen nur noch einer das Vertrauen der Angeklagten genießt.

Zähe und schwierige Tage in diesem Prozess

Die Vertreter des Generalbundesanwalts halten wenig von dem ganzen Hin und Her. Sie wollen, dass die Anklage zügig abgearbeitet wird. Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten sagt, Zschäpe werde sehr wohl ordnungsgemäß verteidigt, auch wenn sie mit Heer, Stahl und Sturm nicht spreche.

Eine Angeklagte dürfe, so Weingarten sinngemäß, einen Prozess nicht nach Belieben durch Kommunikationsabbruch torpedieren. Dieses Argument war schon in den vergangenen Monaten zum Tragen gekommen, als Zschäpe erfolglos versucht hatte, ihre drei in Ungnade gefallenen Anwälte loszuwerden.

Es sind, mal wieder, zähe und schwierige Tage in diesem Prozess, der bereits seit zweieinhalb Jahren läuft. Auch die Nebenklage-Vertreter schalten sich ein, sie halten Zschäpe weiterhin für ausreichend verteidigt. Die Diskussion zieht sich hin; die Anwälte der Opfer-Familien weisen dabei auch darauf hin, dass ein Platzen des Prozesses für diese Familien zu einer weiteren Traumatisierung führen würde.

Ohne über die Anträge entschieden zu haben, beendet Richter Götzl den 235. Verhandlungstag.

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