Phantom-Klägerin im NSU-Prozess:Keine Posse, eine Schande

Nicht-existente Nebenklägerin: Die Hintergründe des mutmaßlichen Betrugs müssen noch ermittelt werden. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Mehr als 230 Prozesstage hat ein Anwalt im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten, die offenbar gar nicht existiert - ein Schlag für die wahren Opfer der rechtsextremen Terrorzelle.

Kommentar von Tanjev Schultz

Der Fall ist verworren, aber ein schlimmer Verdacht hat sich jetzt verdichtet: Eine der Nebenklägerinnen im NSU-Prozess existiert offenbar gar nicht. Meral Keskin, vermeintliches Opfer des Nagelbombenanschlags in Köln, scheint eine Erfindung zu sein.

Wenn das stimmt, hat ein Anwalt mehr als 230 Prozesstage ein Phantom vertreten. Es handelt sich nicht etwa um eine juristische Posse - sondern um eine Schande; zumal dann, wenn für die Vermittlung des Mandats sogar Geld geflossen ist.

Nebenklage scheint in Verruf zu geraten

Die Hintergründe des mutmaßlichen Betrugs müssen erst noch penibel weiter ermittelt werden. Dann wird sich herausstellen, ob auch der Anwalt getäuscht wurde; ob er nur unfassbar naiv und bequem war oder womöglich selbst kriminell. Derzeit sieht es so aus, als habe ein anderer Nebenkläger Frau Keskin erfunden.

Für die wahren Opfer des NSU, die unzweifelhaft existieren, sind diese Enthüllungen ein schwerer Schlag. Das ganze Institut der Nebenklage scheint in Verruf zu geraten. Die Justiz und der Gesetzgeber werden prüfen müssen, ob die Regeln für die Nebenklage strenger und die Kontrollen, die vor Missbrauch schützen, besser werden müssen.

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Doch eines darf nun auch nicht aus dem Blick geraten: Etliche Nebenklage-Anwälte leisten im NSU-Verfahren Großartiges. Sie tragen unermüdlich zur Aufklärung bei und machen sich verdient um diesen Prozess, den der Fall Keskin nicht lange aufhalten wird.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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