NSU-Prozess:Das NSU-Phantom, sein Anwalt - und ein Verdacht

  • Eine Nebenklägerin im NSU-Prozess existiert gar nicht. Gegen einen weiteren Nebenkläger wird jetzt wegen Betrugs ermittelt - er soll Dokumente zum Beweis ihrer Existenz gefälscht haben.
  • Das Oberlandesgericht prüft außerdem, wie viel Honorar der Anwalt der Phantom-Klägerin zurückzahlen muss.

Von Annette Ramelsberger

Es war der 232. Verhandlungstag, als Richter Manfred Götzl im NSU-Prozess regelrecht explodierte: Zum dritten Mal war am vergangenen Dienstag eine Zeugin, Meral Keskin, nicht erschienen, die beim Nagelbombenattentat in Köln verletzt worden war und vor Gericht aussagen sollte. Einmal hatte sie angeblich ihr Flugzeug nach München verpasst, einmal war sie schon auf dem Weg ins Gericht gewesen und dann zusammengebrochen, erzählte ihr Anwalt. Am vergangenen Dienstag dann war sie wieder nicht gekommen. Aus unerfindlichen Gründen. Und Götzl herrschte ihren Anwalt an, er möge dafür sorgen, dass die Frau endlich erscheine - oder ihre Telefonnummer besorgen, dann kümmere sich das Gericht selbst darum.

Am nächsten Tag erschien der Anwalt der Frau, Ralph Willms aus Eschweiler, nicht im Gericht. Und kurz darauf legte er sein Mandat nieder. Der Grund: Seine Mandantin gibt es nicht. Er hat ein Phantom vertreten. Das ist peinlich. Es ist aber noch mehr: Es kommt der Verdacht auf, hier seien auf Kosten der Opfer des rechtsradikalen NSU Geschäfte gemacht worden. Anwalt Willms hatte im Gericht gesagt, er habe immer Kontakt mit seiner Mandantin gehalten, über Attila Ö., der im gleichen Haus wie die Frau wohne. Der kenne Meral Keskin.

Provision gegen Mandat

Am Samstag standen nach Informationen der SZ bei Attila Ö., der bei dem Attentat tatsächlich schwer verletzt worden war, fünf Mann vom Bundeskriminalamt auf der Matte. Sie befragten den Mann und der gab zu: Er kenne eine Meral Keskin nicht. Und er sagte auch: Diese Frau gebe es nicht. Gegen ihn wird nun wegen Betrugs ermittelt. Es geht auch um ein Attest für Meral Keskin, das genauso aussieht, vom Datum bis zur Unterschrift, wie das für ihn. Und um die Unterschrift unter eine Vollmacht für Anwalt Willms. Im NSU-Verfahren wird Ö. von Anwalt Reinhard Schön aus Köln vertreten, und der betont: Ö. versichere, er habe weder das Attest für jene Meral Keskin gebastelt, noch die Anwaltsvollmacht für sie unterschrieben. Er wolle nun seinerseits Strafanzeige gegen Anwalt Willms stellen. Willms will derzeit persönlich keine Stellung nehmen. Er hat aber inzwischen zugegeben, dass er Ö. für die Vermittlung des Mandats eine Provision gezahlt habe.

Echte Kläger aufgebracht

Das ist laut Rechtsanwaltsordnung unzulässig und kann Willms in große Nöte bringen. Für den Prozess aber ist es zweitrangig, auch für eine mögliche Revision. "Die Situation ist misslich", sagt Gerichtssprecherin Andrea Titz, "aber die Sache hat keine Auswirkungen auf das Verfahren." Das Ganze sei jedoch sehr traurig für die Opfer. "Sie müssen sich verhöhnt fühlen", sagte Titz. Auch die Vertreterin anderer Nebenkläger, Anwältin Seda Basay aus Frankfurt, sagte, der Vorgang bringe die Opfer in Misskredit. "Er lenkt davon ab, um was es wirklich geht, um zehn Morde." Sie habe das ganze Wochenende ihre Mandanten beruhigen müssen, die total aufgebracht seien über die Betrügereien.

Wohin sind 5000 Euro Schadensersatz geflossen?

Rechtsanwalt Reinhard Schön und sein Kollege hatten bereits vor Prozessbeginn vor einem "Nebenklagefang" in der Kölner Keupstraße gewarnt, wo sich immer mehr Menschen dem Prozess anschlossen. Nun wird geklärt, wie es mit dem Phantom Meral Keskin wirklich war - und wohin die 5000 Euro geflossen sind, die die Verletzten der Keupstraße pauschal als Schadenersatz bekommen haben. Zudem muss das Oberlandesgericht prüfen, wie viel der Rechtsanwalt des Phantoms zurückzahlen muss: Er bekommt für jeden Prozesstag Honorar. Das geht bei mehr als 200 Prozesstagen in München inzwischen in die Zigtausende.

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