NSU-ProzessRichter Götzl und die erfundene Frau

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Richter Manfred Götzl musste sich von Zschäpes Anwälten fragen lassen, warum ihm die Ungereimtheiten in den Dokumenten der vermeintlichen Nebenklägerin nicht aufgefallen sind.
Richter Manfred Götzl musste sich von Zschäpes Anwälten fragen lassen, warum ihm die Ungereimtheiten in den Dokumenten der vermeintlichen Nebenklägerin nicht aufgefallen sind. (Foto: lok)
  • Die vermeintliche Nebenklägerin Meral Keskin soll beim Nagelbombenanschlag in Köln im Jahr 2004 verletzt worden sein.
  • Das Attest der angeblich Geschädigten hat große Ähnlichkeit mit dem Attest des Nebenklägers Atilla Ö. Dieser steht nun im Verdacht, den Betrug eingefädelt zu haben.
  • Zschäpe-Anwalt Wolfgang Heer wirft Richter Götzl vor, das vermeintliche Opfer trotz der Ungereimtheiten nicht näher überprüft zu haben.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz, München

Wie kann so etwas passieren? Wie ist es möglich, dass ein Anwalt mehr als 230 Verhandlungstage eine Frau vertritt, die offenbar gar nicht existiert? Diese Frage hat sich über den NSU-Prozess gelegt. Ralph Willms, der Anwalt des Phantoms, ist am Mittwoch nicht mehr da. Er hat sein Mandat niedergelegt. Vorwürfe richten sich aber nicht nur gegen ihn und gegen einen Nebenkläger, der die Frau "Meral Keskin" erfunden haben soll. Auch das Gericht muss sich jetzt kritische Nachfragen gefallen lassen.

Offenbar erfundene Nebenklägerin, "Ein relativ einmaliger Vorgang" (Video: Süddeutsche Zeitung/wochit)

Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer verlangt Erklärungen von den Richtern, warum sie Keskin überhaupt als Nebenklägerin zugelassen hatten. Willms hatte dies beantragt, weil Keskin eines der Opfer des Nagelbombenanschlags in Köln gewesen sei. Bei dem Attentat waren 2004 mehr als 20 Menschen verletzt worden. Keskin, so schrieb der Anwalt, habe sich zum Zeitpunkt der Explosion vor einem Restaurant aufgehalten. Sie sei in ein Krankenhaus gebracht worden. In dem beigefügten Attest war jedoch von einem "Barbierbesuch" die Rede - und es fehlten die Personalien. Von der Handschrift und vom Wortlaut her ist das Dokument identisch mit dem Attest des Nebenklägers Atilla Ö., der tatsächlich von der Bombe verletzt worden war - und der nun im Verdacht steht, das Phantom erfunden zu haben. Zschäpes Anwalt erinnert die Richter daran, dass der Generalbundesanwalt sogar angeregt hatte, Keskin zunächst zu vernehmen. Denn aus den bisherigen Ermittlungen hätten sich keine Hinweise ergeben, dass sie eines der Opfer gewesen sei. "Soweit ersichtlich", sagt Heer - und es klingt schon beinahe süffisant - sei Frau Keskin dann aber nie von der Polizei vernommen worden. Wie auch, wenn sie nicht existiert. Im April 2013 ließ das Gericht offenbar ohne weitere Nachforschungen Keskin als Nebenklägerin zu. Eine Gerichtssprecherin sagt, für eine genaue Überprüfung sei ja die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung da.

Das Bundesamt für Justiz bestätigte am Mittwoch, dass auf ein angebliches Konto der Frau Keskin 5000 Euro als Opferentschädigung gezahlt wurden - dies sei insbesondere wegen der Zulassung als Nebenklägerin geschehen.

Wolfgang Heer und seine Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm verlangten Auskunft, ob den Richtern die Ungereimtheiten bei den Dokumenten aufgefallen sind und "warum sie diese Diskrepanz nicht hinterfragten?" Richter Manfred Götzl reagierte gereizt: "Wann ist Ihnen, Herr Heer, denn diese Diskrepanz aufgefallen?" Heer: "Es liegt nicht in unseren Aufgaben als Verteidiger, etwas zu überprüfen."

Phantom-Klägerin im NSU-Prozess
:Keine Posse, eine Schande

Mehr als 230 Prozesstage hat ein Anwalt im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten, die offenbar gar nicht existiert - ein Schlag für die wahren Opfer der rechtsextremen Terrorzelle.

Kommentar von Tanjev Schultz

Bevor Götzl, der zunächst keine weitere Erklärung zu dem Fall abgibt, zur Tagesordnung übergeht, bricht auch noch der Konflikt in Zschäpes Verteidiger-Team neu aus: Ihr vierter Anwalt, Mathias Grasel, beklagt, Zschäpe und er hätten von Heers Antrag gar nichts gewusst. Die Verteidiger streiten auf offener Bühne. Irgendwann sagt Heer, eigentlich sei das alles an "Würdelosigkeit" kaum noch zu überbieten.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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