Einführung des Betreuungsgelds:Opposition erwägt Gang nach Karlsruhe

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"Für wie blöd hält diese Regierung eigentlich die Menschen in diesem Land?": Familien und Rentner sind für die Opposition die großen Verlierer nach den Beschlüssen des schwarz-gelben Koalitionsgipfels. SPD und Grüne prüfen eine Klage gegen das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht.

Das Betreuungsgeld kommt, die Praxisgebühr fällt weg: Die Ergebnisse des Koalitionsgipfels stoßen auf ein geteiltes Echo. Opposition und Sozialverbände reagierten empört auf die schwarz-gelben Entscheidungen zu Mini-Renten und Betreuungsgeld.

Während Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler die Einigung der Koalition in zentralen Streitfragen als "Signal der Handlungsfähigkeit" rühmte, erkannte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier darin nur "Minimalkompromisse über alte Koalitions-Ladenhüter".

"Dieser Koalitionsausschuss war der Offenbarungseid für die Regierung Merkel", sagte Steinmeier. "Der verantwortungslose Deal Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr war gemacht, bevor die Koalitionäre zusammensaßen. Wofür man dann noch sieben Stunden Verhandlungen brauchte, bleibt rätselhaft". CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt dagegen begründete die Dauer des Gipfels damit, dass "viel gerechnet werden" musste. "Es hatte nichts mit Zanken zu tun", sagte er dem Bayerischen Rundfunk.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte es im Gespräche mit NDR Info eine "Katastrophe", dass die FDP dem CSU-Projekt Betreuungsgeld zugestimmt habe. Eltern bekämen Geld dafür, dass sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten bringen. SPD und Grüne kündigten an, Klagen gegen das beschlossene Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen.

Große Verlierer bei den Entscheidungen des Koalitionsausschusses seien zudem die Rentner, sagte Gabriel. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) kritisierte, die Regierung erkaufe sich "den Koalitionsfrieden auf Kosten der Familien", der Sozialverband SoVD äußerte sich ebenfalls ablehnend zu den Rentenbeschlüssen.

Krankenkassen empört über abgeschaffte Praxisgebühr

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, begrüßte die beschlossene Abschaffung der Praxisgebühr. "Das ist richtig, das haben wir auch gefordert", sagte er im Deutschlandfunk. Die FDP hatte seit Monaten ein Ende der Praxisgebühr verlangt. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) betonte, die Praxisgebühr sei "nach allen Umfragen das größte Ärgernis der Bürger".

Die gesetzlichen Krankenkassen dagegen erwarten als Ausgleich für die von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Abschaffung der Praxisgebühr einen finanziellen Ausgleich. "Mit dem Wegfall der Praxisgebühr entgehen den Krankenkassen Einnahmen in einer Höhe von rund zwei Milliarden Euro pro Jahr", erklärte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Die betroffenen Krankenkassen müssten diese Mindereinnahmen voll aus dem Gesundheitsfonds ausgeglichen bekommen.

Auch die Arbeitgeber haben die Beschlüsse als insgesamt enttäuschend bewertet. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte: Wer die Staatsfinanzen wirkungsvoll sanieren und mehr Netto vom Brutto schaffen wolle, "darf keine neuen Wohltaten verteilen".

Von der Leyen wertet Steuerzuschuss zu Mini-Renten als Erfolg

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen wertete den Koalitionsbeschluss zur Bekämpfung der Altersarmut als "ein sehr gutes Ergebnis". Im ARD-"Morgenmagazin" sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende, "die Sieger" der Entscheidung seien die Geringverdiener, die ihr Leben lang gearbeitet hätten.

Renten von Geringverdienern, die nach 40 Beitragsjahren und privater Zusatzvorsorge unter der Grundsicherung liegen, sollen künftig aus Steuermitteln aufgestockt werden. Der Betrag dürfte allerdings nur etwa 10 bis 15 Euro über der Grundsicherung von derzeit durchschnittlich 688 Euro liegen.

SPD und Linke kritisierten den Rentenbeschluss dagegen scharf. "Es ist ein ziemlicher Zynismus zu sagen, wir erfinden eine Lebensleistungsrente für Menschen, die mehr als 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben, und die liegt dann nur 10 oder 15 Euro oberhalb der Sozialhilfe", sagte Gabriel. Grünen-Chefin Roth fragte: "Für wie blöd hält diese Regierung eigentlich die Menschen in diesem Land?"

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/AFP/Reuters/fran - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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