Die Linke vor Machtkampf:Lafontaine schweigt, die Partei brodelt

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Bei der Linken herrscht Chaos, weil der ehemalige Parteichef Lafontaine sich erst nach der NRW-Wahl zu seiner politischen Zukunft äußern will. Was dann losgeht, davor graut vielen in der Partei.

Daniel Brössler, Berlin

Er redet in Bochum. Er spricht in Düsseldorf. Er fordert den Mindestlohn und geißelt die Leiharbeit. "Wer diese Ziele unterstützt, hat nur eine Wahl - die Partei Die Linke", hämmert Oskar Lafontaine seinem Publikum ein. Der 68-Jährige ist für seine Partei auf Wahlkampf-Tour durch Nordrhein-Westfalen und dabei nicht mundfaul. Nur das, was seine Partei von ihm hören will, das sagt er nicht. Seit Monaten weigert sich Lafontaine, über die eigene Zukunft zu sprechen und damit auch über die Zukunft der von ihm mitgeschaffenen Partei.

Machtkampf in der Linken: Genossen aus der einstigen PDS wollen die erwartete Rückkehr von Oskar Lafontaine an die Parteispitze nicht akzeptieren. (Foto: dpa)

Bis nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen hat Lafontaine die Genossen vertröstet und damit eine Spannung erzeugt, die sich seit dem Rauswurf aus dem Parlament in Schleswig-Holstein ins Unerträgliche steigert. Am Sonntag, 18 Uhr, wenn die Wahllokale schließen und die Linke wohl auch Nordrhein-Westfalen verloren hat, wird sich die Spannung entladen. "Dann geht es los", sagt einer aus Bundestagsfraktion. Was dann los geht, davor graut vielen in der Partei.

Seit Tagen mehren sich die Anzeichen für einen offenen Machtkampf zwischen den Führungsclans aus Ost und West. Sah es noch vor einigen Wochen nach einer Verständigung des Ex-Geschäftsführers und PDS-Veteranen Dietmar Bartsch, der bereits im November seine Kandidatur für den Parteivorsitz erklärt hatte, mit Lafontaine aus, herrscht nun wieder Eiszeit. Lafontaine hatte eine "kooperative Führung" vorgeschlagen.

Die Lebenswirklichkeiten in der Partei driften auseinander

Bartsch könnte wieder Geschäftsführer werden, wurde geraunt. Es gab Gespräche zwischen beiden. Erbracht, so sieht es nun aus, haben sie nichts. Kommt es nicht doch noch zu einem Kompromiss, wird die Linke beim Parteitag in gut drei Wochen wählen müssen zwischen einem angeblichen Heilsbringer aus dem Westen und dem angeblich starken Mann aus dem Osten. Sie kann sich dann, sagen einige, auch gleich wieder spalten.

Ohnehin wird zwischen den Flügeln erbittert über die richtigen Lehren aus miserablen Umfragewerten und Wahlniederlagen gestritten. Während im Westen auf ein klares Profil nach dem Motto "Wir gegen alle" gesetzt wird, erschallt aus dem Osten der Ruf nach Bündnispartnern und der Abschaffung des Feindbildes SPD. Im Osten Volkspartei und im Westen an den Rand gedrängt, driften auch die Lebenswirklichkeiten in der Partei immer weiter auseinander.

Die Lösung in dieser verfahrenen Lage wäre, dass Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht zusammen kandidieren", sagt der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich, einer der führenden Reformer. Der Vorschlag ist nicht neu und von Wagenknecht, der Lebensgefährtin Lafontaines, auch schon mehrmals abgelehnt worden.

Die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht (l.), und die Spitzenkandidatin der Linken in Nordrhein-Westfalen, Katharina Schwabedissen (Foto: dapd)

Die Idee aber verschwindet nicht, weil sie zumindest aus Sicht der Reformer einen Ausweg weist. Es wären dann die beiden großen Blöcke der Partei mit starken Figuren an der Spitze vertreten. Darauf nämlich kommt es an. Laut Satzung gibt es eine nach Geschlecht quotierte Doppelspitze, die in der Praxis auch den politischen und regionalen Proporz widerspiegeln soll. Nach allem was bekannt ist, ist es weder Bartsch noch Lafontaine bisher gelungen, ein weibliches Pendant von bundespolitischem Format zu finden.

Über die Flügelgrenzen hinweg werden obendrein Zweifel geäußert, ob der Senior Lafontaine die Partei tatsächlich aus der Krise führen kann. "Ich würde gerne zwei junge Leute an der Parteispitze sehen. Und ich hätte gerne einen Gesamtvorstand, der gut miteinander arbeitet", sagt Katharina Schwabedissen, Chefin der Linken in Nordrhein-Westfalen zu Süddeutsche.de in einem Interview, das am Freitag erscheint. Namen will sie vorerst nicht nennen.

Das sei auch unmöglich, ist vielfach zu hören, solange Lafontaine sich nicht erklärt habe. "Wir haben das große Problem einer Gleichung mit zu vielen Unbekannten", beschwert sich Steffen Bockhahn, Landeschef aus Mecklenburg-Vorpommern.

In der Tat gibt es für den Vorstand bisher nur sehr wenige Bewerber. So will die Vize-Vorsitzende Katja Kipping ihr Amt behalten. Seit dem Rückzug der Vorsitzenden Gesine Lötzsch ist Bartsch aber der einzige offizielle Anwärter für den Parteivorsitz. Der Amtsinhaber Klaus Ernst will Lafontaine in keinem Falle im Wege stehen und sich erst erklären, wenn dieser entschieden hat. Der Saarländer aber, so ist zu hören, hat noch gar nicht entschieden.

Lafontaine sagte Treffen mit Bartsch ab

So ist ein Führungsvakuum entstanden, das zuletzt vor allem die Landesvorsitzenden zu füllen versuchten. Sie haben sich mehrmals getroffen und über die Suche nach einer neuen Führung gesprochen. Ende April hätte es in diesem Kreis zu einer Begegnung von Bartsch und Lafontaine kommen sollen, doch Lafontaine sagte ab.

Für den Montag nach der NRW-Wahl hat der Landeschef von Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn, am Dienstag wieder eine Einladung versandt, um mit jenen zu sprechen, "die bereits erklärt haben oder beabsichtigen", auf dem Göttinger Parteitag Anfang Juni für höhere Ämter zu kandidieren.

Nur Stunden später landete das interne Schreiben im großen Verteiler der "Antikapitalistischen Linken" und auf Facebook. "Niemand soll mir bitte erzählen, hier handelte es sich um die Herstellung von Transparenz und Mitgliederbeteiligung", klagte Höhn in einer weiteren Rundmail. Es gehe "hier einzig und allein darum, die geknüpften Gesprächsfäden zu kappen, mühsam geschaffene Vertrauensebenen kaputt zu machen und auch Personen öffentlich zu denunzieren". Der Druck steigt.

© SZ vom 10.05.2012/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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