Serie "Deutscher Herbst":Die RAF stellt Bedingungen - die Regierung spielt auf Zeit

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Titelseite der Kölnischen Rundschau vom 6. September 1977. Am Tag zuvor war Arbeitgeberpräsident Schleyer von der linksterroristischen RAF in der Domstadt entführt und seine vier Begleiter erschossen worden. (Foto: REUTERS)

Heute vor 40 Jahren: Am Tag nach dem Überfall auf Arbeitgeberpräsident Schleyer diktiert die RAF Forderungen - und der Entführte meldet sich zu Wort. Im Kanzleramt fällt ein wichtiger Entschluss, der geheim bleibt.

Von Robert Probst

Tag 2: Dienstag, 6.September. "Mir geht es soweit gut"

Die Entführung Schleyers beherrscht die Medien, alle Zeitungen berichten auf Sonderseiten von dem Attentat. Die Kommentatoren schwanken zwischen Appellen zur Besonnenheit und dem Ruf nach mehr Härte.

Generalbundesanwalt Kurt Rebmann spricht vom "bis jetzt wohl brutalsten Anschlag in der Terroristen-Szene der Bundesrepublik", der Oppositionsführer der Union im Bundestag, Helmut Kohl, von einer "Kriegserklärung" an die Zivilisation. Justizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) ruft alle Bürger zur "uneingeschränkten Solidarisierung mit der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden" auf.

In der Nacht entdecken Fahnder in einem Wohnblock in Köln, in dessen Tiefgarage der VW-Bus der Entführer gefunden worden war, eine konspirative Wohnung der RAF. Sie läuft auf den Namen Lisa Ries, das Appartement ist praktisch leer - verwertbare Spuren gibt es kaum.

In Stuttgart-Stammheim werden Baader, Raspe und Ensslin in Einzelhaft genommen, der sogenannte Umschluss - die Kontaktaufnahme außerhalb der Zellen - wird vom Haftrichter gestrichen. Radiohören, Zeitunglesen und Fernsehen werden verboten, eine Durchsuchung ihrer bisherigen Zellen in der Nacht bleibt ohne Ergebnis.

Bundespräsident Walter Scheel schickt den Angehörigen der vier Todesopfer Beileidstelegramme. Ihr Schmerz über die "wahnsinnigen Anschläge unmenschlicher Terroristen" würde sicherlich von allen Bürgern geteilt.

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Gegen 15.20 Uhr findet die Tochter eines evangelischen Dekans in Wiesbaden im Briefkasten einen Umschlag mit der Aufschrift "an die bundesregierung". Von einer unbekannten Frau wird der Dekan telefonisch aufgefordert, den Brief "weiterzuleiten".

Im Umschlag befinden sich zwei Fotos von Schleyer, eines aus seinem Privatbesitz und eines, auf dem er ein Schild hält: "6.9.1977 Gefangener der RAF", im Hintergrund das Logo der Terrorgruppe mit einer MP5, einer Maschinenpistole vom Hersteller Heckler & Koch. In einem Brief fordern die Entführer erneut, "die sofortige einstellung aller fahndungsmaßnahmen".

Bonn spielt auf Zeit

Im Austausch gegen Schleyer sollen elf namentlich genannte Terroristen aus deutschen Gefängnissen freikommen und am folgenden Tag "in ein land ihrer wahl" geflogen werden, inklusive 100 000 Mark.

Es handelt sich um: Baader, Ensslin, Rapse, Verena Becker, Werner Hoppe, Karl-Heinz Dellwo, Hanna-Elise Krabbe, Bernhard Maria Rössner, Ingrid Schubert, Irmgard Möller und Günter Sonnenberg. Der Brief soll in der ARD-Tagesschau "ungekürzt und unverfälscht" veröffentlicht werden.

In einer handschriftlichen Notiz schreibt Schleyer: "Mir geht es soweit gut, ich bin unverletzt und glaube, dass ich freigelassen werde, wenn die Forderungen erfüllt werden." Doch Bonn spielt auf Zeit, in der Tagesschau teilt das Bundeskriminalamt mit, der Brief habe die Regierung noch nicht erreicht - die erste Forderung bleibt unerfüllt.

Am späten Abend tritt das Bundeskabinett und der "große politische Beratungskreis" (auch genannt: Großer Krisenstab) zusammen. Der Kreis umfasst die Partei- und Fraktionsvorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien (SPD, CDU/CSU, FDP), Regierungsvertreter der vier Bundesländer, aus deren Gefängnissen RAF-Häftlinge freigepresst werden sollen (Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg) und den Beraterstab des Kanzlers.

Die Runde kommt überein: Schleyer soll lebend befreit werden, die Entführer sollen gefasst werden, die Freipressung der RAF-Häftlinge wird abgelehnt. Dieser Entschluss ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Die Serie erschien in einer ersten Version 2007 - und wurde für die Neuveröffentlichung leicht überarbeitet und erweitert. Die Rechtschreibung in Zitaten entspricht der Schreibweise der damaligen Zeit.

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