Deutsche Islamisten in Terrorcamps:Enttäuschte Hoffnung auf Dschihad und Märtyrertod

Lesezeit: 4 min

Sie träumten vom Heiligen Krieg und gingen an den Hindukusch - doch jetzt wollen viele von ihnen lieber wieder heim nach Deutschland.

Hans Leyendecker und Tobias Matern

Als die RAF noch eine echte Gefahr für das Land war, gab es ein Aussteigerprogramm, das von den Behörden eher verhalten betrieben wurde. Der Erfolg war entsprechend bescheiden. Noch in diesem Sommer will das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Aussteigerprogramm für Islamisten ins Leben rufen. Es soll sich vor allem an junge Leute richten, die mit einer Ausbildung in einem Terrorlager liebäugeln - aber was macht man mit denen, die im Terrorlager waren und frustriert in die Heimat zurückwollen?

Militante Islamisten bei der militärischen Ausbildung im pakistanischen Grenzland zu Afghanistan in einem undatierten Video. Viele Deutsche, die sich in dem Grenzgebiet ausbilden ließen, sind jetzt desillusioniert. (Foto: ap)

In diesen Tagen streiten sich Ministerien in Berlin über den richtigen Umgang mit solchen Islamisten. Anlass ist die Verhaftung des Hamburger Islamisten Rami M. in der vorigen Woche in Pakistan. Er war einer von etwa dreißig Männern, die im Jahr 2009 Deutschland verlassen hatten, und wollte angeblich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gegen die Ungläubigen kämpfen.

Seit seinem Verschwinden im März 2009 wurde er in Deutschland als Gefährder eingestuft, und die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Rami M. soll sich, wie der Spiegel berichtet, Mitte Juni in der deutschen Botschaft in Islamabad gemeldet und erklärt haben, er wolle zurück nach Deutschland, aber ihm fehlten die notwendigen Papiere. Der Reisepass sei ihm abhandengekommen.

Geleitschein per E-Mail

Die Diplomaten vor Ort sollen ihm per E-Mail eine Art Geleitschein ausgestellt und ein Treffen am Morgen des 21. Juni in der Botschaft vereinbart haben. Das Bundeskriminalamt soll kurz darauf aber die pakistanische Polizei über den geplanten Treff informiert haben. An einem Kontrollpunkt der Armee soll Rami M. dann festgenommen worden sein.

Zwei Fragen drängen sich auf: Wurde M., wie seine Familie meint, von deutschen Behörden verraten? Und: Fällt er als potentieller Informant für die deutschen Sicherheitsbehörden aus?

Der 25 Jahre alte Deutsch-Syrer Rami M. galt einst in Hamburg als Kopf einer Gruppe radikaler Islamisten, die sich im Umfeld der Moschee traf, in der einst auch die Attentäter vom 11. September verkehrt hatten. Nachdem er im März 2009 Deutschland verlassen hatte, flogen auch einige seiner Freunde mit ihren Ehefrauen nach Peschawar. Die Behörden vermuten, dass sie im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zusammenlebten und sich gemeinsam ausbilden ließen.

Rami M., der früher durch Kleinkriminalität den Behörden auffiel, soll angeblich Sprengstoffexperte sein. Diese Vermutung stützt sich im Wesentlichen auf abgefangene Internet-Konversationen mit Glaubensbrüdern, in denen er über "Spiele" fabuliert hatte, die er irgendwohin bringen wolle. Die Experten vermuteten, es habe sich um Anleitungen für den Bau von Bomben gehandelt. Pakistanische Behörden wollen erfahren haben, M. habe gelernt, Sprengstoffwesten zu basteln. Darf so einer aufs deutsche Botschaftsgelände in Islamabad?

Mit dieser Frage haben sich in den vergangenen Wochen Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums beschäftigt und das Ergebnis ist bekannt: Das Bundesinnenministerium war strikt dagegen. Der Aktivist wurde festgenommen.

Der Fall des Rami M. wirft ein Schlaglicht auf die Szene junger Deutscher, die sich in den vergangenen Jahren in die Ausbildungslager militanter Dschihadisten am Hindukusch abgesetzt haben und vom Heiligen Krieg oder dem Märtyrertod schwadronierten. Allein 2009 sind nach Schätzungen der Sicherheitsbehörden etwa dreißig junge Männer aus Deutschland in Ausbildungslager in Pakistan und Afghanistan gereist.

Spätestens seit die Sauerland-Gruppe aufflog, die in Deutschland verheerende Anschläge geplant hatte, gelten solche Gefährder hierzulande als die neuen Staatsfeinde. Es gibt sogar eine Gruppe deutscher Mudschaheddin.

Aber der Prozess gegen die Sauerland-Gruppe vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht zeigte auch, dass die Möchtegern-Kämpfer oft ein Leben in Isolation und voller Entbehrungen führen. Die häufiger als früher eingesetzten Drohnen der CIA und die härter gewordene Gangart der pakistanischen Armee sind zudem zu einer dauerhaften Gefahr geworden. Vieles deutet darauf hin, dass Angst und Resignation viele der Dschihadisten erfasst hat. Die Kampfmoral der ausländischen Gotteskrieger sei zurückgegangen, sagt ein Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes ISI der Süddeutschen Zeitung: "Wir gehen mit aller Härte gegen sie vor." Die ausländischen Islamisten seien mit "ganz anderen Vorstellungen" in die Region gekommen. Einige von ihnen seinen nun "desillusioniert". Dies ergebe sich aus abgehörten Gesprächen.

Sprachbarriere und schwere Waffen

In den vergangenen Monaten wurden mindestens vier deutsche Kämpfer bei Gefechten erschossen. Die Bekanntesten waren der Saarländer Eric Breininger, der häufiger in Droh-Videos aufgetreten war, und der Niedersachse Ahmet M., der unter seinem Kriegsnamen "Saladin" besser bekannt war. Der Deutschtürke war Sprecher der Islamischen Dschihad Union, produzierte Propagandavideos in Eigenregie und galt als Spezialist für Rekrutierungen in Deutschland. Beide Männer starben in Nordwaziristan.

Breininger hinterließ eine Art Tagebuch, das 108 Seiten dick ist. Es ist zwar nicht ganz klar, ob er einen Ghostwriter eingespannt hatte, aber es ist unter anderem ein bemerkenswertes Dokument des Zweifels: "Ich war nach einer Weile sehr betrübt", schrieb Breiniger. Er habe sich oft "mit niemandem austauschen" können. Die Sprachbarriere sei ein großes Problem gewesen. Ihn habe niemand "aufbauen können", wenn er mal einen schlechten Tag gehabt habe.

Er sei froh gewesen, als die Taliban erlaubt hätten, mit ein paar anderen Deutschen eine Untergruppe der Taliban zu gründen. Von Rami M. liegen den Behörden abgehörte Gespräche mit Familienangehörigen vor, in denen er über Gewaltmärsche mit schweren Waffen klagt. Schlangen gebe es auch.

Pakistanische Behörden haben bislang nicht bestätigt, dass der 32-Jährige in einem der Kerker des Geheimdienstes einsitzt. Der ISI gilt als sehr brutal beim Umgang mit Gefangenen und kooperiert nicht immer mit deutschen Behörden. Die Lage ist für alle Beteiligten recht kompliziert: Pakistan befindet sich im Krieg mit der pakistanischen Fraktion der Taliban, aber ob die Sicherheitsbehörden auch gegen die afghanischen Islamisten vorgehen, ist umstritten. Die alten Verbindungen des ISI zu den afghanischen Taliban seien nie abgerissen, heißt es in einer neuen Studie.

Falls sich aber einflussreiche afghanische Taliban für Rami M. starkmachen sollten, hätte er, so vermuten Experten, womöglich eine Chance, freizukommen und sich in Deutschland den Vorwürfen stellen zu können.

© SZ vom 28.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Afghanistan
:Terror erschüttert Kabul

Granaten, Selbstmordanschläge und Feuergefechte: Die radikal-islamischen Taliban haben mit einer gezielten Offensive auf das Kabuler Regierungsviertel ihre Macht demonstriert.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: