Deutsche Euro-Politik:Schäuble und Merkel auf Zickzack-Krisenkurs

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"Nicht immer einer Meinung, aber immer ein gemeinsamer Weg" - Wolfgang Schäuble, Angela Merkel. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Schon seit Jahren treten zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble immer wieder Differenzen über den richtigen Kurs in der Griechenland-Krise zutage.
  • So scheiterte Schäubles Vorschlag, einen Europäischen Währungsfonds zu gründen, bereits 2010 am Widerstand Merkels.
  • Der Streit um einen möglichen Grexit zeigt nun, dass Schäuble diesen Vorschlag offenbar nicht vergessen hat.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Im Jahr 1999, als sich die CDU noch ironische Wahlwerbung gestattete, ließ die Partei ein Plakat drucken, um das Verhältnis der beiden mächtigsten Parteimitglieder zu beschreiben. Links Angela Merkel, rechts Wolfgang Schäuble. Es fällt auf, dass beide sehr freundlich schauen. Aber auch, dass der Blick am Betrachter vorbei in verschiedene Richtungen geht. Europa sei wie die beiden, ist unter den Köpfen zu lesen, "nicht immer einer Meinung, aber immer ein gemeinsamer Weg". Und, etwas kleiner gedruckt, ein Satz, der mit Wohlwollen wie eine Vision gelesen werden kann: Europa muss man richtig machen.

Richtig machen also. Aber was ist richtig? Reiht man die Auftritte der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers in der Euro-Politik seit 2010 aneinander, ergibt sich ein solider Zickzack-Kurs. Zwischen beiden existieren Meinungsverschiedenheiten, die für den Fortbestand der Währungsunion gefährlich waren - und sind. Es zeigt sich, dass die Kämpfe um den richtigen Weg schon stattgefunden haben, als noch kein Qualm über das Schlachtfeld eines Grexit zog, also eines Austritts Griechenlands aus der Währungsunion.

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Der erste Krach datiert vom März 2010. Schäuble ist ein paar Monate als Bundesfinanzminister im Amt, Merkel im fünften Jahr Kanzlerin. Die Krise in Griechenland breitet sich wie ein Flächenbrand in der Euro-Zone aus. Schäuble will das dramatische Momentum für einen weiteren Integrationsschritt in Europa nutzen. Er schlägt vor, einen Europäischen Währungsfonds zu gründen, um die Gemeinschaft zu stabilisieren. Schäuble will den Europäern eine kleine Schwester zum Internationalen Währungsfonds (IWF) verpassen.

Merkel zögert. Und wägt ab.

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen stehen bevor, die will sie gewinnen. Sie wählt die wählerfreundliche Lösung; und distanziert sich von Schäubles Vorschlag. Auf dem EU-Gipfel am 26. März setzt sie den Beschluss durch, wonach die Euro-Zone nur dann einem in Not geratenen Mitglied helfen darf, wenn der IWF sich daran beteiligt. Am 5. Mai hält sie eine Regierungserklärung, die sich wie eine Botschaft an die Wähler in Nordrhein-Westfalen anhört. Sie sollen vier Tage später ihre Stimme der Partei der Kanzlerin geben, die in Europa die Schludrigkeit bekämpft. Der IWF leiste "mit seinen Erfahrungen einen wertvollen - ich sage: unverzichtbaren - Beitrag zu einer erfolgreichen Umsetzung des griechischen Sanierungsprogramms". Und: "Ohne Deutschland wäre es zu einer Einbeziehung des IWF nicht gekommen". Schäuble packt seinen Vorschlag für einen Europäischen Währungsfonds wieder ein - so erscheint es jedenfalls. Die europäischen Nachbarn staunen über Angela Merkel, die Unnachgiebige, sie nennen sie "Madame Non", erinnern an die Eiserne Lady, Großbritanniens Ex-Regierungschefin Margaret Thatcher.

Der nächste große Streit beginnt im Juni 2012 auf dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel. Merkel unterschreibt die Absichtserklärung, eine europäische Bankenunion zu schaffen und alle Banken der Euro-Zone unter eine zentrale Aufsicht zu stellen. Das bedeutet: Alle Länder sollen nationale Eingriffsrechte an einen zentralen EU-Aufseher abgeben. Schäuble will das nicht, er hebelt den Beschluss über juristische Finessen aus. Die Bankenunion, die Merkel unterschrieben hat, entsteht nur in Fragmenten. Das sieht wenig europäisch aus, ist aber aus Schäubles Sicht konsequent: Er will, dass in Europa nicht nur Recht, sondern auch Verantwortung geteilt wird.

2013 wollte Merkel verhindern, dass Schäuble Zypern fallen lässt

Die nächste Bruchlinie entsteht im Frühling 2013, es ist der Streit um die Rettung Zyperns. Schäuble will die kleine Insel, auf der große Mengen russischen Schwarzgeldes vermutet werden, notfalls pleite gehen lassen. Der erste Versuch, ein Rettungspaket zu schnüren, scheitert. Kurz bevor die Euro-Finanzminister den zweiten Versuch beginnen, klingelt im Kabinett des damaligen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy das Telefon. Van Rompuy sitzt mit dem zyprischen Präsidenten zusammen, um einen Kompromiss zu finden. Am Telefon ist Merkel. Sie bittet Van Rompuy, sich zu beeilen, damit sie einen Kompromiss haben, bevor die Minister ankommen. Merkel will verhindern, dass Schäuble Zypern fallen lässt. Sie will nicht, dass unter ihrer Ägide die Euro-Zone zu zerfallen beginnt.

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Sie ist aus diesem Sachzwang heraus auch bereit, den spanischen Minister Luis de Guindos als nächsten Chef der Euro-Gruppe vorzuschlagen - wohlwissend, dass es den spanischen Konservativen helfen könnte, die Wahlen im November 2015 zu gewinnen. Im August 2014 sagt sie in Madrid, nach Ablauf der Amtsperiode des amtierenden Chefs Jeroen Dijsselbloem unterstütze Deutschland "die Kandidatur von Luis de Guindos". Als die erste Amtszeit von Dijsselbloem abläuft, wird aber nicht de Guindos gewählt, sondern erneut Dijsselbloem, der Kandidat Schäubles.

Ausgerechnet der Streit um den Grexit zeigt, dass Schäuble sein Konzept eines Europäischen Währungsfonds nicht vergessen hat. Schon 2010 sah Schäuble als letztes Mittel vor, dass Länder, die sich dauerhaft nicht an die Regeln halten, ausscheiden müssen. Konkret schlug er vor: "Wenn sich ein Euro-Mitgliedstaat letztlich nicht imstande sehen sollte, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft wiederherzustellen und die öffentlichen Haushalte zu sanieren, sollte er als Ultima Ratio auch aus der Währungsunion ausscheiden, zugleich aber Mitglied in der EU bleiben können". Es ist genau der Satz, mit dem er jüngst in Brüssel Griechenland aus der Euro-Zone komplementieren wollte. Wer Schäubles Konsequenz kennt, weiß, dass er es wieder versuchen wird. Das Rennen um "Europa richtig machen" ist nicht beendet.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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