Degler denkt:Wir werden immer reicher

Lesezeit: 2 min

Systemische Löcher überall: Die Bundesregierung pumpt ihre Rettungsgelder in Unternehmen von gestern - statt in ein neues Wirtschaftswunder zu investieren.

Dieter Degler

Wenn man es einmal andersherum betrachtet, werden wir Steuerzahler immer wohlhabender: Uns gehört beispieslweise ein Teil der Commerzbank. Den Verlustbringer IKB sind wir endlich los, dafür haben wir die Finger in den Landesbanken drin. Und wenn es so weitergeht, gehört uns womöglich bald ein Stückchen Schaeffler und die ein oder andere Werkshalle von Opel.

Neue Opel-Fahrzeuge auf Halde: Der Autohersteller bettelt um staatliche Hilfen, der Regierung reicht das vom Unternehmen vorgelegte Konzept nicht aus. (Foto: Foto: ddp)

Im Ernst: Seit Wochen werde ich den Eindruck einer gigantischen finanziellen Fehl-Allokation nicht los: Dass die Bundesregierung einigermaßen planlos ihr Geld in jedes neue Loch wirft, das sich im Zuge der Großen Krise irgendwo auftut. Einzige Bedingung: Das Loch muss "systemisch" sein.

Ob es sich bei Opel um ein solches systemisches Loch handelt, darf bezweifelt werden. Brauchen wir neben Daimler, Audi, BMW, Volkswagen, Porsche tatsächlich auch noch die Marke mit dem Blitz? Wer das fragt, steht schnell in der Ecke der Arbeitsplatz-Zyniker. Es gehe ja gar nicht um die Automarke Opel, lautet die Entgegnung, sondern um die fast 25.000 dort beschäftigten Menschen sowie um einige tausend mehr bei Zulieferbetrieben.

Da wir das Argument in den kommenden Monaten mutmaßlich noch öfter zu hören bekommen werden, lohnt es, sich ein paar Zahlen zu vergegenwärtigen.

Jede Menge Geld gegen den Crash

Diese große Koalition, welche die außergewöhnliche Struktur und Dimension der Krise lange nicht wahrhaben wollte, hat zur Vermeidung - oder auch nur zur Verzögerung - eines Megacrashs eine Menge Geld lockergemacht. Ich schätze, die Gesamtsumme bewegt sich allmählich in Richtung 200 Milliarden Euro. Das Geld fließt nahezu ausschließlich in Unternehmen der alten Wirtschaft: Banken, Autos, Infrastruktur, vor allem Bau, kaum jedoch in innovative Technologien. Es fließt nicht in kreative Start-ups oder zukunftsweisende Firmen, die sich Geschäftsfelder der Ökologie oder anderer nachhaltiger Sparten erschließen.

Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer verdient in Deutschland rund 27.000 Euro pro Jahr. Rechnet man die Lohnnebenkosten mit pauschal 20 Prozent dazu, kostet ein Arbeitsplatz rund 32.500 Euro. Mit 200 Milliarden Euro könnte man also locker 6,15 Millionen Arbeitsplätze finanzieren. Oder mehr als drei Millionen Jobs für zwei Jahre - oder fast 31.000 Jahresarbeitsplätze pro Milliarde Euro.

Und wenn die Berliner Berufsoptimisten mit der Vorhersage recht behalten, im Herbst scheine wieder die Konjunktursonne, würde die Summe zur Überbrückung ja locker genügen.

Klarer Fall von Milchmädchenrechnung

Das ist natürlich nur eine Milchmädchenrechnung. Denn man kann nicht zig Milliarden in junge, zukunftsweisende Unternehmen (in denen übrigens die Kosten pro Arbeitsplatz noch geringer ausfallen) stecken - so viele erfolgversprechende Start-ups gibt es gar nicht in Deutschland. Und man muss auch damit rechnen, dass die strukturellen Verwerfungen der Weltwirtschaft länger dauern als ein Jahr.

Aber die Rechnung belegt, dass es eine Alternative zur planlos wirkenden Berliner Rettungspolitik geben könnte. Eine Alternative, die Deutschland tatsächlich am Ende der Krise zukunftsfähiger machen würde, als es die Rettung von Banken und Automobilbranche kann. Die gewaltigen Summen, die derzeit nach dem Prinzip Hoffnung zugunsten der alten Ökonomie ausgegeben werden, wären für einen Wirtschaftswunder-Restart besser eingesetzt.

Das würde zwar in einigen Betrieben der Vorkrisenwirtschaft heftige Schmerzen auslösen - aber die lassen sich ohnehin nicht mehr vermeiden.

© sueddeutsche.de/jja/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: